Der bayerische Opernsänger Christoph von Weitzel singt deutsche Volkslieder aus sieben Jahrhunderten. Am Mittwoch kommt er ins Stadeum.

Stade. Wenn Christoph von Weitzel am Mittwoch, 25. April, um 19.45 Uhr im Stadeum in Stade auftritt, singt und kommentiert der bayerische Bariton die schönsten deutschen Volkslieder. Dabei ist Volkslied auf keinen Fall mit volkstümlicher Musik zu verwechseln. Was die Konzertbesucher erwartet und warum deutsche Volkslieder so faszinierend sind, darüber spricht von Weitzel vorab im Interview.

Hamburger Abendblatt: Herr von Weitzel, ihr Programm trägt den Titel "Schläft ein Lied in allen Dingen", benannt nach einem Gedicht von Joseph von Eichendorff. Was haben die Besucher sich darunter vorzustellen?

Christoph von Weitzel: Ich werde die Zuschauer zunächst einmal kurz in die Thematik einführen und erklären, was ein Volkslied überhaupt ist. Die Leute werden dabei merken, dass es kaum ein Thema des Lebens gibt, das darin nicht verarbeitet wurde. In jedem kleinen Ding schlummert also ein Lied. Das ist im Grunde auch meine kleine Botschaft an die Menschen, dass sie das wahrnehmen und die Inhalte der Lieder wieder für sich entdecken.

Wenn Sie den Menschen erzählen, dass Sie Volkslieder singen, denken dann viele ans Musikantenstadl?

Von Weitzel: Leider. Sendungen wie das Musikantenstadl haben den Begriff des deutschen Volksliedguts besetzt und zum Teil auch diskreditiert. Das hat mit den Liedern und den Inhalten oft nichts mehr zu tun. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht gegen das Musikantenstadl. Aber gegen die Begrifflichkeit habe ich manchmal anzukämpfen.

Das Volkslied wird also missverstanden.

Von Weitzel: Es genießt in der Gesellschaft auf jeden Fall nicht den Stellenwert, den es meiner Meinung nach eigentlich einnehmen sollte. Es ist eines unserer schönsten immateriellen Kulturgüter und es ist im Grunde genommen schade, dass die moderne Unterhaltungsindustrie uns so fern von unseren musikalischen Wurzeln führt - wo das Gute doch so nahe liegt.

Können Sie sich erklären, warum das Volkslied über die vergangenen Jahrzehnte so in Vergessenheit geraten ist?

Von Weitzel: In der Nachkriegszeit waren viele Lieder verpönt, weil sie im Nazideutschland missbraucht oder sogar zu Propagandazwecken genutzt wurden. Dann kamen irgendwann die 68er, die Volkslieder sowieso ganz furchtbar und spießig fanden. Dazu lässt das Singen in den Schulen seit den 70er-Jahren enorm nach. Viele Kinder kennen das gar nicht mehr. Auch das ist mein Anliegen mit diesem Programm, ich möchte die Menschen dazu ermutigen, selber wieder zu singen.

Welche Lieder singen Sie in Stade?

Von Weitzel: Volkslieder aus sieben Jahrhunderten. Es geht in meinem Programm um die Lebensreise eines Menschen, also von der Geburt bis zum Tode und vom Morgen bis zur Nacht. Deswegen kommen sowohl Kinderlieder als auch Lieder über den Tod vor. Den Tod habe ich bewusst nicht ausgenommen, weil er genauso zum Leben gehört. Das älteste Lied stammt übrigens aus dem Jahr 1320. Manchmal ist man ganz verblüfft, wie alt die Lieder sind.

Weil die Themen bis heute aktuell sind?

Von Weitzel: Oh ja, die Themen sind nach wie vor die gleichen. Es geht um Liebe, Freud und Leid, Himmel, Hölle und Glauben, um Beziehungen untereinander, aber es gibt natürlich auch Trinklieder oder Wanderlieder. Die Themen, die uns Menschen beschäftigen, haben sich über die Jahrhunderte nicht verändert.

