Auch im Norden bestimmt am Wochenende buntes Fastnachtstreiben das Straßenbild. Das will vorbereitet sein. Ein Blick hinter die Kulissen.

Nein, Stade und Stöckte sind mit Köln oder Düsseldorf nicht zu vergleichen. Schon gar nicht aus Sicht der Jecken. Die Zahlen sprechen Bände: Beim berühmten Rosenmontagszug ziehen mehr als 200 Umzugswagen durch Köln. In Stöckte sind es am Sonntag gerade mal 20, und in Stade am Sonnabend noch nicht einmal eine Handvoll.

Ist das bunte Treiben am Wochenende im Norden also nur eine schlechte Kopie des Karnevals am Rhein? Das wollen sich die Faslamsbrüder Stöckte und auch die Stader Fastnachtsgilde nicht sagen lassen. "Wir feiern hier anders als in Köln unformell ohne Büttenreden und bauen unsere Umzugswagen selbst", sagt Jenny Sommer, 30, Pressesprecherin der Faslamsbrüder Stöckte. Und: "Hier heißt es nicht Karneval, sondern Faslam."

Faslam hin, Karneval her. Vor den Straßenumzügen, vor dem ausgelassenen Feiern steht hier wie dort eines: Arbeit. Schon seit Oktober werkeln die Faslamsbrüder in Stöckte an ihren Umzugswagen. Auch in Stade laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Hier ist übrigens auch ein Vergleich mit dem Karneval verpönt. "Wir sehen uns gar nicht als Karnevalsverein", sagt Jürgen Ulrich, 64, Pressesprecher der Fastnachtsgilde. "Die Stader Fastnacht gibt es schon viel länger als den Kölner Karneval." Tatsächlich: Während der Karneval am Rhein seit 200 Jahren gefeiert wird, hat die Fastnachtsgilde ihren Ursprung in einer Brauerknechtsgilde aus dem 16. Jahrhundert.

Weil Stade mit seinem Fastnachtsumzug an diese Tradition anknüpfen will, müssen auch die Kostüme einen Hauch von Historie versprühen. Das gilt vor allem für das Fastnachtspaar Peter Mennken und seine Gertrud. Sie stehen im Mittelpunkt des Interesses. Tausende von Augenpaaren werden auf die beiden gerichtet sein, wenn sie während des Fastnachtszuges am kommenden Sonnabend vom Wagen grüßen.

Keine Frage, dass dieses Paar ein originelles Kostüm tragen muss. Sein Erscheinungsbild hat es der Fingerfertigkeit Angela Gottschalks aus Stade zu verdanken. Die 51-Jährige schneidert nun schon seit sieben Jahren die Kostüme der Stader Fastnachtsgilde. Und so trägt auch das neue historische Paar der Stader Fastnachtsgilde, Nicole Werk, 32, aus Stade und Dennis Arnold, 31, aus Düdenbüttel, am Sonnabend Kleidung aus ihrer Hand.

Angela Gottschalk hat sich die Mode in der Deutschen Renaissance um 1550 zum Vorbild genommen, als sie die Kostüme geschneidert hat. Nicole Werk wird ein langes Kleid mit aufgesetzter Goldborte tragen. Dennis Arnolds Kostüm besteht aus einer für die damalige Zeit typischen Kniebundhose, weißen Strümpfen und einer Jacke. Der Stoff: dunkelgrüner Samt für die Hose und die Jacke, roter Samt und goldfarbenes Jaquard für das Kleid. Allein für das Kostüm Dennis Arnolds musste Angela Gottschalk rund 150 Teile zusammennähen. Als besonders knifflig empfand Angela Gottschalk die Anfertigung allerdings nicht. "Ich hole mir Inspiration aus Büchern, die sich mit Kostümgeschichte und Mode aus vergangener Zeit beschäftigen, und mache es einfach", sagt die blonde Frau mit der ovalen Brille.

