Neue Funktion: Einen Fernsprecher gibt es nicht mehr, stattdessen haufenweise Literatur. Fast 70.000 Besucher sind schon da gewesen.

Buxtehude. Ob Tag oder Nacht, Weihnachten oder Ostern - die Telefonzelle auf dem Buxtehuder Stavenortplatz ist allzeit bereit, ihre Dienste können jederzeit genutzt werden. Wie früher. Nur ein Telefon suchen Passanten darin vergeblich. Aber das wissen die Menschen in der Region. Sie wissen ebenso: Aus der Fernsprechzelle ist eine Tauschbücherei geworden, eine gelbe Bücherzelle sozusagen. Knapp 70.000-mal ist die in den zurückliegenden bald zehn Jahren besucht worden.

"Dass das Projekt so lange so erfolgreich laufen würde und wir eine konstante und hohe Besucherzahl haben würden, hätte ich zu Beginn nicht gedacht. Obwohl ich natürlich von der Idee überzeugt war", sagt Bernd Utermöhlen. Er ist der Leiter des Stadtarchivs Buxtehude und einer der Initiatoren der Tauschbücherei. Den Erfolg erklärt er sich so: "Wir geben den Leuten einen Vertrauensvorschuss, und viele Menschen wissen das zu schätzen."

Vertrauen heißt: Für die Tauschbücherei gibt es keine strikten Regeln. Keine Öffnungszeiten, keine Aufsicht, keine Anmeldung. Die Idee, die dahinter steckt ist einfach: Wer sich ein Buch nimmt, stellt ein anderes an dessen Platz. "Das muss allerdings nicht immer eins zu eins eingehalten werden", sagt Horst Köhnke, Mitarbeiter im Stadtarchiv.

Genutzt werde das Angebot von Jung und Alt, von Anzugträgern und Obdachlosen, sagt Köhnke. Eine der Stammbesucherinnen der Bücherzelle ist Gerda Rehle. Gerade kommt sie mit drei Büchern in einem Stoffbeutel an. Sie stellt die Bücher ins Regel, lässt ihren Blick über die Bücherrücken schweifen, kommt wieder heraus und sagt: "Heute war nichts für mich dabei. Ich habe zu Hause auch noch genug Vorräte." Die 72-Jährige aus Ahrensmoor kommt jedes Mal, wenn sie in Buxtehude ist, zum Platz vor dem Stadtarchiv. "Die Tauschbücherei ist eine tolle Sache, die mich seit Jahren begeistert", sagt Rehle.

Die Beweggründe von Nutzerin Margret Vosgerau aus Buxtehude sind schnell klar. Sie bringt an diesem Tag eine ganze Tasche voll Bücher vorbei: "Die sind zu schade für den Mülleimer, aber ich kann sie nicht mehr gebrauchen. Ich bringe sie hierher, weil ich weiß, dass sich irgendjemand darüber freuen wird. So wie ich mich dann und wann über ein gutes Buch aus der Telefonzelle freue." Manches Mal, so sagt die 66-Jährige aus Buxtehude, sei die Telefonzelle so voll, dass sich die Bücher auf dem Boden stapelten.

Diese Situationen kennt auch Robert Meyer, 69, aus Buxtehude. Er ist circa einmal pro Woche vor Ort, um zu schauen, was es Neues gibt. Immer wieder, so sagt er, sei er erstaunt, dass sich das Angebot so schnell ändere. Diese Feststellung bestätigt Horst Köhnke vom Stadtarchiv. "Von einer Woche zur anderen Woche ist das Sortiment oft komplett ausgetauscht."

Köhnke hat ab und zu ein Auge auf die Telefonzelle, die auch nachts beleuchtet ist. "Durch die Arbeit im Stadtarchiv hat man einen geschulten Blick. Ich überprüfe regelmäßig, ob ich etwas aus der nationalsozialistischen Zeit oder etwas Pornografisches im Regal sehe. Beides würde ich sofort entfernen." Zum Glück kommen solch Fälle nicht oft vor. In der Regel gibt es hier Romane, Lexika, Sachbücher, Krimis, aktuelle Werke und Klassiker. Neben den Büchern stehen mal Kinderspiele, DVDs, CDs, Videokassetten oder Zeitschriften in den Regalen. "Das ist zwar nett gemeint, aber grundsätzlich wünschen wir uns die Bücherei voll mit - wie es der Name schon sagt - Bücher", sagt Bernd Utermöhlen.

Angefangen hatte alles als Begleiterscheinung einer Bücherausstellung Hans-Uwe Hansens im Jahr 2003. Der SPD-Politiker und Büchernarr besitzt mehr als 40 000 Bücher. Das war für die Verantwortlichen Grund genug, eine Ausstellung mit dem Titel "Merkwürdiges aus der Büchersammlung von Hans-Uwe Hansen" im Buxtehude Museum zu organisieren. "Wir haben uns gedacht, die Besucher sollen die Bücher nicht nur in Vitrinen sehen dürfen, sondern sie auch anfassen können", sagt Utermöhlen. Aus diesem Wunsch heraus entstand die Idee für die Tauschbücherei, die Hansen und Utermöhlen auch sogleich umsetzten. Durch die Unterstützung eines Bauunternehmers aus Neu Wulmstorf bekamen sie drei Telefonzellen geliefert. Diese wurden zu Tauschbüchereien umfunktioniert. Eine der Bücherzellen stand nur zwei Wochen an ihrem Platz in der Bahnhofstraße, dann wurde sie von Randalierern in Flammen gesetzt. Die andere am Markplatz wurde daraufhin abgebaut und in der Bahnhostraße wieder aufgestellt. Dort stand sie bis 2007, dann fiel auch sie Randalierern zum Opfer.

Jetzt gibt es nur noch die eine Bücher-Telefonzelle in Buxtehude. Diese ist aber auch überregional bekannt. Gerade erst bearbeiteten Bernd Utermöhlen und seine Kollegen aus dem Stadtarchiv wieder eine Anfrage. Die Stadt Schwetzingen im Nordwesten Baden-Württembergs, hatte angefragt, wie die Tauschbücherei angenommen wird und wie viel Arbeit damit verbunden ist. "Auch aus der Region gab es schon Anfragen", sagt Köhnke, "umgesetzt wurde hier im Landkreis bisher jedoch noch nichts." In manchen Städten hätten die Verantwortlichen Sorge, die Stadtbibliotheken würden durch die Tauchbücherei Konkurrenz bekommen. In Buxtehude war und ist das so nicht.

Nette Anekdoten haben die Herren aus dem Stadtarchiv aus den letzten Jahren eine Menge zu erzählen. So gab es eine Frau, die nach Jahren das schlechte Gewissen plagte, da sie sich Bücher ausgeliehen hatte, jedoch keines in die Bücherzelle gestellt hatte. Sie schickte ein Paket mit Büchern zurück. Ein anderes Mal stand eines Morgens ein Dankeschön-Geschenk in der Telefonzelle. Und ein Höhepunkt ist für Utermöhlen nach wie vor ein Radiobeitrag im Bayerischen Rundfunk.