Seine Partei steht am Abgrund. Walter Hirche, Ehrenvorsitzender der FDP im zweitgrößten deutschen Bundesland, sucht im Abendblatt-Interview nach Gründen und zeigt Auswege auf

Seevetal. 1,2 Prozent: Die FDP ist bei der Landtagswahl im Saarland in den Bereich des kaum noch Messbaren abgestürzt. Angesichts schlechter Prognosen auch für die noch anstehenden Abstimmungen in anderen Bundesländern hat Niedersachsens Ex-Wirtschaftsminister Walter Hirche die Parteibasis in Maschen zehn Monate vor der Landtagswahl auf liberale Grundwerte eingeschworen. Zuvor hat der 71 Jahre alte FDP-Ehren-Landesvorsitzende dem Hamburger Abendblatt ein Interview gegeben. Die Partei, so seine Kritik, habe zu lange auf ein einziges - und auf das falsche -Thema gesetzt.

Hamburger Abendblatt:

Herr Hirche, einer aktuellen Infratest-Umfrage zufolge käme die FDP in Niedersachsen, wären jetzt Landtagswahlen, auf drei Prozent. Ein ziemlich schlechter Wert.

Walter Hirche:

Das ist eine Herausforderung für die FDP. Es erinnert mich an die Zeit, in der ich in Niedersachsen aktiv geworden bin. Damals standen wir auch so schlecht da. Wir haben es dann wieder geschafft, Anerkennung in der Öffentlichkeit zu finden. Dafür muss man Themen setzen, und diese Themen sind meiner Einschätzung nach auf Landesebene vor allem die Bildungs- und die Wirtschaftspolitik und auf Bundesebene die Europapolitik, die internationale Politik und natürlich wiederum die Wirtschaftspolitik. Denn letztlich entscheidet sich am Arbeitsmarkt, ob es in Deutschland sozial gerecht zugeht oder nicht.

Bei der letzten Landtagswahl hatte die FDP gute acht Prozent. Sind seitdem keine Themen gesetzt worden, oder was ist schiefgelaufen?

Hirche:

Wir haben immer große Aufs und Abs erlebt. Das ist so wie Ebbe und Flut. Hinzu kommt, dass eine Politikergeneration abgetreten ist und neue Leute gekommen sind. Die müssen jetzt nachweisen, was sie im Einzelnen können. Je mehr sie das anhand konkreter Themen zeigen, desto mehr Anerkennung wird auch die FDP wieder finden. Wir leiden außerdem darunter, dass wir nach der letzten Bundestagswahl viel zu lange am Thema Steuersenkung festgehalten haben, das im Grunde genommen von der Zeit überholt worden ist. Heute geht es darum, wie der Euro stabil bleibt und wie die Schulden abgebaut werden können. Wir sehen in der Auseinandersetzung mit Rot-Grün, dass dort andere Akzente gesetzt werden, dass sich die SPD einem schnellen Schuldenverbot verweigert. Diese Auseinandersetzung wird auch dazu beitragen, dass die FDP wieder anders beurteilt wird.

Hat die FDP in Niedersachsen die richtigen Leute? Die Landespolitiker der neuen Generation, heißen sie nun Bode oder Birkner, kennt ja kaum jemand.

Hirche:

Das ist richtig, die sind relativ neu im Geschäft. Aber ich bin davon überzeugt, dass beide in der Sache ihre Arbeit gut machen. Es dauert immer eine gewisse Zeit, bis man bekannt wird. Ich musste das auch feststellen - vor 40 Jahren. Und angesichts der Tatsache, dass wir heute eine noch stärkere Personalisierung auf einzelne Spitzenpolitiker haben als früher, ist es auch schwerer. Ich glaube aber, dass sich der neue Umweltminister Birkner in Gesprächen mit den verschiedensten Verbänden noch einen sehr guten Namen machen wird. Und bei Bode, dem Wirtschaftsminister, wird am Ende alles davon abhängen, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt.

Sie sind der politische Ziehvater Philipp Röslers. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?

