Die Einzelhändler bestimmen selbst, ob sie über Mittag geöffnet haben. Für Kunden sind die vielen verschiedenen Regelungen verwirrend.

Norddeutschland. Um 13 Uhr lässt Susanne Ludorf den Herrgott einen guten Mann sein. Die Inhaberin der Buchhandlung Seevetal schließt dann ihr Geschäft mitten im Hittfelder Ortskern ab und hängt die kleine Tafel mit dem Hinweis "Mittagspause von 13 bis 14.30 Uhr" in die Glastür. Anderthalb Stunden Auszeit liegen vor Susanne Ludorf. Anderthalb Stunden, in denen sie die Füße hochlegen und ein Nickerchen machen könnte. Doch dazu kommt sie nicht. "Ich habe Kinder, die aus der Schule kommen", sagt sie. Heißt: Sie muss Mittagessen kochen und für den Nachwuchs da sein. Schließlich ist sie täglich zwölf Stunden im Geschäft, und wann, wenn nicht über Mittag, sollte sie einmal Zeit für ihr eigenes Leben haben?

Diese Frage stellt sich nicht nur Susanne Ludorf, sondern wohl jeder andere Selbstständige im Einzelhandel. Dennoch hat jeder von ihnen eine eigene Antwort darauf gefunden. Von Ort zu Ort und von Laden zu Laden gibt es die unterschiedlichsten Regelungen. Mittagspausen von 12.30 bis 14 Uhr sind ebenso möglich wie längere Auszeiten bis 15 Uhr. Mancher Geschäftsinhaber öffnet komplett durchgängig, der andere schließt montags bereits um 12 Uhr und bleibt am Nachmittag geschlossen, während an den restlichen Wochentagen die Ladentür bis 18 Uhr geöffnet bleibt.

Für die Kunden ist das nicht immer nachvollziehbar. Sie stehen oft überraschend vor verschlossenen Türen, weil sie keinen Überblick darüber haben, wer wo bis wann geöffnet hat. Einzelhandelsverbände versuchen deshalb schon seit Jahren, ihre Mitglieder auf eine bessere Absprache einzuschwören - wenn auch ohne Erfolg. Dabei ist laut Heinz-Georg Frieling, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Harz-Heide in Lüneburg, nichts wichtiger als ein einheitliches Bild. "Wenn es eine Kernzeit gibt, in der alle Geschäfte in einem Ort geöffnet haben, können sich die Kunden viel besser orientieren", sagt er.

Mittagspausen hält er dabei für nicht mehr zeitgemäß. Jedoch räumt er ein, dass es im dünn besiedelten ländlichen Raum mit wenig Laufkundschaft anders aussehe als in der Stadt, wo es viel Leute gebe, die aus dem Büro kommen und beispielsweise schnell Besorgungen erledigen oder einen Happen essen wollen.

Entsprechend sind die Strukturen. Von den 150 Mitgliedsbetrieben im Einzelhandelsverband, die in der Stadt Lüneburg säßen, habe seines Wissens niemand über Mittag geschlossen. In den Dörfern sei das weitaus häufiger der Fall.

"Wenn man Veränderungen durchsetzen will, braucht es einen langen Atem", betont Frieling. Ladenbetreiber, die die mittägliche Ruhepause abschaffen wollen, könnten das nicht lediglich ein paar Wochen lang probieren. "Im Schnitt braucht der Kunde ein Jahr, um sich an andere Zeiten zu gewöhnen." Diesen langen Atem hätten viele Geschäftsleute jedoch nicht und gäben nach einiger Zeit wieder auf - eben mit dem Argument, dass die Kundschaft die Änderung nicht angenommen habe, obwohl sie in Wahrheit noch gar nicht zu ihr vorgedrungen war. In Frielings Augen ein Teufelskreis.

Auch Susanne Ludorf hat mehrfach versucht, ihren Buchladen durchgängig zu öffnen. Es würde sich aber nicht rentieren, weil sie den Zusatzverdienst gleich wieder in das Personal stecken müsste, das für die längeren Öffnungszeiten nötig wäre, sagt sie. Sie stuft es gewissermaßen als Luxus ein, über Mittag zu schließen, auch wenn einige Kunden murren. Recht machen könne sie es aber sowieso nicht jedem und als Selbstständige könne sie auch selbstständige Entscheidungen treffen. "Und diese Freiheit nehme ich mir."

Für andere Gewerbetreibende ist die Mittagspause sogar ohne Alternative. "Ich stehe sechs Tage die Woche um halb fünf auf", sagt Rüdiger Maack, Inhaber der Landschlachterei Maack in Eversen-Heide, das zur Samtgemeinde Hollenstedt gehört. Wenn er den langen Arbeitstag bis etwa 19 Uhr durchstehen wolle, müsse er sich mittags eine Stunde hinlegen. Im Gegensatz zur gängigen Meinung, eine Mittagspause sei antiquiert, hält Maack sie sogar für zukunftsweisend. Für den Biorhythmus sei es gut, sich am frühen Nachmittag hinzulegen. "Eigentlich sollte jeder eine Mittagspause machen."

Die Tatsache, dass Eversen-Heide ein verträumtes Örtchen ist, in dem tagsüber kaum etwas passiert, tut bei Maacks Entscheidung ihr Übriges. Dasselbe gilt für Stefan Heins, Inhaber der Bäckerei Johannsen in Moisburg, und Heinrich Somfleth, Betreiber des kleinen Edeka-Ladens in Mittelnkirchen im Alten Land. "Über Mittag haben wir kaum Kundschaft", sagt Heins, der täglich von drei Uhr an in der Backstube steht und auch deshalb auf die Mittagsruhe angewiesen ist. Das gleiche Bild in Mittelnkirchen: "Ich steh hier allein", sagt Somfleth, der das Geschäft seit 1965 betreibt. Dass er mittags schließe, habe schlichtweg mit seiner Kondition zu tun.

Derartige Argumente sind auch Wolfgang Schnitter bekannt. Der Erste Vorsitzende des Wirtschafts- und Gewerbeverbands im Landkreis Harburg hat bereits mehrfach relativ erfolglos mit den Einzelhändlern über einheitlichere Öffnungszeiten gesprochen und glaubt mittlerweile, dass letztlich der Markt selbst die Sache am besten regeln kann. Wenn ein Händler im Ort über Mittag aufhabe, sehe sich die Konkurrenz dazu ebenfalls gezwungen, um keine Kundschaft zu verlieren. Er muss nachziehen, und so kommen die einheitlichen Öffnungszeiten quasi von selbst. Dennoch betont auch er, dass für Städte wie Buchholz oder Winsen mit ihren Fußgängerzonen andere Maßstäbe gelten als fürs flache Land.

Für viel wichtiger als den Verzicht auf die Mittagspause hält Schnitter jedoch längere Öffnungszeiten am Abend. Südlich der Elbe gebe es viele Auspendler, die in Hamburg arbeiten. "Und wenn sie abends nach Hause kommen, haben viele Läden bereits zu." Ihnen bliebe dann nur die Möglichkeit, auf ihrem Heimweg von Hamburg einzukaufen oder auf der grünen Wiese - zum Nachteil der Einzelhändler im Ort.