Der Vorsitzende Richter Berend Appelkamp schaut dem Angeklagten in die Augen, fragt ihn zweimal, ihm klar ist, dass eine falsche Beschuldigung strafbar ist. Spyridon S. bleibt ruhig und sagt: “Ja“.

Stade. Er bleibt bei seiner Aussage: Die pornographischen Fotos, die ihn mit der zehnjährigen Karolin W. zeigen, wurden von Karolins Mutter gemacht.

Auch am dritten Verhandlungstag sorgte der Angeklagte Spyridon S., der wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs in 40 Fällen vor dem Stader Landgericht angeklagt ist, für einen Paukenschlag. Am zweiten Verhandlungstag hatte der 67-Jährige sein Geständnis in wesentlichen Teilen widerrufen und damit die vorher getroffene Vereinbarung zwischen Klägern und Verteidigung platzen lassen.

Nun hat er dafür gesorgt, dass die Mutter und der Vater der missbrauchten zehnjährigen Karolin W. ebenfalls in das Visier der Ermittler geraten sind und sich möglicherweise auch vor Gericht verantworten müssen. Beide Elternteile sollen, so der Angeklagte, ihre Tochter über Jahre sexuell missbraucht haben.

Spyridon S. trägt sein Geständnis langsam vor. Sechs Stunden lang erzählt er seine Version der Dinge - wie er die Familie kennengelernt habe, wie das Verhältnis allmählich enger geworden sei. Und er erzählt, dass nicht er der Täter im eigentlichen Sinne sei - nein, er sei vielmehr das Opfer. Karolin W. und ihre Mutter hätten ihn monatelang sexuell belästigt, bedrängt und erpresst. Und er habe letztlich nur klein beigegeben.

Die Familienverhältnisse von Karolin W. beschreibt der Grieche als katastrophal. Der Vater habe gemeinsam mit der Mutter Karolin W. wiederholt zu sexuellen Handlungen herangezogen. Zudem sei die Frau seit Jahren schwer alkohol- und medikamentenabhängig. Darüber hinaus sei sie in Spyridon S. verliebt gewesen. Und weil sie mit der Erziehung ihrer beiden Töchter angeblich nicht zurechtkam, habe Spyridon, der die Familie über seine Lebensgefährtin kennengelernt hatte, Karolin W. nach langem Zögern bei sich aufgenommen.

Das Geständnis vermittelt den Eindruck, dass Spyridon der Retter einer kaputten Familie war, der nur durch Unglück in die jetzige Lage gekommen ist. Für die Nebenkläger ist es schwer zu glauben, was der Angeklagte erzählt. Ungläubig schütteln sie mehrfach den Kopf.

Das Bild, das der Angeklagte vom Kind zeichnet, ist verwirrend. Die zehnjährige Karolin W. soll dominant, sexuell aggressiv gewesen sein. Sie sei eine 16-Jährige im Körper eines Kindes gewesen. Sie habe mit dem 67-Jährigen die Dinge ausprobieren wollen, die sie im Fernsehen gesehen habe. Der Grieche habe immer versucht, sich herauszuwinden - bis auf ein einziges Mal. "An diesem Punkt fällt Schuld auf mich", sagt er. Doch nicht nur auf ihn. Die betrunkene Mutter habe ihn animiert, sich vor dem Kind zu entblößen, so wie das Kind es gewollt habe. Sie habe dann Fotos von ihm und dem Kind gemacht.

Was mit den Fotos passiert war, hatte er lange vergessen. Bis Karolins Mutter sich am 20. Juli 2009 wieder bei ihm meldete. Spyridon habe aber keinen Kontakt mehr gewollt. Zwei Tage später wurden die Fotos in einer Drogerie entdeckt. Die Verhandlung wird fortgesetzt.