Die Apfelbauern im Alten Land werden mittlerweile per E-Mail informiert, wann sie welches Mittel gegen gefährliche Pilze spritzen müssen.

Jork-Moorende. Seit einem Dreivierteljahrhundert sind sie auf der Suche nach dem perfekten Apfel: Dass das Obst aus dem Alten Land und aus Kehdingen so auf den Markt kommt, wie der Verbraucher es möchte, nämlich lecker für Auge und Gaumen, aber auch frisch und frei von Schädlingen, ist in vielen Fällen das Verdienst der Obstbauversuchsanstalt (OVA) in Jork-Moorende. Vernichtete Ernten in schlechten Jahren und zu wenig Ertrag in guten Jahren - das hätte dem Obstbau in der Region ohne die 1935 gegründete Einrichtung gedroht. Die international renommierte Versuchsanstalt, die aus dem Obstbauversuchsring (OVR) des Alten Landes hervorgegangen ist, hat am 1. April ihren 75. Geburtstag.

Im Labor und auf Versuchsflächen die neuesten Verfahren erforschen und die Ergebnisse direkt an die Nutzer in der Nachbarschaft weitergeben - mit diesem Prinzip hat die Anstalt einst Neuland betreten. Ein Pilz und ein Insekt ruinierten damals ganze Ernten. Der Apfelschorf und der Apfelblattsauger bedrohten die Existenz der Obstbauern in der Region. Bis jetzt ist der Schorf, der sich im feuchten Klima wohlfühlt, nicht besiegt, doch die Erkenntnisse der OVA-Fachleute helfen den Obstbauern, sich gegen diesen massenhaft vorkommenden Pilz zu wehren, der ansonsten die Bäume vernichten würde. Per Fax und E-Mail gehen tagesaktuelle Meldungen an die Betriebe entlang der Niederelbe heraus. Darin werden die Empfänger informiert, wann Pflanzenschutzmittel zu sprühen sind.

"Ohne den Einsatz dieser Mittel geht es nicht", sagt Karsten Klopp (45). Er leitet die Obstbauversuchsanstalt seit 2005 und ist damit in nunmehr 75 Jahren erst der dritte Chef. Sein Vorgänger Karl-Heinz Tiemann (69) prägte die OVA über Jahrzehnte. Tiemann, der 31 Jahre im Amt war, erinnert sich noch heute an manche Begegnung mit Kritikern, die am liebsten auf chemische Mittel verzichten würden. Doch Tiemann ist überzeugt: "Der Obstbau im Alten Land könnte ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht existieren."

Eine andere Neuerung, an der die Jorker Forscher maßgeblich beteiligt waren, ist die Umstellung von hochstämmigen auf die heute üblichen, wesentlich niedrigeren Bäume. Auch das sei nicht überall gut aufgenommen worden, erinnert sich Tiemann. Entstanden sei ein industrieller Obstbau, so die Kritiker. Doch die Umstellung sei notwendig gewesen, sagt Tiemann: Der Ertrag sei von bis zu 20 Tonnen Äpfel je Hektar auf bis zu 50 Tonnen mehr als verdoppelt worden, gleichzeitig sei der Arbeitsaufwand beim Ernten deutlich geringer.

Die Existenz der Obstbauern zu sichern, ihre Erträge zu steigern und auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können - darum ging es dem 1929 gegründeten Obstbauversuchsring und der Obstbauversuchsanstalt von Anfang an. Die OVA pachtete unter ihrem ersten Leiter, Ernst Ludwig Loewel, zunächst Flächen nahe Buxtehude, auf denen Obstbäume gepflanzt, getestet und zeitweilig auch gezüchtet wurden. Heute konzentrieren sich die Aktivitäten auf die eigenen Flächen rund um die Esteburg in Moorende, wo das Obstbau-Versuchs- und Beratungszentrum seinen Sitz hat.

Auf 40 Hektar werden Äpfel, Birnen, Kirschen und Zwetschen geerntet, die Erträge von Baumsorten aus der ganzen Welt miteinander verglichen und in modernen Labors die unterschiedlichen Qualitätskriterien getestet. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Lagerbedingungen gelegt, so OVA-Leiter Karsten Klopp.

Dass die Äpfel möglichst lange in den Hallen gelagert und an die Abnehmer - zumeist Discounter - geliefert werden können, davon hänge der Erfolg der Obstbauern an der Niederelbe ab.

Der Erfolg verlange auch immer wieder nach Veränderungen. So könnten es in ein paar Jahrzehnten schon ganz andere Sorten sein, die vom Verbraucher gewünscht und deshalb auch im Alten Land angebaut werden. Das Jubiläum der Obstbauversuchsanstalt wird erst im Dezember gefeiert. Dann soll die neue Obstbauschule fertig sein, die derzeit auf dem Areal an der Esteburg entsteht. Hier erhalten künftig Obstbauern das Rüstzeug für ihre Tätigkeit als Betriebsleiter. Das "Kompetenzzentrum Obst" umfasst dann neben Forschung und Beratung auch die Weiterbildung.

Längst ist aus dem Kampf gegen Schorf und Sauger eine Erfolgsgeschichte geworden: Die zur Landwirtschaftskammer Niedersachsen gehörende Versuchsanstalt ist mit Partnereinrichtungen in anderen europäischen Ländern vernetzt. Der Obstbauversuchsring wuchs von anfangs 80 auf heute 1000 Mitglieder, 800 von ihnen betreiben Obstbau im Vollerwerb.