Kostüme in perfekter Passform zu fertigen und den Träger so aussehen zu lassen, als sei er einer vergangenen Zeit entsprungen, hat sie nie im herkömmlichen Sinne gelernt. Sie ist Stenotypistin. Das Nähen war zunächst nur ihr Hobby. Mit 14 Jahren hatte Angela Gottschalk ihr erstes eigenes Kleidungsstück genäht: eine Bluse im braun-weiß-gelben Ethno-Muster. Der Stoff kam von Verwandten aus dem Westen. Denn damals hatte Angela Gottschalk noch in Leipzig gewohnt. "Ich wollte etwas anderes tragen als nur Sachen von der Stange", sagt sie. Über die Jahre wurde sie zur Experten.

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Das zeigt auch ein Blick in ihre Werkstatt im Keller ihres Wohnhauses in Stade. Wer bis zum Herzstück der 50 Quadratmeter großen Werkstatt - also bis zur Pfaff-Nähmaschine - vordringen will, kommt an 10 000 Metern Stoff vorbei. An der Wand türmen sich Schachteln mit Knöpfen und Mantelschließern. Daneben reihen sich Spulen mit insgesamt 2000 Metern Schrägband. In vier Schubladen lagert Nähgarn in den unterschiedlichsten Farben. Jede Kiste in der Werkstatt ist beschriftet - Bortenbänder, Kordeln, Reißer, Klett, Gummi. "Mein gepflegtes Chaos", sagt Angela Gottschalk.

Vor 19 Jahren zog sie mit ihrer Familie nach Stade und begeisterte sich sofort für den Fastnachtsumzug. Jedes Jahr nahm die komplette Familie an dem Ereignis teil - natürlich verkleidet. Vor sieben Jahren dann trat Angela Gottschalk in die Stader Fastnachtsgilde ein und nähte sich ihr eigenes Marketenderin-Kostüm: einen langen grünen Leinenrock, dazu eine weiße Bluse und eine rote Samtweste. Damit stach sie unter den Gildeschwestern mit ihrer Kleidung aus preisgünstigem Pannesamt deutlich heraus. Die anderen Gildeschwestern wollten das, was sie hatte, und so fertigte sie die Kostüme neu an.

Inzwischen gehört Angela Gottschalk zur Gilde wie die Gertrud zum Peter Mennken. Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie betreibt ihre eigene Kostümwerkstatt, verleiht Faschingskostüme und fertigt auf Wunsch neue an. Rund 350 selbst geschneiderte Kostüme zählen zu ihrem Repertoire.

Ihre Leidenschaft sind aber historische Kostüme. Und damit ist sie für die Fastnachtsgilde ein Glücksfall. "Seitdem Angela Gottschalk bei uns in der Gilde ist, hat sich auch unsere Kleidung geändert", sagt Nicole Werk. Auch von ihrem eigenen Kostüm ist sie begeistert. "Es ist genau auf mich zugeschnitten."

Es gibt noch eine zweite Gertrud in der Stader Fastnachtsgilde, die für den Umzug von immenser Bedeutung ist: Das Schiff namens Gertrud, das den Fastnachtsumzug am Sonnabend anführt. Das ehemalige Rettungsboot von 1961 wurde nach der Schutzpatronin "die Heilige Gertrud" benannt. "Sie hat gegen Plagen geholfen und die Bierbrauer unterstützt", sagt Knut Friese, 69, Präsident der Gilde. Am Sonntag besteigt die Stader Fastnachtsgilde die "Gertrud" und lässt Bonbons auf die Zuschauer regnen.

Dafür wurde das Antlitz des Schiffs am vergangenen Wochenende aufgehübscht. Eine sechsköpfige Männergruppe der Gilde investierte insgesamt vier Stunden in die Renovierung. Schrauben wurden nachgezogen. Holzplatten erhielten eine neue Versiegelung. Am Ende klebte frische Farbe an der "Gertrud", der Mast stand und mit ihm das Wappen der Fastnachtsgilde. Fertig. Der Umzug kann kommen. Und zwar ohne "Alaaf" und "Helau". In der Hansestadt sagt man: Stade Ahoi!