Hasan Gülmez repariert Taxis, kann aber auch historische Instrumente instand setzen. Jetzt kommen Taxifahrer, um Unterricht zu nehmen.

Wilstorf. Jede Woche kommt Taxifahrer Saban Yilmaz in die Autowerkstatt. Das wäre ärgerlich, wenn mit seinem Wagen etwas wäre, aber das Gefährt ist aus Schwaben und muckt eher selten. Saban Yilmaz kommt, um an sich selbst zu arbeiten. Werkstattinhaber Hasan Gülmez begrüßt ihn. Vor der Hebebühne steht ein Tisch, darauf Teegläser und ein großes Paket Würfelzucker. Der Duft des Schwarztees mischt sich mit dem von Schmierfett und Schweißschlacke. Herr Yilmaz winkt in die Runde. Seine Kollegen Fevzi Kocuk, Shahran Fakhim und Mustafa Nar sind auch schon da. Gemeinsam üben sie das Spiel auf der Baglama, der türkischen Langhals-Laute. Die Baglama ist weithin unter dem Namen "Saz" bekannt, aber dieses aus dem Persischen stammende Wort bedeutet eigentlich nur "Musikinstrument".

In der Runde wird viel gelacht, die Männer wechseln fließend die Sprachen, vom Türkischen ins Deutsche und zurück. Herr Gülmez ist dabei nicht nur Gastgeber, sondern auch Lehrer. Jeden Sonnabend unterrichtet er die vier Taxifahrer, weitere drei Tage in der Woche musiziert er noch mit anderen.

+++ Der Graf: Unheilig-Erfolg war schwer zu ertragen +++

Die Kutscher kennen Hasan Gülmez, weil er Autoteile verkauft und eine Werkstatt hat. Dass er auch noch ein Musikexperte ist, fiel ihnen erst vor ein paar Jahren auf, als neben Ventildeckeldichtungen und Zündkabeln auf einmal Violinen und eine Zither hingen.

Die Zither spielt Gülmez in einem Ensemble für klassische türkische Musik, aber mindestens genauso sehr hängt sein Herz an der türkischen Volksmusik. Auch die ist mit ihren triolenlastigen Rhythmen und einer Melodik, die hier und da auf Viertelton-Intervalle zurückgreift, technisch und theoretisch anspruchsvoll.

Dass die Instrumente eines Tages in Hasan Gülmez' Geschäft an der Jutestraße hingen, hängt mit der internationalen Bankenkrise und der deutschen Abwrackprämie zusammen: "Ich hatte auf einmal viel Zeit", sagt Hasan Gülmez, "die Leute kauften kaum noch Ersatzteile, es gab nicht mehr so viele Autos zu reparieren."

Damit er sich nicht langweilte, nahm er sich sein Hobby mit in den Laden. "Ich mache Musik, seit ich 20 bin", sagt Hasan Gülmez. Das gibt ihm 32 Jahre Erfahrung. "Mein erstes Musikinstrument war eine Baglama, die ich für 40 Mark auf dem Flohmarkt gekauft hatte."

Da war Hasan Gülmez schon drei Jahre in Deutschland. Seine Eltern hatten ihn mit 17 Jahren aus der Schwarzmeerregion nach Hamburg nachgeholt, nachdem er in der Türkei die Oberschule abgeschlossen hatte.

"Mein Schulabschluss galt hier aber gar nichts. Außerdem konnte ich kein Wort Deutsch", erinnert er sich. Was andere als Dämpfer ansehen würden, nahm der junge Hasan als Herausforderung. Und dass er sich Herausforderungen stellt, hat ihm in seinem Leben schon öfter geholfen - genauso wie seine Art, solche Herausforderungen anzunehmen, nämlich mit großer Gründlichkeit.

Nur zwei Jahre, nachdem er ohne Sprachkenntnisse und anerkannten Schulabschluss angekommen war, war Hasan Gülmez Verkäufer in einem seinerzeit namhaften Kaufhaus, und nach kurzer Zeit leitete er dort die Fotoabteilung. Technisches Verständnis hatte er mitgebracht und sich den Rest des Fachwissens angelesen.