Hirche:

Er hat den Versuch einer Umsteuerung unternommen, nachdem Westerwelle zu lange auf dem Thema Steuersenkung herumgeritten ist. Ein weiterer Schritt wird das Grundsatzprogramm sein, das wir im April verabschieden und in dem wir eben auf neue Themen setzen. Und: Ich glaube schon, dass Rösler, insbesondere in den heftigen Diskussionen um die Nominierung Herrn Gaucks als Bundespräsident, eine ruhige und klare Hand bewiesen hat.

Stichwort Gauck: Sind Sie zufrieden?

Hirche:

Hochzufrieden. Sein Leitprinzip "Freiheit und Verantwortung" hätte die FDP nicht besser formulieren können.

In Schleswig-Holstein versucht sich die FDP zu profilieren, indem sie sich am Koalitionspartner reibt. In Niedersachsen betont Fraktionschef Christian Dürr eher die Gemeinsamkeiten mit der Union. Welcher Weg ist der richtige?

Hirche:

Das kommt auf die Themen an, und natürlich spielen auch die Personen eine Rolle. In Niedersachsen haben wir immer versucht, kooperativ zusammenzuarbeiten. Nun muss man wissen, dass sich sowohl Rösler und McAllister als auch Bode und McAllister seit langem kennen und damit auch eine andere Basis gegeben ist als in Schleswig-Holstein, wo der Alters- und vor allem der Mentalitätsunterschied viel größer ist. Ein Herr Carstensen ist ein ganz anderer Typ als ein Herr Kubicki. Aber auch in Niedersachsen gibt es Streitthemen in der Koalition. In der Frage, wie wir Flüchtlinge behandeln, haben wir zum Beispiel ständig eine Kontroverse mit dem Innenminister. Aber wir versuchen, das einvernehmlich zu lösen. Denn für die Bürger ist nicht wichtig, dass Probleme im Streit beschrieben, sondern dass sie gelöst werden.

Zur Landtagswahl wird wohl eine Partei antreten, die sich zumindest in ihrer Selbstwahrnehmung als liberaler bezeichnet als die FDP. Sind die Piraten eine ernste Konkurrenz?

Hirche:

Die sagen ja von sich selbst, dass sie noch immer eine Ein-Thema-Partei sind, die im Wesentlichen das Thema Internet besetzt. Das wird sich ändern, so wie sich das auch bei den Grünen geändert hat. Aber bis jetzt machen die Piraten nicht den Eindruck, dass sie in anderen Feldern der Politik liberal sind. Sie sind, was das Internet betrifft, gegen alle Grenzen, gegen alle Regeln. Das aber war nie die Position des Liberalismus. Wir sind für die Freiheit, meinen aber, dass Freiheit nur im Rahmen von Ordnung existieren kann. Ich muss Transparenz haben, ja, ich muss aber auch das geistige Eigentum respektieren, denn wenn ich das nicht mehr tue, ist das ein Anschlag auf die Kreativität in der Gesellschaft. Und ich glaube nicht, dass dieser Ansatz der Piraten auf Dauer trägt. So gern sich junge Leute alles Mögliche aus dem Internet herunterladen: Es kann kein gesellschaftliches Prinzip sein, dass ich das, was mir gefällt, einfach mitnehme. Freiheit ist etwas anderes als Schrankenlosigkeit.

Welche Chancen räumen sie den Piraten ein?

Hirche:

Das muss man abwarten. Es gab immer wieder Wellen, die einzelne Parteien hochgespült haben, insbesondere hier nahe Hamburg ist das ja besonders deutlich geworden. Diese Parteien haben sich eine kurze Zeit gehalten und sind dann wieder in der Versenkung verschwunden. Niedersachsen als Flächenland ist da in mancher Hinsicht auch bedächtiger als die Großstädte. Wenn man in sich ruht, ist das vorteilhafter als Hektik.

Wie ist ihre Prognose für die Landtagswahl?

Hirche:

Ich hoffe sehr, dass die FDP sicher in den Landtag kommt. Und dann muss man sehen, wie die Karten gemischt sind. Wenn die FDP ausfällt, gibt es Rot-Grün. Illusionisten in der CDU meinen, dass es dann eine große Koalition gibt. Das sehe ich überhaupt nicht.

Vielen Dank für das Gespräch.