So teuer werden das geplante Kohlekraftwerk in Stade und die dafür benötigte Infrastruktur. Der Energiebedarf soll damit für 40 Jahre gedeckt werden

Stade. Dow Chemical, ein Weltkonzern. Vor fünfzig Jahren wurde das amerikanische Unternehmen gegründet, im kommenden Jahr ist der Chemiekonzern bereits 40 Jahre in Stade ansässig. 14 Standorte und 13 000 Mitarbeiter zählt der Konzern alleine in Europa, davon sind 1500 in Stade angestellt. Der Konzernumsatz liegt derzeit bei knapp 35 Milliarden Euro pro Jahr. Mit seinen chemischen Produkten beliefert Dow Arzneifirmen, Elektronikhersteller, Lackfirmen, Bekleidungsfirmen, Automobilhersteller und viele mehr. Die Liste ist beinahe endlos lang. Doch seit das Unternehmen bekanntgegeben hat, dass es in Stade ein Kohlekraftwerk errichten will, ist es aus mit der Harmonie und dem Stolz, mit dem die meisten Stader bislang auf "ihre" Dow geblickt haben.

Hohe Netzkosten machen Ökostrom aus Skandinavien für Dow unrentabel

Rolf Nettersheim möchte das bislang so gute Verhältnis der Stader zur Dow wieder in Ordnung bringen. Er ist als Dow-Manager mit der Planung neuer Kraftwerke in Stade beauftragt, Joachim Sellner ist Pressesprecher des Unternehmens in Stade und kommuniziert Nettersheims Ideen nach außen. Nun sprechen sie über das, was sie als das wichtigste Projekt für den Standort bezeichnen.

Beide haben alle Berichte über die Kohlekraftpläne in Stade gelesen, sie kennen die Positionen der Kritiker. Verärgert sind sie nicht über die Vorbehalte gegen den geplanten 1000-Megawatt-Kraftwerkkomplex, das der Konzern in Stade errichten will. "Wir sind mit allen Bürgerinitiativen in ständigem Kontakt, ihre Meinung ist uns wichtig", sagt Sellner. Die Bürgerinitiativen aus der Haseldorfer Marsch, Bützfleth und dem Alten Land verweisen immer wieder auf die befürchteten Emissionsbelastungen und auf das globale Klima. Der öffentliche Druck, die CO2-Emissionen zu vermindern, ist groß. Diesen Druck spürt die Dow. Dennoch: Für den Konzern gibt es nach eigener Auskunft keine Alternative zum Bau eines Kohlekraftwerks an der Elbe.

"Wir können nicht zwanzig Jahre warten, bis die regenerativen Energien so weit ausgebaut und so günstig sind, dass wir vollständig darauf zurückgreifen können", sagt Sellner. Der Konzern stehe in einem harten internationalen Wettbewerb und müsse zukunftsfähig bleiben. "Es geht uns ja nicht um Dogmatismus, sondern um das wirtschaftliche Überleben des Konzerns", sagt Sellner. Die politischen Unwägbarkeiten und die andauernden Preisschwankungen am Energiemarkt stellten für das Unternehmen seit geraumer Zeit ein Risiko dar und zwängen zu einer Reaktion, um auch weiterhin die eigenen Produkte zu einem konkurrenzfähigen Preis auf dem Weltmarkt anzubieten.

"Wir brauchen für die etwa zwei Millionen Tonnen, die wir jedes Jahr an Gütern produzieren, rund um die Uhr 600 Megawatt an Energie, das ist mehr, als alle Hamburger Haushalte verbrauchen", sagt Nettersheim. Eine Elektrolyse funktioniert nur mit Energie, und davon braucht der Konzern reichlich, um chemische Reaktionen zu starten - zukünftig vielleicht noch mehr als jetzt, denn der Konzern steigert seine Produktion beständig.

