Hamburgs Sektenbeauftragte Ursula Caberta erklärt im Interview, mit welchen Methoden die umstrittene Organisation neue Mitglieder wirbt

Stade/Buxtehude. Ursula Caberta, Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology in der Hamburger Behörde für Inneres, gilt als Deutschlands profilierteste Scientology-Gegnerin. Im Interview spricht sie über die Gefahr, die von der Sekte ausgeht, und deren Aktivitäten im Landkreis Stade.

Abendblatt:

Frau Caberta, Sie kämpfen seit Jahren gegen Scientology. Welche Aktivitäten haben Sie im Landkreis Stade beobachtet?

Ursula Caberta:

Vom Landkreis Stade habe ich derzeit wenig gehört, momentan konzentriert sich Scientology eher auf Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Aber generell gilt das Ausweichen in das Umland von Hamburg auch für Niedersachsen. Dabei kann man als Außenstehender oft nicht feststellen, welche Aktivitäten wo laufen, weil die Fäden für den norddeutschen Raum in Hamburg zusammenlaufen und es deshalb immer die gleichen Personen sind, die aktiv werden.

Warum ist die Anwerbung so wichtig?

Ziel ist es immer, das Scientology-Volk zu mehren. Das heißt, die Menschen in die Organisation reinzuziehen. Der Scientology-Begriff für die anzuwerbenden Menschen ist "Raw Meat", also "Rohes Fleisch". Die Menschen sollen neugierig gemacht werden. Und zwar nicht zwingend auf Scientology, sondern vor allem auf sich selbst. Einer der Leitsätze des Gründers ist: "Wir machen die Fähigen fähiger." Damit sind viele Menschen zu holen - jeder glaubt doch, in ihm stecke noch mehr.

Das ist aber nur der Anfang...

Genau, am Anfang ist der Trichter noch sehr weit: Es geht weniger um Scientology. Man ist permanent mit sich beschäftigt, bekommt ständig Bestätigung. Aber je länger man dabei bleibt, desto schmaler wird der Trichter.

Was passiert mit Menschen, die sich auf Scientology einlassen?

Sie werden zu Extremisten, werden der Gesellschaft entzogen und Teil des Systems Scientology. Sie werden völlig verändert. Man muss sie schützen, damit ihnen nichts Schreckliches passiert. Aber man muss auch unsere Gesellschaft schützen - diese Extremisten dürfen keinen Zulauf mehr bekommen.

Wie sollten Menschen reagieren, wenn jemand in dieses System gerät?

Wenn das soziale Umfeld in den ersten vier Wochen aufmerksam ist, dann kann man noch was machen. Danach wird es schwierig. Das geht relativ fix. Die Menschen werden sehr umsorgt. Und das vermissen viele. Sie denken: Endlich ist da einer, der mir zuhört. Wer so etwas mitbekommt, sollte schnell Hilfe holen und sich um den Betroffenen kümmern.

Treten die Menschen, die neue Mitglieder werben, offen als Scientology auf?

Das ist ganz unterschiedlich. Meistens locken sie eher mit Themen, wie Menschenrechten oder Drogen. Es ist nicht immer gleich erkennbar, dass das Scientologen sind. Und wer ist denn nicht gegen Drogen? Und wer ist nicht für Menschenrechte?

Welche Strategie verfolgen die Scientologen damit?

Ziel ist es erst einmal, an den Menschen ranzukommen, ihn neugierig zu machen und dann möglichst seine Daten zu bekommen.

Geht es ihnen um Geld?

Es geht nicht nur um Geld, Scientology will den Menschen ganz. Das eigentliche Ziel ist ein politisches. Sie wollen Deutschland 'befreien'. Scientology gilt seit 1997 als neue Form des politischen Extremismus. Die Notwendigkeit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist von verschiedenen Gerichten eindrucksvoll bestätigt worden. Wir haben es mit einer extremistischen Organisation zu tun. Extremisten, die mit Kommunikationsseminaren werben und in Form von freundlichen Herren daherkommt, die über Menschenrechte diskutieren.

Ist es deshalb so schwierig, die eigentliche Absicht sofort zu erkennen?

Ja, sie werfen Nebelkerzen. Dazu kommt, dass es vermeintlich darum geht, dem Menschen zu helfen. Über die vermeintlich harmlosen Kommunikationsseminare - das ist ja die Einstiegsdroge bei Scientology - bekommt man Schritt für Schritt die verfassungsfeindliche Ideologie ins Gehirn getrichtert.

Ist es in Niedersachsen für Scientology einfacher als in Hamburg?

Ja, in Flächenstaaten ist es allein schon wegen der räumlichen Distanz einfacher. Hinzu kommt, dass Scientology in Hamburg nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes ein Gewerbe angemeldet hat. Das bedeutet, sie dürfen keine Infotische haben, weil das als gewerbliche Werbung angesehen wird und Gewerbebetriebe nichts auf der Straße zu suchen haben. Anders ausgedrückt: Wenn ich bei Karstadt Socken kaufen will, kann ich das auch nicht auf der Straße tun, sondern muss ins Geschäft hinein gehen. Die einzelnen Städte und Gemeinden in Niedersachsen haben wahrscheinlich Unterschiede im Wegerecht, das muss man sich halt ansehen. Dabei sage ich immer, wenn man sich klar ist über den Gewerbestatus und das vereinheitlicht, ist die Chance gut, dass das Thema Scientology sich hinsichtlich der Straßenwerbung erledigt.

Wie gehen die Scientologen vor, um Menschen auf ihre Seite zu bekommen?

Angegebene Daten werden international gespeichert. Wenn man einmal seine Daten angibt, dann ist man drin. Teilweise stehen die Jahre später vor der Tür. Dann kann es nur heißen: Tür zu. Sonst geht es weiter: Seminare, Einladung zum Brunch. Es geht darum, dran zu bleiben. Eben ein Vorgehen, das man auch von anderen unangenehmen Strukturvertrieben kennt. Nur bei Scientology geht es nicht nur darum, ein Buch zu verkaufen. Sondern es geht um den ganzen Menschen.

Woher kommt diese Hartnäckigkeit der Scientologen?

Alle Scientologen weltweit müssen jede Woche Erfolge vermelden. Alle stehen in Konkurrenz miteinander. Das hält sie unter Dampf. Die Mitarbeiter bekommen für jedes gebuchte Seminar bucht oder verkaufte Buch kauft zehn Prozent. Das ist das Prinzip.

Nochmal zur Struktur: Gibt es neben der Hamburger Zentrale auch lokale Gruppen, also beispielsweise auch im Landkreis Stade?

Ja, diese Field Staff Member sind aber nicht offen erkennbar, die Aufsicht hat die Hamburger Zentrale. Ich kann nicht ausschließen, dass es auch im Landkreis Stade solche Feldmitarbeiter gibt. Diese FSM-Grupen treffen sich in Privatwohnungen oder in Firmen von Mitgliedern. Natürlich ist Scientology auch im Speckgürtel von Hamburg tätig.