Region steuert auf Rekordschulden in Höhe von 200 Millionen Euro zu. Nur radikale Leistungskürzungen könnten helfen

Stade/Buxtehude. Landrat Michael Roesberg hat es schwer. Die Landkreise sollen und müssen seit Jahrzehnten immer mehr gesetzliche Aufgaben übernehmen. Woher das Geld kommen soll, um die vielen Projekte zu finanzieren, ist dabei die große Unbekannte. Und so erwartet der Landkreis für das Jahr 2010 ein Haushaltsdefizit von 7,7 Millionen Euro.

"Mit der Finanzkrise haben sich auch die Kreisfinanzen ab dem Jahr 2010 dramatisch in Richtung Defizit verändert", sagte Roesberg in der jüngsten Kreistagssitzung. Dies habe er bereits im vergangenen Jahr feststellen müssen. Angesichts der für 2011 prognostizierten Rekordverschuldung von etwa 200 Millionen Euro bleibt nur ein wehmütiger Blick auf die Jahre 2008 und 2009. Da profitierte der Landkreis Stade von der guten konjunkturellen Entwicklung und somit höheren Steuereinnahmen, so Roesberg. Nach vielen defizitären Jahren sei es da gelungen, erstmals wieder Überschüsse zu erwirtschaften. 2008 konnte der Landkreis 8,4 Millionen Euro und 2009 sogar knapp zehn Millionen Euro Überschuss vermelden. Allerdings konnten keine Rücklagen gebildet werden. Lediglich mit einem Abbau des Gesamtdefizits von rund 54 Millionen Euro konnte begonnen werden.

Der Landkreis ächzt im kommenden Jahr unter einer Ausgabenlast von etwa 213 Millionen Euro. Dem gegenüber stehen etwa 204 Millionen Euro an Einnahmen. Die Kreisumlage ist im Haushaltsplan für 2011 mit einem Umlagesatz von 55 Prozent berechnet, sie wurde im Vergleich zum Jahr 2010 um 0,5 von hundert erhöht. Im Folgejahr soll sie nochmals um 0,5 von hundert erhöht werden.

Das bedeutet, dass aus der Kreisumlage im kommenden Jahr rund 79,5 Millionen Euro Erträge zufließen sollen. Das seien trotz der Anhebung rund vier Millionen Euro weniger als im Jahr 2009 und damit deutlich zuwenig, um den Schuldenberg auch nur Ansatzweise abzubauen. Unterm Strich steht ein Minus von 8,9 Millionen Euro. Damit wird der ursprüngliche Finanzplan für 2011 um zirka 2,5 Millionen Euro nach oben korrigiert werden müssen.

Die Budgetschwerpunkte sind der Bildungsbereich mit 30 Millionen Euro, das Amt für Jugend und Familie mit 20 Millionen Euro und die soziale Sicherung mit 95 Millionen Euro. An diesen Ausgabenposten lässt sich praktisch nichts verändern: Es handelt sich um Pflichtaufgaben, die der Kreis gesetzlich erfüllen muss. Laut Roesberg sei die Einschätzung der kommunalen Spitzenverbände zutreffend, dass die Haushalte der Kommunen immer mehr von den Sozialausgaben erdrückt würden. "Mit diesen gesetzlichen Pflichtausgaben sind wir auskonsolidiert", so Michael Roesberg.

Immerhin investiere der klamme Landkreis Stade massiv in Schulbauten und belege damit, dass der Kreistag der Bildung einen besonderen Stellenwert einräumt. In den vergangenen Jahren wurden rund 60 Millionen Euro für den Schulaus- und Schulneubau aufgewendet. Und das, obwohl nennenswerte Haushaltsverbesserungen nicht zu erwarten sind. So fallen etwa die Schlüsselzuweisungen um zwei Millionen Euro geringer aus, als ursprünglich veranschlagt. Eine nur leichte Besserung der Finanz- und Schuldenlage erwartet Roesberg frühestens im Jahr 2014. Deshalb gelte es weiterhin mit strengen Maßstäben zu messen, um das Defizit nicht ausufern zu lassen.

"Die Bevölkerung erwartet, dass wir immer und sofort dann zur Stelle sind, wenn die Öffentlichkeit nach dem Staat ruft", sagt Roesberg. Dies gelte beim Kinder- und Jugendschutz, bei der Lebensmittelkontrolle, beim Tierschutz oder im Rettungsdienst. Immer wieder würden Ansprüche an den Landkreis gestellt, bei der Einrichtung neuer Schulformen, der Schülerbeförderung im öffentlichen Personen Nahverkehr oder im Winter beim Straßendienst und danach bei der Beseitigung von Straßenschäden. "Nicht dass Kreistag und Kreisverwaltung dies nicht alles tun wollen, aber es muss auch bezahlt werden können", gibt der Landrat zu bedenken.

"Wir werden auch im Jahr 2010 mehr Geld ausgeben müssen, als wir in der Kasse haben. Das darf nicht so weitergehen", mahnt Roesberg. Dass Geld schon bei den gesetzlichen Pflichtausgaben fehle, zeige, dass im System etwas nicht stimme. "Die Kommunen dürfen deshalb von den Gesetzgebern auf Bundes- und Landesebene erwarten, dass den Menschen klar gesagt wird, was geht und was nicht mehr geht", fordert Roesberg. Es gebe durchaus Leistungen des Staates, die Roesberg als "nicht Lebenswichtig" bezeichnet. Auf Landesebene sollte beispielsweise überlegt werden, ob eine kostenlose Busbeförderung noch angebracht sei, denn in anderen Ländern müssten sich Eltern auch an den Kosten beteiligen. Auf Bundesebene müsse etwa das Elterngeld oder das beitragsfreie Jahr in den Kindertagesstätten auf den Prüfstand. Alleine dieses belaste den Kreishaushalt jährlich mit 2,5 Millionen Euro.

"Das Fazit ist, die Sozialsicherung ist essenziell, aber es gibt einfach Dinge, die wir uns auf staatlicher Ebene nicht mehr leisten können, und das muss den Bürgern auch plausibel erklärt werden", so Roesberg. Alle Investitionen abseits der sozialen Absicherung, die nicht nachhaltige Vorteile bringen würden, seien fiskalisch nicht zu rechtfertigen. Das Land lebe seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse. Wie groß die Wahrscheinlichkeit sei, dass angesichts der Wahlkämpfe eine Partei das heiße Eisen der radikalen Kürzungen anfassen werde, dazu will der Landrat lieber keine Prognose abgeben.