Für Aneke Dudy und Marvin Rößler ist ihre Behinderung im Job kein Thema

Stade. Hinter dem hohen Empfangstresen sieht Aneke Dudy aus wie jede andere Angestellte der Stader Agentur für Arbeit. Die 26-Jährige sagt freundlich Hallo, schaut in den Computer und tippt die Daten der Kunden ein. Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass die Mittelnkirchenerin nicht auf einem klassischen Bürostuhl, sondern in einem Rollstuhl sitzt. "Und das schon mein ganzes Leben", wie sie mit einem selbstverständlichen Tonfall sagt.

Es ist dieses Gefühl von Normalität, das bei Aneke Dudy verblüfft. Im Grunde möchte sie es auch gar nicht zum Thema machen, dass sie nicht wie andere Menschen gehen kann. Noch nie sei sie bei der Arbeit von Kunden angesprochen worden, was sie denn für eine Behinderung habe oder ob sie alle Aufgaben erfüllen könne, erzählt sie.

Einzig beim Autofahren erntet die gelernte Bürokauffrau manchmal erstaunte Gesichter. Nämlich dann, wenn sie parkt und hinten am Auto die Rampe ausgefahren wird, über die ihr Rollstuhl aus dem Kofferraum gelangt. "Manchmal fragt jemand, ob er helfen kann", sagt Aneke Dudy. Meistens lehnt sie dann höflich ab. Sie kann sich allein vom Fahrersitz am Auto entlang nach hinten hangeln und schafft es in den Rollstuhl hinein. "Nur wenn es regnet, brauche ich manchmal Hilfe", sagt sie. "Aber dann sag' ich schon Bescheid."

Arbeitsagentur Stade liegt weit über gesetzlicher Schwerbehinderten-Quote

Dass es für Aneke Dudy so vollkommen normal ist, zur Arbeit zu gehen und einen Alltag wie jeder andere zu haben, liegt zu einem Großteil am Einsatz von Menschen wie Klaus Kühlke. Er ist Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in der Agentur für Arbeit Stade sowie in den Jobcentern Stade und Cuxhaven. Immer wieder versucht er die Geschäftsführung davon zu überzeugen, auch Menschen mit Handicap einzustellen.

Aktuell liegt die Quote an Schwerbehinderten in der Stader Arbeitsagentur bei 12,2 Prozent, in Zahlen ausgedrückt sind das 45 Angestellte. Damit liegt das Haus weit über dem gesetzlich vorgeschriebenen Wert von sechs Prozent. Als Schwerbehinderung gilt ein Grad der Behinderung von 50 Prozent, der zuvor in einem ärztlichen Gutachtern ermessen wird.

"Unser Ziel ist es, schwerbehinderte Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren", fasst Kühlke seine Aufgabe zusammen. Er will das Vorurteil aufbrechen, das in den Köpfen vieler Chefs herrscht, nämlich, dass ein Mensch mit Handicap nicht 100 Prozent Arbeitsleistung bringen kann. "Viele sagen das natürlich nicht offen, aber sie denken es trotzdem", sagt er. Sicherlich müsse man teilweise Abstriche machen, da die Möglichkeiten von Menschen mit Handicap manchmal begrenzt seien. Wenn die Qualität jedoch stimme, gebe es seiner Meinung nach kaum Gegenargumente.

Einen Beweis dafür liefert Marvin Rößler. Der 18-jährige Himmelpfortener ist seit dem 1. September in der Ausbildung zum Fachangestellten für Arbeitsförderung und hatte zuvor 25 Bewerbungen ausschließlich für Bürojobs geschrieben. Einmal wurde er zum Einstellungstest eingeladen, ansonsten hat er nur Absagen bekommen. Dass er kleinwüchsig ist, habe er nicht bei allen Firmen erwähnt, sagt Rößler. Bei der Arbeitsagentur hat er es dazu geschrieben - und die Stelle prompt bekommen. "Bei den Absagen denke ich aber nicht, dass es wegen meiner Kleinwüchsigkeit war", bleibt er optimistisch.

Für Marvin Rößler gibt es einen speziellen Bürostuhl mit Fußstütze

Jetzt fährt Rößler jeden Tag entweder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, mit seinem Vater oder dem Auto zur Arbeit, setzt sich auf seinen speziell für ihn angefertigten Bürostuhl mit Fußstütze und erledigt die gleichen Aufgaben wie jeder andere Azubi auch. Lediglich beim Telefon gibt es eine weitere Ausnahme, denn für den Himmelpfortener ist extra ein Headset angeschafft worden, das ihn das Hinüberstrecken zum Telefonhörer erspart.

Auf diese kleinen Hilfsmittel müsse sich ein Arbeitgeber einstellen, wenn er Menschen mit Handicap den Arbeitsalltag erleichtern wolle, sagt Kühlke. Natürlich könnte Marvin Rößler auch auf die Fußstütze verzichten und auf den Bürostuhl springen. "Aber dann hätte er in ein paar Jahren vermutlich Probleme mit seinen Hüften."

Die Barrierefreiheit in fast allen Teilen des Hauses ist ein weiterer Punkt, für den sich Kühlke stark macht. Die Türen lassen sich automatisch per Knopfdruck öffnen, in die oberen Etagen führen Fahrstühle, es gibt eine Behindertentoilette, ausgewiesene Behindertenparkplätze, und in den Gängen wird auf genügend Platz für einen Rollstuhl geachtet. Kühlke betont jedoch, dass all diese Dinge ja nicht nur Menschen mit Handicap zugute kommen, sondern auch älteren Leuten, die mit dem Rollator unterwegs sind, oder Eltern mit Kinderwagen.

"Wir sehen uns als Vorreiter", fasst Torsten Oliver Deecke, bei der Arbeitsagentur zuständig für Presse und Marketing, zusammen. "Wir wollen anderen Firmen zeigen, dass es gut funktioniert, wenn man Menschen mit Handicap beschäftigt." Selbst bei ihnen sei die hohe Schwerbehinderten-Quote von 12,2 Prozent nicht immer selbstverständlich gewesen, räumt er ein. Erst in den vergangenen fünf Jahren habe man kräftig aufgestockt.