Gastwirt Hans Peter Stubbe erinnert sich an die schwere Sturmflut vor 50 Jahren. Damals retteten sich 40 Nachbarn in sein Lokal in Jork-Lühe.

Lühe. "An den Tag der großen Sturmflut kann ich mich sehr genau erinnern: Es war Opa Hans-Wilhelms 60. Geburtstag", sagt Hans Peter Stubbe, der als junger Mann die Katastrophe im Februar 1962 in der elterlichen Gastwirtschaft in Jork-Lühe erlebte.

"Doch aus einer Feier wurde nichts." Der Großvater habe am Abend vor der schweren Sturmnacht schon eine Vorahnung gehabt: Das kann diesmal schlimm kommen, habe er gesagt und dass er das Gefühl habe, dass es diesmal schief gehe, erinnert sich sein Sohn Hans Peter, der damals 28 Jahre alt war.

"Die Alten hatten aus Erfahrung ein sehr genaues Gespür für die drohende Gefahr", sagt der Altländer. Der Sturm aus Nordwest war in dieser Nacht extrem und drückte das Elbwasser mit ungeheurer Wucht gegen die Deiche, die durch den Regen zuvor schon stark durchgeweicht waren. Die Ebbe konnte nicht ablaufen und kurz vor Mitternacht lief schon die folgende Flut nach.

"Ein großes Schiff fuhr noch nach Hamburg und verursachte einen starken Schwell, sodass das Wasser an einigen Stellen schon über den Elbdeich lief. Der war damals deutlich niedriger und verlief näher bei den Obsthöfen von Lühe bis Wisch", erinnert sich Stubbe.

Wie seine Vorfahren war auch Hans Peter Stubbe Wirt in "Stubbe's Gasthof", der direkt auf dem Lühedeich deutlich höher stand, als die Häuser der angrenzenden Obsthöfe. "Plötzlich kamen immer mehr Menschen zu uns, die vor dem Wasser auf der Flucht waren, das zwischen dem damaligen Elbdeich und dem Lühedeich anstieg. Mit Kind und Kegel suchten etwa 40 Leute in großer Angst Zuflucht in unserem Gasthof", berichtet der heute 78-Jährige.

"Wir konnten zusehen, wie das Wasser bedrohlich anstieg. An den Treppenstufen am Deich vor der Tür ließen sich die Pegel erkennen. In einer Dreiviertelstunde war das Wasser um sieben Stufen höher gekommen, das war weit mehr, als wir es je gesehen hatten." Der ehemalige Wirt erzählt, wie vorsorglich Lebensmittelvorräte aus dem Keller geholt wurde. Man hatte kurz zuvor zwei Schweine geschlachtet und schleppte alles in großen Wannen in die oberen Räume. "Plötzlich brach der Deich - aber nicht der Elbdeich, sondern unser Lühedeich, nur etwa 500 Meter entfernt von uns."

Ein riesiges Loch klaffte in dem damals noch mit Obstbäumen bewachsenen Schutzdamm. "Das Wasser schoss mit einer gewaltigen Welle durch unsere Kellerräume, drückte Türen und Fenster heraus und bahnte sich seinen Weg überall hin. Die Kinder wurden sicherheitshalber in die oberste Etage gebracht. Unsere Kaninchen in den Ställen vorm Haus konnten wir nicht mehr retten. Bald schlugen die Wellen gegen die Gaststubenfenster."

+++ Februar 1962: Alle Zeichen stehen auf Sturm +++

Etwa 40 Frauen und Männer saßen angstvoll in den Gasträumen. Sie weinten nicht, aber alle blickten in höchster Anspannung auf die schäumenden Wassermassen. "Wir alle hofften, dass wir das heil überstehen", sagt Stubbe. Nach dem Deichbruch verteilte sich das Wasser über die umliegenden Obsthöfe und der Druck der Wassermassen schien nachzulassen.

"Mein Cousin hat später ausgerechnet, dass die Lühe mit etwa sieben Tonnen Druck gegen den Prellhang schlug, nachdem das große Schiff mit seinem Schwell das Werk des Sturms noch verstärkte und den Deich brechen ließ", sagt Stubbe. "Diese Gewalt des Wassers, als die Flutwelle herantoste, werde ich nie vergessen."

Als der erste Schock vorüber war, machten sich etwa 20 Männer auf, um Sand und Stroh zu holen. Hans Peter Stubbe, seinerzeit aktiver Feuerwehrmann, half natürlich mit, die Lücke am Deich so gut es ging zu schließen. Zuvor hatte er mit einigen Nachbarn die Fluttore vor dem Ortsteil Höhen geschlossen, der ebenfalls vom Deichbruch betroffen war und "Land unter" meldete.

"Irgendwie hatten wir am Ende noch großes Glück", sagt der Rentner. "Von den Menschen, deren Häuser unter Wasser standen, blieben die meisten zwischen zwei und acht Tagen in unseren Gasträumen. Sie waren froh, dass sie gerettet waren und wir begannen, uns mit allem selbst zu behelfen."

Die Pegel seien zwar allmählich gesunken, erinnert sich Stubbe, aber nach dem Sturm und der Flut sei klirrende Kälte gekommen. "Überall in den Häusern gefroren Wasser und Schlamm, sodass es für einige der Bewohner zunächst unmöglich war, zurück nach Hause zu gehen." Später erfuhren Hans Peter Stubbe und seine Familie, dass ihr Nachbar Jakob Barfels in seiner Wohnstube ertrunken war.

"Nach so einer Katastrophe sieht man viele Dinge für den Rest des Lebens anders. Man hört genauer auf den Wind, schaut bei extremen Wetterlagen genauer auf das Wasser von Elbe und Lühe und man schläft in den Sturmnächten immer sehr unruhig."

Nach der Sturmflut wurde die Lühemündung verlegt und zur Sicherheit ein Sperrwerk gebaut. Dort war von 1963 an Hans Peter Stubbes Vater Sperrwerkswart. Später übernahm Hans Peter Stubbe das Amt. Heute ist sein Schwiegersohn Günter Schween-Stubbe für die Sicherheit und den Betrieb am modernen Lühesperrwerk mit verantwortlich.