Haben Sie an den Liedern, die Sie vortragen, Veränderungen vorgenommen?

Von Weitzel: Melodien und Texte sind komplett authentisch. Wir haben aber, um die Strophen und ihre verschiedenen Aussagen lebendig zu gestalten, die Rhythmik leicht verändert und kleine, virtuose Zwischenspiele eingefügt. Das macht die Sache sehr lebendig.

Das deutsche Volkslied ist in Ihren Augen ein Kulturgut, ist es vielleicht sogar eine Kunstform?

Von Weitzel: Ein Kulturgut auf jeden Fall. Und es ist es ein Gemeingut von so großer Qualität, dass es auch eine Kunstform sein kann. Gottfried Herder hat einmal gesagt, welche Qualität das deutsche Lied hat, erkenne man an "Der Mond ist aufgegangen". Das kann ich nur bestätigen. Ich war letztes Jahr für einen Liederabend in Neuseeland, wo ich große Komponisten wie Schumann und Brahms gesungen habe. Als Zugabe habe ich "Der Mond ist aufgegangen" gesungen. Die Zuhörer waren so ergriffen, dass ich dort nun mit diesem Volkslieder-Abend wieder eingeladen wurde.

In Neuseeland?

Von Weitzel : Ja. Ich werde dieses Programm nächstes Jahr auch in Südafrika einige Male aufführen. Den Leuten in Neuseeland habe ich damals auch kurz erzählt, worum es in dem Lied geht, und sie waren begeistert.

Hat nicht jede Kultur ihre Volkslieder?

Von Weitzel: Im Grunde schon. Natürlich hat sich ihre Form und Gestalt ganz unterschiedlich entwickelt, aber geben tut es sie bei fast allen Völkern und in beinahe jeder Sprache. Aber der deutsche Begriff "Lied" ist eben international bekannt, auch die Engländer sagen "the german Lied".

Wie sind Sie zum Volkslied gekommen?

Von Weitzel: Ich hatte das Glück, als Kind eine Lehrerin zu haben, die mit uns ungeheuer viel gesungen hat. Die Begeisterung für Volkslieder kommt im Grunde daher. Aber auch meine Familie hat mit Herzenslust gesungen. Daraus einen Liederabend zu machen, ist allerdings schon etwas exotisch. Ich bin da im Moment wohl der Einzige. Am Anfang haben meine Freunde alle gedacht, ich spinne jetzt komplett, Volkslieder im Konzertsaal, wer soll dahin gehen. Mittlerweile ist es von meinen Programmen das am besten gebuchte.

Haben Sie ein Lieblings-Volkslied?

Von Weitzel: Da gibt es einige. "Der Mond ist aufgegangen" war immer eins meiner Lieblingslieder. Während des Zusammenstellens dieses Programms habe ich aber auch ganz viel Neues entdeckt, zum Beispiel das wirklich rührende Liebeslied "All mein Gedenken". Darin geht es um die Erkenntnis, dass es erst dann wirklich Liebe ist, wenn man den anderen so nimmt, wie er ist. Wenn man sieht, was heutzutage als Liebeslied gilt... (lacht). Das ist schon verrückt.

Gibt es heute noch Lieder, die in 100 Jahren ein Volkslied sein könnten?

Von Weitzel: Sicherlich. Ab und an habe ich etwas im Radio gehört, bei dem ich mir das vorstellen könnte. Andererseits ist heute alles extrem schnelllebig, und die Musikbranche ist so industrialisiert und kommerzialisiert, dass da meistens leider keine tragfähigen Inhalte kommen. Selbst Musicals laufen doch meistens nur ein paar Jahre.

Wenn Sie könnten, was würden Sie sich für das Deutsche Volkslied wünschen?

Von Weitzel: Ich würde mir wünschen, dass jeder Mensch, der in irgendeiner Weise eine musikalische Ader hat, ein Lied findet, dass ihm den Zugang zu diesem Genre bereitet.

Karten für das Konzert kosten zwischen 14,70 und 19,10 Euro und sind unter 04141/40 91 20 erhältlich.