Wer Ziele hat, kann über sich selbst hinauswachsen, weiß Iris Junge. Aber wir müssen auch das Loslassen lernen

Lebst du schon oder träumst du noch?" lautet das Motto eines Gottesdienstes am Sonntag, 6. Juni, 18 Uhr, in der Kirche in Neukloster. Darin geht es um die erfüllten und die unerfüllten Lebensträume. Der eine wünscht sich eine erfolgreiche Karriere, der andere eine Kreuzfahrt im Mittelmeer. Und viele haben einfach nur den Traum, dass die Familie glücklich und gesund bleibt. Im Gespräch mit dem Abendblatt erklärt Pastorin Iris Junge, die den Gottesdienst gemeinsam mit ihrem Team gestaltet, warum wir nicht aufhören sollten zu träumen.

Abendblatt:

Was ist Ihr größter Traum?

Iris Junge:

Mein Traum ist eine Reise nach China. Diesen Traum habe ich aber schon länger, genau genommen seit einer Reise nach Südostasien, die ich nach dem Studium unternommen habe. Ich hatte dort eine Frau getroffen, die von China erzählt hat, und seitdem bin ich von diesem Land fasziniert.

Sie haben Ihren Traum also noch nicht realisiert. Was hindert viele Leute daran, ihre Träume in die Tat umzusetzen?

Ich glaube, das hat viel mit dem Organisieren unseres Alltags zu tun. Der nimmt viele Menschen so in Beschlag, dass die Träume ins Abseits rücken. Und irgendwann verlassen einen einfach der Mut und die Ausdauer, Träume zu realisieren.

Träume haben ja auch etwas mit Selbstverwirklichung zu tun. Ist es nicht ein Phänomen der vergangenen Jahrzehnte, dass wir uns in unserem Leben selbst verwirklichen wollen? Vor 100 Jahren waren die gesellschaftlichen Zwänge doch noch viel größer.

Die Leute hatten früher sicherlich auch Wünsche und Träume, aber es war schwerer, sie zu realisieren. Sie waren viel mehr als heute in bestimmten Rollen und Zwängen gefangen. Wir haben heutzutage eine viel größere Freiheit und viel mehr Möglichkeiten, unsere Träume zu verwirklichen. Zum Beispiel kann eine Frau in unserer Zeit ohne Probleme Ärztin werden. Das war früher nicht so einfach. Da blieb dieser Traum oftmals ein Traum.

Warum ist es denn gut, seine Träume in die Tat umzusetzen?

Ich glaube, dass viele Dinge und Erfindungen nicht entstanden wären, wenn Menschen nicht von etwas geträumt hätten. Heute steigen wir ganz selbstverständlich in ein Flugzeug. Angefangen hat es mit dem Traum vom Fliegen. Auch Musik von berühmten Komponisten wie Beethoven haben wir letztlich nur, weil sie ihren Traum von Musik erfüllt haben. Und eine Lena Meyer-Landrut hatte den Traum, zu singen und beim Grand Prix mitzumachen. Jetzt hat sie sogar den Song Contest gewonnen und mit der Erfüllung ihres Traums ganz Deutschland in Begeisterung versetzt. Na ja, und was die Fußball-Weltmeisterschaft angeht: Mal sehen, ob sich da der Traum der Nationalmannschaft vom WM-Sieg erfüllt. Wenn das geschieht, versetzt es bei uns viele Menschen in Begeisterung und Lebensfreude.

Manchmal gibt es ja auch Momente, in denen es besser ist, ein Traum erfüllt sich nicht. Für welche Art von Träumen gilt das?

Kindheitsträume sind so ein Beispiel. Die sind selten geerdet und haben oft wenig mit der Überlegung zu tun, ob etwas realistisch ist. Sie überleben sich irgendwann. Für viele ist es im Rückblick sicherlich gut so, dass ihr Traum, Lokomotivführer, Prinzessin oder Astronauten zu werden, nicht wahr geworden ist. Träume reifen mit dem Leben. Und es gibt einfach auch Träume, die gefährlich sind und sich, Gott sei Dank, nicht erfüllt haben. Da müssen wir nur einen Blick in unsere deutsche Geschichte werfen.

Warum haben Sie Träume als Thema für einen Gottesdienst gewählt?

Die Brücke ist für mich Martin Luther King gewesen und seine Versöhnungsarbeit zwischen Schwarzen und Weißen. In seiner "I have a dream"-Rede hat er Bilder aus der Bibel und dem Amerikanischen Traum verwendet. Er war ein Mensch, der für diesen Traum gestanden hat, und wir können froh sein, dass er wahr geworden ist. Wir Christen haben diesen Traum, diese Hoffnung, dass eine bessere Welt möglich ist. Dazu kann jeder von uns ganz direkt beitragen, in seinem eigenen Leben. Wenn viele Menschen diesen Traum haben und an seiner Erfüllung arbeiten, dann sind wir schon ein gutes Stück weiter.

Trotzdem gibt es ja auch zahlreiche Träume, deren Realisierung gar nicht in meiner Hand liegt. Das gilt zum Beispiel für die Familienplanung. Wenn ich mir einen tollen Partner und fünf Kinder wünsche, kann ich das nicht unbedingt aus eigener Kraft erreichen.

In solchen Fällen muss man nicht nur lernen, seine gesteckten Ziele zu verfolgen, sondern auch, sich von manchen Träumen zu verabschieden. Sicherlich können Träume für jeden von uns ein Ansporn sein, über sich selbst hinauszuwachsen. Sie zeigen uns, dass noch mehr in unserem Leben steckt als das, was wir bereits kennen. Aber wenn wir merken, dass manches aus den unterschiedlichsten Gründen einfach nicht geht, muss man auch loslassen können. Das ist vielleicht oft ein schmerzhafter Prozess, der mit Trauer verbunden ist. Aber vielleicht macht das Platz für neue Träume.