Viele Pädagogen sehen in der geplanten evangelischen Grundschule eine Konkurrenz für ihre Arbeit

Stade. Eine Frau aus dem Publikum bringt es auf den Punkt: "Die Feindseligkeit der Lehrer überrascht mich sehr", sagt sie vor den rund 100 Zuhörern im Pastor-Behrens-Haus in Stade. Sie sieht die Idee, eine evangelische Schule in Stade zu errichten, als eine Bereicherung für die Region. Dafür erntet sie Beifall, von denen, die ähnlich denken. Die versammelten Lehrer schweigen und grollen.

Die erste von drei öffentlichen Diskussionen über eine evangelische Schulgründung, die am Montagabend in Stade stattfand, offenbarte vor allem eines: Die Fronten zwischen vielen Lehrern, Schulleitern und Gewerkschaftlern auf der einen Seite und der Planungsgruppe um Superintendent Thomas Kück, Wolf von der Wense und Michael Sostmann auf der anderen Seite sind verhärtet. Doch stur stellen sich die Lehrer, nicht die Planungsgruppe.

Die Lehrer fühlen sich und ihre Arbeit diskreditiert

"Es geht nicht darum, dass die Lehrer etwas nicht auf die Reihe bekommen und wir deshalb einspringen", sagt Kück beschwichtigend. "Genau so kommt es aber rüber", sagt Renate Ahlers-Göbel von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Stade. Kopfnicken im Saal. Die Lehrer fühlen sich an die Wand gestellt, diskreditiert, in ihrer beruflichen Existenz bedroht. Die Pädagogen sind frustriert. Nach eigener Aussage arbeiten und werben sie für das, was die Stader Planungsgruppe will, bereits viele Jahre lang - ohne Erfolg. Auch vom Land bekämen sie keine Unterstützung.

Und dann komme plötzlich die Kirche und zeige, dass es freie Ressourcen gibt, dass diese aber den öffentlichen Schulen nicht zugute kommen sollen. "Warum wird uns nicht geholfen, warum wird die Arbeit nicht gebündelt?", fragt eine Lehrerin.

Theoretisch begrüßen Sostmann und Kück zwar die Idee einer Bündelung. "Praktisch habe ich bei meiner ehrenamtlichen Arbeit an Schulen aber die Erfahrung gemacht, dass in den Schulen immer wieder andere Prioritäten gesetzt worden sind. Wenn unsere Ideen in den Schulen nicht angenommen werden, müssen wir einen anderen Weg suchen, um die Arbeit ausführen zu können", sagt Sostmann.

Kück bekräftigt, dass es viele Lehrer gebe, die gut arbeiten, aber auch viele Fehler in der Politik. "Bildung ist ein stetiges Lippenbekenntnis der Politik, dem nichts folgt", sagt Kück. "Wir haben mit dem Gang auf die Politik nichts ändern können und nun reicht es uns. Wir schlagen einen eigenen Weg ein", so der Superintendent.. Überhaupt seien viele Fehler in der Bildung begangen worden. Dass Eltern und Kinder nicht frei ihre Schule wählen können, sei die wahre Ausgrenzung von Menschen. Dass bei Einsparungen in der Bildung immer zuerst beim Fach Religion gespart werde, sei schwer erträglich.

"Das ist nicht grundgesetzkonform, und dennoch wird der Religionsunterricht gestrichen. Würde Mathematik vom Lehrplan fliegen, würden alle auf der Matte stehen und protestieren", so Kück. Beim Religionsunterricht werde aber kollektiv geschwiegen. Die christlichen Werte des Miteinander müssten, so die Überzeugung von Sostmann, Wense und Kück, auch weiterhin der Gesellschaft zugute kommen. Und das gehe langfristig nur mittels einer evangelischen Schule, wenn sich Gesellschaft, Politik und Schulen dem gegenüber konsequent verschließen.

Volker Pabst von der GEW sieht die Kirche hier mit einem grundlegenden Problem von Glaubwürdigkeit konfrontiert. "Wie soll denn das Ganze finanziert werden? Auf der einen Seite werden Pastorenstellen gestrichen und dann soll auf der anderen Seite eine Schule geschaffen werden, das passt nicht zusammen", so Pabst. Kück gibt zu, dass hier ein ernstes Problem liege. Die Finanzkraft der Kirche nehme aufgrund des demografischen Wandels weiter ab, dennoch müsse die Kirche für die Zukunft Position beziehen. "Die Kirche muss einen Abwägungsprozess führen. Es gibt deswegen auch auf Landesebene harte Kritik", sagt Kück.

Das Konkurrenzdenken der Schüler soll beendet werden

Finanziell werde die Schule, wie jede andere private Schule auch, von vier Säulen getragen: Zum einen sei da der Landesbeitrag, der gesetzlich festgelegt ist. Zum zweiten komme ein ebenfalls gesetzlich garantierter, kommunaler Schulbeitrag hinzu. Der Rest der Ausgaben müsse von der Kirche und von den Eltern beigesteuert werden.

Michael Sostmann plädiert indes erneut für mehr Offenheit und Toleranz in der Debatte. Angesichts mancher Untergangsstimmung bei der Bildung sei die Schulinitiative in Stade als positives Signal gedacht. Vor allem wolle die Planungsgruppe die Kinder stärker in den Fokus rücken und gleichzeitig das Konkurrenzdenken aufheben.

"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sehr oft Konkurrenzdenken und leistungsorientierte Bewertungskriterien das Leben zu einer Art von Autorennen werden lassen", so Sostmann. Es gehe um die Poleposition im Kampf "Jeder gegen jeden". Das schüre die Angst der Kinder, auf der Strecke zu bleiben oder aus der Bahn geworfen zu werden. Die Folgen seien bereits jetzt in Form von Verhaltensstörungen und Stresssymptomen bei Kindern zu sehen. Sostmann: "Die Motivationssysteme schalten ab, wenn keine Chance auf soziale Zuwendung besteht, und sie springen an, wenn das Gegenteil der Fall ist, wenn also Anerkennung oder Liebe im Spiel ist".

Daher sei es wichtig, den Kindern Anerkennung zukommen zu lassen, notfalls mit einem neuen didaktischen Modell. Das sei zwar nicht leicht, aber einen Versuch wert. "Haben wir wirklich die Kinder im Zentrum unseres Blickfeldes, wenn wir uns über eine Schulgründung austauschen? Sind die Argumente eines Für und Wider an ihnen und mit Blick auf sie ausgerichtet?", fragt Sostmann. Die am Montag geführte Debatte, das war unübersehbar, war dies zu großen Teilen nicht.

Dass die Diskussion weiter gehen muss, darüber sind sich alle einig. Sostmann und Kück hoffen aber, dass die Gespräche künftig wieder sachlicher geführt werden. Im Vorfeld der Diskussion hatte ein anonymer Drohbrief gegen Michael Sostmann zusätzlich für Missstimmung gesorgt. Sostmann sollte demnach am Montag seinen Austritt aus der Planungsgruppe verkünden, andernfalls würde gegen ihn eine Anzeigenflut erhoben. Sostmann hat eine Gegenanzeige wegen Nötigung gestellt.