Archäologe Andreas Schäfer vermutet, dass sich nahe der Schwinge die Reste eines mittelalterlichen Zentrums befinden.

Stade. Ein kleiner orangefarbener Kasten soll Licht in das Dunkel bringen. Cornelius Meyer dreht an einigen Schaltern, schaut auf ein an den Kasten angeschlossenes Display. Mit Radar- und Sonargeräten will der Berliner Geophysiker mit seiner Kollegin Wieke de Neef den Flussboden an der Schwedenschanze in Stade in den kommenden Tagen untersuchen und Fundstücke orten, die die Vermutungen von Stades Stadtarchäologen Andreas Schäfer im Idealfall bestätigen sollen. Der geht davon aus, dass sich rund um die Schwedenschanze, der ältesten mittelalterliche Burg zwischen Rhein und Elbe, ein frühmittelalterliches Zentrum befunden haben muss.

"Ich bin davon überzeugt, dass im Umfeld der Schwedenschanze Häuser, Wege, Brücken und auch ein Friedhof lagen", sagt Schäfer. Das Ganze solle sich, so der Archäologe, in einem Radius von knapp zwei Kilometern befunden haben. "Damals ist in etwa so weit gebaut worden, wie das Auge reicht", sagt Schäfer.

Seit mehreren Jahren wird an der Schwedenschanze geforscht. Die gut erhaltenen Holzfunde aus dem siebten bis zehnten Jahrhundert haben die Hoffnung genährt, dass es im Stader Ortsteil Groß Thun noch deutlich mehr Funde geben wird, die die Geschichtsschreibung in Norddeutschland weiter verändern werden. Nun soll im Einklang mit den Landwirten, denen die Flächen gehören, der Untergrund systematisch untersucht werden. Das Einverständnis der Landwirte scheint vorerst gegeben, auch weil 2009 auf der Flur "Ohle Dörp" auf dem höchsten Punkt des Landstrichs bei Sondierungsgrabungen eine etwa 90 mal 70 Meter große Wallanlage nachgewiesen werden konnte.

Nun rückt das Flussbett der Schwinge in den Fokus der Forscher. Der Fluss hat seine Form im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert, die Chance, dass sich unter dem Flussbett historische Holzüberreste befinden, ist daher nicht gering. Schäfer, der die Erforschung der Region leitet, hat hierfür Kontakt mit Cornelius Meyer aufgenommen.

Der Berliner wird mit einem speziellen Boot die Flussregion zwischen "Ohle Dörp" und der Schwedenschanze erforschen. Eine geophysikalische Flussuntersuchung, so wie sie hier stattfinden wird, habe es in Deutschland bisher nicht gegeben, sagt Schäfer. Die Arbeiten entlang der Schwedenschanze hätten somit einen bundesweiten Pilotcharakter.

"Das Forschungsboot ist aus extrem leichten Styrodur gebaut, so dass wir nur einen Tiefgang von etwa 15 Zentimetern haben werden", sagt Meyer. Das erlaube es den Forschern, bis ganz dicht an das Ufer für ihre mit GPS-Systemen zentimetergenau koordinierten Ortungsarbeiten zu fahren.

Zunächst wird eine geomagnetische Untersuchung betrieben. Dabei wird der Untergrund auf kleinste Abweichungen im Erdmagnetfeld überprüft. Dort, wo Abweichungen zu messen sind, können sich Bohlen und andere Artefakte befinden. "Im zweiten Schritt werden wir mit einer Georadarantenne in das Flusssediment strahlen", sagt Meyer. Die gemessenen Reflexionen sollen Auskünfte über die im Boden ruhenden Gegenstände geben.

Der Untergrund könne so, ohne den Boden aufzugraben, bis zu einer Tiefe von zwei Metern untersucht werden. Desweiteren soll das Erdreich mit Sonar erforscht werden. Sonar ist eine Schallmesstechnik zur Ortung und Vermessung von Gegenständen unter Wasser, die die Tatsache ausnutzt, dass sich Schall unter Wasser insbesondere bei hohen Frequenzen sehr viel verlustärmer ausbreitet als in der Luft. Die Schallunterschiede helfen, Gegenstände und andere geologische Veränderungen zu Orten, die ansonsten vielleicht unentdeckt bleiben.

Aus der Kombination der Messmethoden will Meyer dann ein dreidimensionales Abbild des Untergrundes erstellen. "Die Auswertung der gesammelten Daten wird eine gute Weile dauern", sagt Meyer. Sie wird aber darüber Aufschluss geben, wo ein sinnvoller Ausgangspunkt für archäologische Grabungen liegen könnte.

Im Gegensatz zur Schwedenschanze, wo aufgrund des hohen Grundwasserstandes enorme Mengen an Hölzern erhalten blieben, können die archäologischen Strukturen auf "Ohle Dörp" nur noch mit Bodenverfärbungen rekonstruiert werden, wie Schäfer erklärt. Sie verlangen daher eine sehr präzise Dokumentation und Ausgrabungstechnik. Das ist auch der Grund, weshalb kostenintensive Forschungsmethoden wie die Geophysik oder auch Phosphatuntersuchungen auf dem Areal zum Einsatz kommen. Etwa 35 000 Euro werden für die Arbeiten von verschiedenen Geldgebern zur Verfügung gestellt.

Der Landkreis und die Stadt Stade beteiligen sich mit 3000 beziehungsweise 5000 Euro an den Kosten. Der Großteil des Geldes kommt von der noch jungen Bingo-Stiftung. "Wir stellen 27 000 Euro für das Projekt zur Verfügung, auch um den überregional bedeutenden Charakter der Forschungsarbeiten hervorzuheben", sagt Karsten Behr, Geschäftsführer der Stiftung zur Förderung von Natur, Umwelt, Entwicklungszusammenarbeit und Denkmalschutz.

Wenn der Schwinge-Untergrund erforscht ist, ist die Arbeit für Schäfer noch lange nicht beendet. Als Abschluss der jetzigen Arbeitsphase möchte er einen Workshop für die Zusammenarbeit zwischen Archäologie, Ökologie und Landwirtschaft in Arealen mit Feuchtbodenerhaltung veranstalten. Im Winter könnte diese Arbeitsgruppe die Wechselwirkungen der einzelnen Arbeitsfelder beleuchten und neue Erkenntnisse in einem bisher wenig erforschten Kontext liefern.

Als zentrale Fragestellung sollen hierbei die Auswirkungen des angedachten Wiedervernässens der Flächen auf die Faktoren Archäologie, Ökologie und Landwirtschaft untersucht werden. Ökologen, Geologen, Bodenkundler und Archäologen sollen die Erkenntnisse sammeln und später als einen Leitfaden für die künftige Forschung veröffentlichen. "Wir haben also viel Arbeit vor uns", sagt Schäfer. Und wenn sich seine Vermutungen über ein frühmittelalterliches Zentrum an der Schwinge nicht bestätigen sollten, so Schäfer, wisse man wenigstens, dass es unter der Schwinge nichts zu holen gibt.