Eine Glosse von Harry Grunwald

Wie schön, dass es die Fernsehwerbung gibt. Fast alle meine Freunde zappen schon bei Beginn der Werbeblöcke entnervt zu einem anderen Sender, ich aber kann mich an der Hochglanz-Welt nicht satt sehen. Anmutige Menschen bewegen sich in wunderschön eingerichteten Wohnungen, alles ist blitzsauber und perfekt aufgeräumt. Und wenn wirklich einmal etwas herumliegt, dann ist es die lässig über den Designer-Sessel geworfene Designer-Jacke. Die Autos sind nagelneu, immer scheint die Sonne, Kinder und Hunde sind artig und gehorsam.

"Du glotzt doch nur den schönen jungen Frauen in der Werbung hinterher", verdächtigt mich meine Frau. Das weise ich entschieden zurück. Wegen der ganz und gar nicht perfekten Zustände in meinem Alltag brauche ich doch einen Trost. Mein Auto ist alt und wollte heute Morgen nicht anspringen, das Wetter ist miserabel, in unserer Wohnung hat sich wieder einmal das Chaos ausgebreitet, unsere Enkelin und der Hund machen sowieso was sie wollen.

Daran wird sich wohl kaum etwas ändern, selbst wenn ich mir noch mehr Fernsehwerbung anschaue. Aber ich bekomme wenigstens eine Ahnung, wie schön und perfekt alles sein könnte. Meine Frau zieht da leider nicht mit, sie hat nur Hohn und Spott für die perfekte Werbe-Welt übrig. "Kein Mensch lebt wirklich so, und ich möchte auch gar nicht so leben", sagt sie. In diesem Punkt werden wir uns wohl niemals einig werden.