Die etablierten Parteien im Landkreis Stade bekommen echte Konkurrenz. Immer häufiger treten freie Wählergemeinschaften gegen sie an.

Stade/Buxtehude. In so manchem Briefkästen liegen in diesen Tagen unerwartete Weihnachtskarten. Sie stammen von Bürgerinitiativen, die auf ihre Anliegen aufmerksam machen wollen - denn die Region südlich der Elbe, in der Natur und Industrie, Landwirtschaft und Großprojekte aufeinander treffen, ist schon lange ein idealer Nährboden für politische Protestgruppen aller Art.

Bekannte Beispiele sind die Gruppen im Alten Land gegen die Erweiterung des Airbus-Areals, die Bewegung gegen die Autobahn 22, die besonders bei Burweg aktiv ist, und die Initiative gegen die Kohlekraftwerke, die in Stade geplant sind. Bisher übten diese Gruppen vor allem von außen Druck auf die Politik aus. Das könnte sich bald ändern: Denn immer mehr Bürgerinitiativen entscheiden sich dafür, auch in den Räten aktiv zu werden und eigene politische Gruppen zu gründen. Freie Wählergemeinschaften stellen in Ortschaften wie Ahlerstedt und Oldendorf bereits die Bürgermeister.

Das jüngste Beispiel für eine Neugründung ist die "Wählergemeinschaft Bützfleth". Sie ist im Juni aus der Bürgerinitiative "Für eine umweltverträgliche Industrie" hervor gegangen. Jetzt will sie im Herbst 2011 mit eigenen Kandidaten bei der Kommunalwahl antreten. Ihr wichtigstes Ziel: Die Verhinderung neuer Kohlekraftwerke in dem Stader Stadtteil.

"Die großen Parteien haben einfach nicht mehr die Interessen der Anwohner wahrgenommen", sagt Sabine Klie von der Wählergemeinschaft. Dafür hat sie eine Erklärung: "SPD und CDU hängen immer noch der Ideologie an, Industrie bringt Arbeitsplätze und höhere Gewerbesteuern. Aber an dem, was die Bürger wirklich bewegt, geht das oft vorbei", sagt Sabine Klie. Sie selbst hat für den Wechsel mit zur Wählergemeinschaft den Bruch mit der Stader SPD vollzogen. Die Chancen des neuen Bündnisses sieht sie in einer größeren Bürgernähe: "Wir sind auf kein Programm festgelegt. Außerdem halten wir engeren Kontakt zu den Ortsansässigen."

Eine der älteren Wählergemeinschaften ist die "Buxtehuder Bürger-Gemeinschaft" (BBG). Sie formierte sich vor rund zehn Jahren aus zwei Bürgerinitiativen, die gegen neue Wohngebiete und Gewerbeansiedlungen in dem Buxtehuder Ortsteil Ottensen ins Feld zogen. Im Jahr 2001 zog die BBG erstmals in den Buxtehuder Rat ein - seitdem vertritt dort Wilfried Peper die Interessen der Formation, die sich nach wie vor nicht als Partei versteht. "Es ist sehr sinnvoll für uns, mit am Ratstisch zu sitzen. So haben wir die Chance, direkt auf die anderen Parteien einzuwirken", bilanziert Wilfried Peper. Und verweist auf Erfolge: So habe die BBG dazu beigetragen, neben der Ottensener Gewerbeansiedlung auch den Bau eines Klärwerkes verhindern.

Professor Michael Greven, Politikwissenschaftler von der Universität Hamburg, erkennt in den neuen Gruppierungen "Chance und Risiko zugleich". So könnten diese durchaus dazu beitragen, dass sich wieder mehr Menschen politisch engagieren. Aber: "Manche Dinge werden komplizierter, unter anderem die Regierungsbildung in den Räten."

Zu den Kritikern der neuen Wählergemeinschaften zählt auch der Bützflether Ortsbürgermeister Wolfgang Rust (CDU): "Die Initiativen vertreten eher Einzelinteressen, aber wir müssen das große Ganze im Auge haben." Der neuen Konkurrenz sehe er aber "gelassen" entgegen.