Still und leise arbeitet in Ohrensen das größte Solebergwerk Europas . Es fördert 600 Tonnen Salz pro Stunde

Ohrensen. Dass eines der größten Bergwerke Europas ausgerechnet in Ohrensen liegt, beziehungsweise darunter, drängt sich dem Besucher nicht unbedingt auf. Und doch führt der Weg an den gesuchten Ort mitten hinein in das genau 339 Einwohner zählende Dorf bei Harsefeld, vorbei an grasenden Pferden mit wehenden Schweifen, Feldern mit Kohlköpfen und einsamen Fußballtoren auf ebenso einsamen Bolzplätzen. Bis plötzlich ein Schild in einen kleinen Feldweg hinein weist. "Aussolungsbergwerk" steht darauf.

Der Besucher ist schließlich am Ziel, steht auf einem nicht unbedingt großen, betonierten Areal, das auf den ersten Blick auch ein Klärwerk beherbergen könnte. Einige dicke Rohre ragen in die Luft, weiter hinten steht ein mächtiger, zylinderförmiger Wasserspeicher. Mit qualmenden Schloten, Loren voller Kohle und schwitzenden Kumpeln hat dieses Bergwerk nicht viel zu tun, soviel ist klar. Was aber wird hier dann aus der Erde geholt?

Salzlösung wird in einer 25 Kilometer langen Pipeline nach Stade gepumpt

"Salz", sagt Bernd Lischewski, der die Anlage leitet, die im Besitz des US-amerikanischen Chemieriesen Dow ist. Und zwar in nicht geringen Mengen, wie er gleich klarstellt: "Wir betreiben hier Europas größtes Solebergwerk." Sole ist in Wasser gelöstes Salz. Dass dieses in flüssiger Form aus der Erde geholt wird, ist auch der Grund dafür, dass das Verfahren so diskret anmutet. Denn die Lösung, die aus der Tiefe geholt wird, wird in einer Pipeline direkt zum das 25 Kilometer entfernten Dow-Werk in Stade gepumpt. Dort wird die Lösung für chemische Prozesse eingesetzt.

"Wir fördern etwa 600 Tonnen Salz in der Stunde. Das sind ungefähr 1,2 Millionen Salzpackungen, wie man sie im Supermarkt kaufen kann. Wenn wir diese Mengen über die Straßen transportieren würden, müsste hier alle drei Minuten ein Schwertransporter losfahren", sagt Lischewski. Doch die Technik des Solebergbaus erlaubt es, dass die Öffentlichkeit von den Prozessen unter Tage nur sehr wenig mitbekommt. Personalintensiv ist diese Form des Bergbaus auch nicht. Je nach Auslastung arbeiten nur 25 bis 40 Techniker und Ingenieure auf dem Gelände in Ohrensen.

Flüssigkeit kommt aus Höhlen, die in 2000 Metern Tiefe liegen

Die "Messwarte", das Herzstück des Betriebes, befindet sich in einem schmucklosen, einstöckigen Gebäude. Rolf Bunners überwacht an diesem Tag die Bildschirme, auf denen bunte Signale, Grafiken und viele, viele Zahlen Auskunft über den Betrieb der Pumpen und Leitungen geben. Seine Tätigkeit gibt er mit "Messwartenfahrer" an.

"Im Moment pumpen wir gerade 1700 Kubikmeter Sole nach Stade. Möglich sind bis zu 2000 Kubikmeter stündlich", sagt er. Die Flüssigkeit kommt aus insgesamt 17 Kavernen, unterirdischen Höhlen, die sich in etwa 2000 Metern Tiefe befinden. Dabei wird zunächst Wasser in den unterirdischen Salzstock gepumpt, das dann das Salz herausspült und auf diese Weise die Kavernen immer weiter vergrößert, bis sie etwa einen Kilometer tief sind und einen Durchmesser von bis zu 135 Metern haben.