Für die insgesamt 1,2 Terrawatt Strom, die das Dow-Werk Jahr für Jahr benötigt, müsste das Unternehmen für gewöhnlich 400 bis 500 Millionen Euro auf dem freien Markt bezahlen. Ein eigenes Kraftwerk ist zwar zunächst eine große finanzielle Investition, derzeit wird für das Kraftwerk und die Infrastruktur mit etwa einer Milliarde Euro an Investitionen gerechnet, doch bereits nach wenigen Jahren rechne sich das Konzept für den Konzern. Mit dem Kraftwerk soll für vierzig Jahre der Energiebedarf gedeckt werden.

"Wir könnten rein theoretisch vergleichsweise günstigen und ökologisch unproblematischen Strom aus Skandinavien ordern", sagt Sellner. Es gebe jedoch ein großes Aber - die Netzkosten: "Wenn wir die von uns benötigten Mengen liefern lassen, wird dieser Öko-Strom nur wegen der Netzkosten beim Strom für uns vollkommen unrentabel. Und in Deutschland sind wir trotz unserer eigenen Forschung und der Kooperation mit anderen Unternehmen nicht weit genug, um unseren Energiebedarf mit Wind- und Solarkraft zu decken."

Nettersheim nimmt einen Filzstift und malt eine Torte. Diese teilt er mit dem Stift in vier gleich große Stücke. "Etwa ein Viertel der Energie in Deutschland beziehen wir aus Braunkohle, ein Viertel aus Steinkohle. Ein Viertel liefern die Atommeiler. Das letzte Viertel Strom liefern zu etwa gleichen Anteilen Gas und regenerative Energien", sagt Nettersheim. Derzeit bestehe die große Aufgabe in Deutschland darin, das Atomenergie-Tortenstück irgendwie mit anderen Energien aufzufüllen, um den Bedarf zu decken.

Das geschieht zu unterschiedlichen Teilen mit der Kohlekraft, mit Gaskraftwerken und vor allem Öko-Strom. "Nehmen wir an, wir würden nun parallel zum Ausstieg aus der Atomenergie die Kohlekraft abschaffen, dann hätten wir ein ernstes Problem", sagt Nettersheim und streicht die Kohlekraft-Tortenstücke aus seiner Zeichnung raus. "Wir sind leider vorerst auf die Kohlekraft angewiesen."

Auch wenn der Konzern in Stade jetzt auf ein Kohlekraftwerk, setzt: Die Emissionen sollen soweit wie möglich reduziert werden. "Aus diesem Grund planen wir einen Energiekomplex aus Dampfzentrale, Gasturbine inklusive Dampf und einem Kohlekraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung", sagt Nettersheim. Kombiniert ergebe das im Mittel einen Wirkungsgrad von 55 Prozent - das schwächste Glied in der Kette wäre das Kohlekraftwerk, das wie alle anderen modernen Kohlekraftanlagen bei etwa 46 Prozent Wirkungsgrad läge. Die Dow hofft, mit dieser Kombination den CO2-Ausstoß um 40 Prozent niedriger zu halten, als wenn sie nur mit Kohlekraftenergie arbeiten würde.

Dow-Sprecher appelliert an die Bürger, selbst ebenfalls Energie zu sparen

"Unbestritten ist, dass es erst einmal eine Mehrbelastung des CO2-Ausstoßes bedeuten würde", sagt Sellner. Er frage sich aber, ob die Diskussion um Kohlekraftwerke bei der Weltklimadebatte überhaupt der richtige Ansatzpunkt ist. "Das Problem ist doch eher, dass überall zu viel Strom vergeudet wird und daher so ein hoher Energiebedarf und eine große Stromproduktion besteht", sagt er. Bei der Dow arbeite man seit Jahren kontinuierlich an einer Energiereduktion.

Fraglich ist für Sellner aber auch, was der einzelne dazu beiträgt, um weniger Energie zu verbrauchen. "Auf andere zu zeigen ist immer einfach, aber schauen wir doch einmal, was wir selbst machen. Wir essen Fleisch, wir fahren große Autos, wir fliegen in den Urlaub, wir lassen unseren Fernseher auf Standby-Schaltung. Müssen wir das? Wenn die Bürger selbst einmal anfangen würden, umwelteffizienter zu agieren, dann würde der globale CO2-Ausstoß sicherlich deutlich stärker sinken, als wenn die Dow ihre Produktion komplett einstellen würde."