Nachdem das Kaufhaus für immer geschlossen und Gülmez eine Weile hier und da herumgejobbt hatte, kam er bei einem mittelständischen Autoteilehändler unter. Auch hier eignete er sich schnell das nötige Fachwissen an und lernte in der angeschlossenen Servicewerkstatt, das Wissen umzusetzen. Als diesmal der Arbeitgeber den Laden schloss, war Gülmez so weit, dass er ein eigenes Geschäft eröffnen konnte. 1993 war das, in Schneverdingen, 1999 zog er an die Jutestraße in Wilstorf. Schnell hatte er viele Stammkunden - unter anderem seine Taxifahrer, die aus ganz Hamburg zu ihm kommen - und schnell sprach sich herum, dass Gülmez außer Autos auch alles mögliche andere reparieren kann.

"Vor einigen Jahren kam dann jemand zu mir und zeigte mir ein beschädigtes Musikinstrument", sagt Gülmez. "Ich erkannte es als Kniegeige, aber so eine hatte ich noch nie zuvor gesehen."

Eine Kniegeige klemmt sich der Musiker nicht unter das Kinn, sondern er spielt das Instrument auf dem Oberschenkel abgestellt - aufrecht, wenn er wie ein moderner Türke auf einem Stuhl sitzt oder diagonal, wenn er wie ein Osmane im Schneidersitz spielt. Die Kniegeige hat für die verschiedenen Haltungen auch unterschiedlich lange Stützen. In der Türkei sind Kniegeigen mit Kürbis-Klangkörpern weit verbreitet. Diese jedoch hatte eine Kokosnuss als Korpus.

Hasan Gülmez recherchierte und fand heraus, das die Kokosnussvariante die Urform der Kniegeige war. Der Religionslehrer, Philosoph und Dichter Rumi hatte die Kokosnusskniegeige vor 800 Jahren von seinen Wanderschaften mit in die Türkei gebracht, wahrscheinlich aus Indien. Für einen Dichter wie Rumi waren Musikinstrumente unverzichtbar, denn seinerzeit wurden Gedichte im Orient nicht einfach rezitiert, sondern begleitet gesungen. Gülmez' Interesse war geweckt, und er nahm die Herausforderung an. "Kaputt war das Instrument ja schon", sagt er. "Ich konnte also nichts schlimmer machen." Zeit hatte er dank der Finanzkrise auch.

Die Krise ist zum Glück Geschichte. Die Kniegeige ist mittlerweile längst wieder heil - und in seinem Besitz. Zahlreiche andere Instrumente hat Gülmez seitdem ebenfalls restauriert, einige sogar komplett neu gebaut. Internetrecherche und Reisen in die Türkei helfen ihm dabei, ständig besser zu werden. Einige der von Gülmez restaurierte Instrumente befinden sich mittlerweile in Museen und an Musikhochschulen. Seine Materialien besorgt Hasan Gülmez auf höchst unterschiedliche Weisen: Das Fischleder für die Kniegeigen - über der Halbkugel aus Kokos oder Kürbis schwingt die Haut des Schwarzmeerstörs - muss er importieren. Das Mahagoni für die Lautenhälse bekommt er hingegen vom Bauschutt. "Alte Fensterrahmen eignen sich hervorragend", sagt Gülmez, "so wird auch der Urwald geschont."

In der kurzen Zeit, die er - ja auch nur nebenbei - Instrumente baut und repariert, hat Hasan Gülmez schon einige Verbesserungen in den Lautenbau eingebracht. So lässt er die Decke in den Fichtenkorpus ein, statt sie aufzuleimen, und verlängert den Hals bis zum anderen Korpusende. "Das verleiht dem Instrument einen wärmeren Klang und mehr Stabilität", sagt er. "Viele der in der Türkei hergestellten Instrumente vertragen unser Klima nicht und gehen aus dem Leim. Diese Veränderungen wirken dem entgegen."

Neben den türkischen Instrumenten hängen in Hasan Gülmez' Autowerkstatt auch einige "normale" Violinen, die er hier zur Reparatur hat, und die er auch spielen kann. Was die westliche Klassik angeht, gehört Gülmez zu den Verfechtern der barocken Stimmung: "Wenn man das a etwas tiefer, auf 434 Hertz, stimmt, ergibt sich ein warmes, weiches Klangbild im Ensemble, sagt er.

Seine Taxifahrer ficht das wenig an. Sie sind, trotz besten Mannesalters größtenteils Anfänger und haben ganz andere Probleme - aber jede Menge Spaß daran, wenn Hasan Gülmez ihnen geduldig komplexe Rhythmen erklärt. So macht es Freude, jede Woche in die Werkstatt zu fahren.