Die Hamburgerin Inge Mandos liebt jiddische Alltagslieder. Mit zwei Mitstreiterinnen tritt sie am 7. Januar 2012 in Buxtehude auf.

Buxtehude/Hamburg. Wenn über Volkmusik gesprochen wird, verbinden viele Menschen damit Florian Silbereisen, Heino, Marianne und Michael, die Wildecker Herzbuben und was sonst noch über die Bühnen des Musikantenstadels hüpft. Inge Mandos sieht das anders. Sie ist eine Liebhaberin von, wie sie sagt, "ehrlicher Volksmusik". Das sind, so erklärt sie, vor allem traditionelle jiddische Alltagslieder, die in Familien von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Jene Lieder, die einst einen festen Bestandteil der Volksliedkultur in Deutschland und Europa bildeten, die aber mit dem Dritten Reich und dem Genozid an den Juden ab den 1940er-Jahren in Europa wie vom Erdboden verschluckt waren.

Inge Mandos' große Leidenschaft ist die jüdische Kultur mitsamt ihrer vielfältigen musikalischen Ausprägungen. Seit fast 15 Jahren beschäftigt sie sich mit Jiddisch, mit Klezmer, mit sefardischer und aschkenasischer Musik. Und sie versucht, bei Konzerten diese vielseitige Kultur am Leben zu erhalten. Am Sonnabend, 7. Januar gastiert sie gemeinsam mit der Pianistin Anna Harder und der Rezitatorin Stella Jürgensen von 20 Uhr an im Theater in Hinterhof in Buxtehude. Dann will das Trio mit einem jiddischen Liederabend mit Textrezitationen aus dem preisgekrönten Roman "Bibliothek der unerfüllten Träume" des Schriftstellers Peter Manseau das Publikum für die jüdische Kultur und Geschichte gewinnen.

Inge Mandos ist eher zufällig zur jüdischen Kultur und Musik gekommen. "Ausschlaggebend war meine Ehe, die hat mich damals der jüdischen Kultur näher gebracht", sagt die Hamburgerin. Und das Haus, in dem sie wohnt, steht im Grindelviertel, dort, wo bis in das 20. Jahrhundert die jüdische Gemeinde in Hamburg ihren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Mittelpunkt hatte. Das Haus, in dem sie wohnt, hat, wie sie sagt, eine recht traurige Vergangenheit. Auch dort lebten bis zum Beginn der Deportation der Juden im Dritten Reich Menschen, die dem jüdischen Glauben anhingen. Die fast zwangsläufige Auseinandersetzung mit der Geschichte des Grindelviertels und der Geschichte des Judentums brachte die studierte Germanistin und Historikerin auch bald in Kontakt mit Liedergruppen, die die fast verlorene jiddische Kultur in Deutschland bewahrten.

Für Mandos kam schnell eines zum anderen, und so entwickelte sich ihre Arbeit als Sängerin allmählich zum zweiten Standbein neben dem Lehrerberuf. Doch die Musikkultur der jüdischen Gemeinschaften, der sie sich verschrieben hatte, war für sie nicht einfach zu erarbeiten, mehr noch, sie wurde verwirrender, vertrackter, je weiter Mandos sich in die Materie einarbeitete. "Vieles wurde nur mündlich in den Familien an die nächste Generation weitergegeben. Das Ergebnis war, dass letztendlich viele Variationen ein und desselben Liedes existierten", sagt Mandos.

Mit akribischer Forschungsarbeit, die vor allem in den USA betrieben wird, ist anhand einer Auswertung und Bewertung der vielen verschiedenen Versionen der heute vorhandenen Lieder der ursprüngliche Zustand vor allem jiddischer Musik zu einem guten Teil rekonstruiert worden. Bei dieser Arbeit mussten die historische Sprachentwicklungen und auch die kulturellen Entwicklungen in einzelnen Regionen berücksichtigt werden.

"Das, was von der Musikforschung erarbeitet wurde, ist inzwischen sicherlich sehr nah an den Originalversionen. Dennoch gibt es noch sehr viel Arbeit für die Forschung auf diesem Gebiet", sagt die Hamburgerin. Für sie als Sängerin ist es vor allem schwer, sich den verschiedenen Stilistiken der jüdischen Musik angemessen anzunähern, auch weil sie nicht von klein auf mit dieser Kultur aufgewachsen ist. Es gehe ja auch nicht nur um ein Imitieren der ursprünglichen Musik, sondern auch um ein sinnvolles Interpretieren der Lieder. "Ich will nicht ein Programm emotionslos und kalt abspulen. Das kann man bei dieser Musik zum Glück auch nicht", sagt die Hamburgerin.

Dass ihre Arbeit aber trotz einer akribischen Annäherung an die Originale nicht immer ohne Fehler sein könne, gibt sie unumwunden zu. Ihre Interpretationen müsse sie auch zuweilen korrigieren und ihren und den neueren Erkenntnissen der Forschung anpassen. "Das gehört einfach dazu, wenn man die Musik ehrlich und unverfälscht vortragen will", sagt sie. Doch trotz der ständigen Neubewertung werde ihre Arbeit positiv aufgenommen, auch von jenen, die noch mit der jiddischen Kultur aufgewachsen sind. "Das verwundert mich auch nicht, denn wenn etwas ordentlich gemacht wird, gibt es auch kaum einen Grund, es nicht zu mögen. Die Menschen sagen eher, das kenne ich, das finde ich schön und da fühle ich mich zu Hause", sagt Mandos.

Gerade um das zu-Hause-Fühlen, die wärmenden Worte einer Heimat, darum geht es in vielen Liedern mit askenasischem und sepharischem Hintergrund. Denn die orientalisch geprägte Musik jener Juden, die einst auf der iberischen Halbinsel ihre kulturelle Blüte in den Emiraten und Kalifaten vor 1492 in Spanien erfuhren, ist ebenso wie die askenasische Klezmermusik, die in Mittel- und später auch in Osteuropa das Leben der Juden prägte, vom Thema der Migration geprägt. Denn seit Jahrtausenden ist die Geschichte des Judentums auch untrennbar mit Auswanderung, Vertreibung und Ausgrenzung verknüpft. Und so besangen die Juden in aller Welt die Sehnsucht nach einer Heimat, einem sicheren Platz und einer hoffnungsvollen Zukunft.

Genau dieses Thema greift auch Peter Manseau in seinem Roman auf, den Mandos, Harder und Jürgensen im Theater im Hinterhof in ihr Programm "Sprache ist doch kein Ort" einbinden. In dem Roman nimmt der junge Dichter Itzik Malepesch seine jiddische Muttersprache in einer Kiste voller Bücher und Buchstaben mit nach Amerika, der Welt der unerfüllten Träume und ständigen Hoffnungen. Malepesch bleibt seinen Träumen und dem Jiddischen als geistiger Heimat treu. Seine traurigen und oftmals auch skurrilen Erlebnisse verbinden sich in dem Programm mit den unterschiedlichsten Liedern der jiddischen Tradition, die Inge Mandos mit Thorsten Khiene um die Romangeschichte geflochten hat.

Karten für die Veranstaltung am Sonnabend, 7. Januar, 20 Uhr, gibt es für zwölf Euro im Theater im Hinterhof ( www.theaterimhinterhof.de ), Hauptstraße 34, in Buxtehude.