Fische fangen, sonst nichts. Wie beim Angeln die ganze restliche Welt auf einmal völlig unwichtig wird

Buxtehude/Jork. Da, ein leises Plätschern. Irgendwo im hinteren Teil des Sees muss ein Karpfen nach Luft geschnappt haben. Kleine Kreise tauchen an der Oberfläche auf, dann wird es wieder vollkommen still am Gewässer des Buxtehuder Angelvereins "Scheeben Wind". Kaum ein Lüftchen weht an diesem Vormittag, die Sonne grüßt von einem blauen Himmel herunter. Es ist ein guter Tag zum Angeln, und Manfred Wiesenberg ist bereit.

Der 48-Jährige baut am Ufer die Töpfe mit Maden und Lockfutter auf, mit dem er den Fischen die Mäuler wässrig machen will. In aller Ruhe steckt er die Maden an den Angelhaken und füllt den Futterkorb mit Lockfutter. Die Lockstoffe sollen die Fische magisch anziehen, können aber nicht von ihnen verspeist werden, da sie im Wasser zerfallen - schließlich sollen die Fische die Made am Haken beißen.

Kaum hat Wiesenberg dann die Angelrute ausgeworfen, umfängt ihn das große Nichts. Er taucht tief hinein in eine Welt, die fernab vom Stress und Lärm des Alltags liegt. Die Zeit bleibt stehen, und Manfred Wiesenberg, der Familienvater und technische Angestellte aus Jork, verwandelt sich in Manfred Wiesenberg, den Angler.

Man könnte es fast als eine Lebensphilosophie bezeichnen. Ruhe und absolute Stille, wo gibt es das noch? Beim Angeln erlebt Wiesenberg die Natur in ihrer vollen Kraft und verschmilzt nahezu mit ihr. Es ist eine Form der Meditation, obwohl er selbst dieses Wort nicht verwenden würde. "Das wäre zu hoch gegriffen." Für ihn ist es einfach Nichtstun. Oder: "Eine Stunde Angeln ist wie eine Woche Urlaub."

Wenn der Eisvogel direkt auf der Angelrutenspitze sitzt und die Libelle summt, wenn ein Fuchs vorbeikommt und manchmal sogar ein Rehbock, hört sich das für die einen vielleicht wie Kitsch an. Wiesenberg verbucht es unter "Alltagserlebnisse eines Anglers". Er denkt nicht über die Arbeit nach, er grübelt über keinem Problem, er blickt einfach nur auf das Wasser. Das ist Angeln.

"Das Klischee besagt, dass der Angler am liebsten alleine sein will", erzählt er. An der Moorender Straße in Buxtehude, wo der Angelverein ein Gewässer direkt neben dem Vereinshaus hat, ist das, anders als an anderen Teichen, nicht immer möglich. Ständig kommen Radfahrer vorbei, die auf einen Schnack anhalten. Oder ein Vereinskollege wie Helmuth Juhnke, 63 Jahre alt und seit 60 Jahren vom Angelvirus infiziert.

Zu langen Gesprächen bleibt aber keine Zeit, denn plötzlich ruckelt es an der Angel. "Da hat einer angebissen", ruft Wiesenberg. Er dreht an der Spule, und schon kommt ein Karpfen zum Vorschein. Mit dem Kescher holt er ihn aus dem Wasser heraus, ein stattliches Exemplar von 45 Zentimeter Länge. Einige Minuten später wackelt es dann schon wieder an der Angel. Ein kleiner Kaulbarsch hat angebissen. Zum Essen ist er wenig geeignet, aber als Köderfisch kann er gut eingesetzt werden.

"Die einen sagen, Fische spüren Schmerzen, wenn man sie tötet, die anderen behaupten das Gegenteil", erklärt Wiesenberg. Er glaubt ersteres und behandelt die Tiere deshalb mit Respekt. "Naturschutz gehört mit dazu." Und wohl auch das Anglerlatein. Die einen würden behaupten, wenn der Holunder blühe, lohne sich das Angeln nicht. Ein anderer Spruch laute "Aale gibt es nur nachts". Wiesenberg hält von diesen Weisheiten wenig, er angelt einfach nur, und das war's.

Dementsprechend kalt lassen ihn auch die unterschiedlichen Angelmöglichkeiten wie Fliegenfischen, wobei der Haken mit einem fliegenähnlichen Geflecht versehen wird, oder Spinnfischen, bei dem etwa künstliche Fische zum Einsatz kommen. Wiesenberg bevorzugt es klassisch, ohne großes Getöse und großen Ehrgeiz. "Ich bin einer, der am liebsten einfach nur rumsitzt", sagt er mit einem Grinsen.

Zehn Stunden lang kann er das am Stück mitunter aushalten, am Wochenende oder nach der Arbeit. Die 580 Mitglieder des Angelvereins - darunter allein 70 Jungen und Mädchen in der Jugendgruppe - halten es ähnlich. "Wir haben Chefärzte, Ingenieure, Handwerker oder Lehrer im Verein, die das Angeln als Mittel gegen Stress entdeckt haben", erzählt Helmuth Juhnke. "Das geht quer durch alle Schichten."

Fisch-Auswahl genug haben sie an den vereinseigenen Gewässern, zu denen neben Teichen in Ovelgönne oder Sauensiek unter anderem auch Teile der Este gehören, auf jeden Fall: Jährlich setzt der Verein für 10 000 Euro Fische aus. Von Karpfen, Brassen oder Rotaugen bis zum Kaulbarsch, Zander und Hecht ist alles dabei.

"Jeder Tag ist ein Angeltag, aber nicht jeder ist ein Fangtag", gibt Wiesenberg eine weitere Weisheit zum Besten. Aber das geht für ihn in Ordnung, denn er angelt nur das, was er tatsächlich essen kann. Damit hat er sowieso schon Probleme genug, denn nicht alle in seiner Familie sind absolute Fischliebhaber. Mitunter mäkeln die Kinder, dass es schon wieder Fisch gibt. Aber auch da muss der Angler dann durch.