Salzablagerungen sind die Reste eines 250 Millionen Jahre alten Meeres

Warum jedoch wird ausgerechnet hier, unter den Feldern und Wiesen des idyllischen Ohrensen, gebohrt und gespült? Ganz einfach: "Wir befinden uns auf den Sedimenten eines 250 Millionen Jahre alten Salzmeeres", sagt Bernd Lischewski. Der Betriebsleiter zeigt auf einer Karte, wie Norddeutschland zu einer Zeit aussah, als die Vorläufer der Dinosaurier die Gegend bevölkerten: blau nämlich. Was heute als Nordsee bekannt ist, erstreckte sich weit ins heutige Landesinnere hinein, etwa bis Hannover im Süden und Kaliningrad im Osten. Dieselben Salzvorkommen konnten bei Lüneburg einst im Tagebau erschlossen werden, bei Ohrensen liegen sie dank einer geologischen Besonderheit, einer Art unterirdischer Blase, etwas höher als anderswo.

Deshalb baut die Dow in Ohrensen Salz ab - und stellt in Stade Chemieprodukte her. "Ohrensen ist der wesentliche Grund dafür, dass es das Werk in Stade gibt", sagt Bernd Lischewski. Denn die Sole wird für viele chemische Prozesse benötigt, unter anderem zur Herstellung von Schaum- und Kunststoffen, wie sie etwa in den Innenverkleidungen von Kühlschränken oder Autotüren zu finden sind. Das Stader Werk begann im Jahr 1970 seinen Betrieb, das Bergwerk in Ohrensen zwei Jahre später.

Im Unterschied zu den ersten Betriebsjahren, als noch Elbwasser in die unterirdischen Kavernen gepumpt wurde, existiert mittlerweile ein geschlossener Wasserkreislauf zwischen Stade und Ohrensen. Drei der Kavernen werden mittlerweile als unterirdische Gasspeicher genutzt. Im Unterschied zu den Solekavernen sind sie wesentlich kleiner: Speicherkavernen haben ein Volumen von etwa 300 000 Kubikmetern, Solekavernen eines von sieben bis acht Millionen Kubikmetern.

Wer in freier Natur nach den Spuren der tief verborgenen Salzhöhlen sucht, sollte in Ohrensen einmal hinter bepflanzten Erdwällen nachsehen. Mit Glück erblickt er dahinter einen sogenannten Kavernenplatz. Hinter Zäunen führen die Rohre für Wasser und Sole in die Tiefe hinab. Das Rauschen der Flüssigkeiten ist aus mehreren Metern Entfernung zu hören.

Die Flüssigkeit bleibt auch nach dem Ende der Nutzung in den Kavernen

Die Frage, ob der Bergbau für die Anwohner nicht gefährlich sein könne, verneint Bernd Lischewski ausdrücklich. Denn zunächst einmal gebe es gegenüber dem Kohlebergbau einen wichtigen Unterschied: "Unsere Kavernen sind nie leer. Auch nachdem wir sie still legen, bleiben sie immer mit Wasser gefüllt. Deshalb können sie auch nicht einstürzen." Eine weitere Vorsichtsmaßnahme sei, dass zwischen den Höhlen immer ein gewisser Abstand eingehalten werden muss. Und nicht zuletzt würde in dem 1,5-mal 3,5 Kilometer großen Gebiet nur dort gearbeitet, wo es keine Wohnbebauung gebe.

Eigentlich nur in bestimmten Wintermonaten, dann nämlich, wenn eine dünne Schneeschicht die Erde bedeckt, bekommt die Bevölkerung etwas von den Arbeiten unter Tage mit. Dann nämlich sorgt die 60 Grad heiße Salzlösung in der nach Stade führenden Pipeline dafür, dass das der Schnee schmilzt, der etwa einen Meter höher auf der Erde liegt.

Wer mehr über die Arbeit der Dow in Ohrensen wissen möchte, kann unter der Telefonnummer 04141/91 20 21 eine Werksführung vereinbaren.