Die Einwohner von Assel sind empört. Bürgermeister Hans-Wilhelm Bösch: “Das ist eine Frechheit.“

Assel. Unverständnis und Empörung in Assel: Professor Jürgen Oßenbrügge (55), Dozent für Wirtschaftsgeografie an der Universität Hamburg, hat den Drochtersener Ortsteil öffentlich als "ländlichen Slum" bezeichnet. Wie erst jetzt bekannt wurde, fielen die umstrittenen Worte bereits vor Weihnachten während einer Diskussionsveranstaltung über die Entwicklung des ländlichen Raumes in Stade.

"Unser Dorf ist doch kein Elendsviertel", rufen Vertreter zahlreicher Asseler Vereine dem Professor jetzt einmütig entgegen. Hans-Wilhelm Bösch (60, CDU), Bürgermeister der Gemeinde Drochtersen, zu der Assel seit der Gebietsreform von 1972 gehört, kontert: "Ein Slum ist ein verwahrloster, verfallener Teil einer Stadt. Ein solches Elendsviertel mit unzumutbaren Unterkünften ohne grundlegende Versorgungseinrichtungen ist Assel gewiss nicht." Assel sei vielmehr "eine intakte Ortschaft". Zu der Einschätzung Oßenbrügges sagt Bürgermeister Bösch: "Das ist eine Frechheit."

Auf die Empörung der Asseler angesprochen, räumt Professor Oßenbrügge ein, er hätte das so nicht gesagt, wenn er die Folgen gekannt hätte. Für seine Definition der "Verslummung im ländlichen Bereich" nennt er drei Faktoren: eine dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit, eine Überalterung der Bevölkerung sowie eine hohe Zahl von leerstehenden Gebäuden. Dieser Prozess spitze sich im ländlichen Raum zu. Vor dieser Entwicklung dürfe man nicht die Augen verschließen. Dass Politik und Verwaltung im kommunalen Bereich aber nur geringe Spielräume haben und dass sich Discounter etwa bei der Frage, ob sie ihre neuen Märkte im Zentrum von Drochtersen oder in Assel eröffnen, kaum hineinreden lassen, weiß auch Oßenbrügge. Der Professor kennt Assel bereits seit seiner Kindheit: "Ich bin da aufgewachsen."

Fakt ist, dass in Assel etliche Läden leerstehen, zum Teil schon seit Jahren, darunter die alte Molkerei und das ehemalige Modehaus Eschermann. In Assel gibt es fünf Gaststätten entlang der L 111 und in den Moorgebieten, zwei Ärzte, zwei Zahnärzte, einen Lebensmittelmarkt, das vom Bürgerverein betriebene Heimatmuseum, ein Sportzentrum, eine Schule und einen Kindergarten.

Helmut Barwig (79, SPD) war der letzte Asseler Bürgermeister vor der Gebietsreform. Er meint, Assel halte dem Vergleich mit anderen ländlichen Gegenden stand: "Wir brauchen uns nicht zu verstecken." Vor allem die Dorfgemeinschaft könne sich sehen lassen, sagen Uwe Reinecke (63) und Hans-Adolf Witt (69), die Vorsitzenden von Bürgerverein und Rotem Kreuz in Assel.

In Assel wird wie überall in Kehdingen auf die künftige Autobahnanbindung gesetzt: Die Autobahnen 20 und 22 mit der Elbquerung zwischen Drochtersen und Glückstadt sowie die Verlängerung der A 26 von Stade aus sollen Arbeitsplätze schaffen und das Wohnen attraktiver machen. Assel werde deshalb auch in 20 Jahren kein Slum sein, ist sich Altbürgermeister Barwig sicher. Und der langjährige Schützenpräsident Werner Beckermann (66) erwartet sogar, dass sich Assel gegen den Trend entwickeln und in Zukunft mehr Einwohner haben wird. In zwei Jahren feiert Assel sein 950-jähriges Bestehen. Gegenwärtig investiert die Gemeinde Drochtersen trotz angespannter Finanzlage: Der gemeindeeigene Kindergarten in Assel wird um Krippen- und Hortplätze erweitert. Bösch: "Die Kinder sind Assels Zukunft."