Vier schwer kranke Frauen und ihre Pflegerinnen wohnen in dem 300 Quadratmeter großen Haus am Forth.

Himmelpforten. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Kind. Ingrid Klein (79) sitzt am Wohnzimmertisch und streichelt dem kleinen Wesen vor ihr die Wangen, küsst die Stirn und singt ihm etwas vor. "Süße!", sagt sie und lächelt. Doch das, was die Frau in ihren Händen wiegt, ist kein Baby, sondern eine Puppe. Woanders würde sie wahrscheinlich von jemandem darauf aufmerksam gemacht werden.

Aber hier im "Hüsselhuus" in Himmelpforten darf jeder tun, was er für richtig hält. Und was glücklich macht. Ingrid Klein jedenfalls strahlt über das ganze Gesicht. Die Frau mit den grauen, zurückgekämmten Haaren leidet an schwerer Demenz und lebt seit vier Jahren in der Wohngemeinschaft (WG) "Hüsselhuus" am Forth in Himmelpforten.

Seit November 2003 gibt es die WG für Demenzkranke. In dem 300 Quadratmeter großen Haus mit Garten wohnt Ingrid Klein zusammen mit derzeit drei weiteren Senioren wie in einer Familie. Fotos an der Wohnzimmerwand zeugen von Karnevalsfeiern und Frauen-Freundschaften im hohen Alter. Eine gemütliche Sofaecke mit Kissen und Kuscheltieren lädt zum Herumlümmeln ein. Die Zimmer sind nach eigenem Geschmack eingerichtet. In vielen Räumen hängen Fotos von Kindern und Enkeln an der Wand.

Rund um die Uhr kümmern sich mehrere Betreuer um die alten Menschen. Die meisten der Bewohner können nicht mehr ohne Hilfe essen, geschweige denn sich anziehen. Ein Team aus drei Frauen organisiert den Alltag. Sie sind beim Verein "Herbstzeitlose" aus Bliedersdorf angestellt - dem Initiator der WG. Außerdem kommen Mitarbeiter vom ambulanten Pflegedienst ins Haus. Die Angehörigen stellen zudem hauswirtschaftliche Kräfte ein, die zusammen mit dem Team und Praktikanten für die Demenzkranken da sind.

Das heißt: Eine Kraft betreut nur zwei Bewohner. Dies hat Uschi Hilbert aus Stade, eine der Mitarbeiterinnen vom Verein "Herbstzeitlose" dazu bewegt, wieder in ihren Beruf als Altenpflegerin zurückzukehren. "Hier habe ich die Zeit zu spüren, wie es den Menschen geht." Die 58-Jährige wäre fast an ihrer Arbeit in einem Seniorenheim zerbrochen. "Ich habe den Spagat einfach nicht geschafft - dem Arbeitgeber und den alten Menschen gerecht zu werden. Das Heim hat mir Zeiten vorgegeben, in denen ich die Menschen zu versorgen habe. Aber die Menschen brauchten mehr." Uschi Hilbert konnte das nicht mehr ertragen und stieg aus gesundheitlichen Gründen aus ihrem Beruf aus.

Im "Hüsselhuus" kann sie sich jetzt Zeit nehmen für die alten Menschen. Hat einer der Demenzkranken keinen Appetit, gibt sie ihm kleine Häppchen. Das dauert Stunden, aber damit vermeidet die Betreuerin, dass eine Magensonde eingesetzt wird.

Anders als im Heim ist die Gruppe klein. Lediglich bis zu zehn Personen leben im "Hüsselhuus". Die Demenzkranken sollen sich wie zuhause fühlen. Deshalb haben hier die Bewohner und ihre Angehörigen das Sagen. Deshalb gibt es auch keinen Stundenplan mit festen Weck- oder Essenszeiten. Wer will, kann im Garten herumlaufen, in der Küche helfen oder im Sessel dösen.

Meist aber verbringen die Senioren ihre Zeit im Wohnzimmer. Obwohl die Bewohner größtenteils in ihrer eigenen Welt leben, nehmen sie Kontakt zueinander auf. Ingrid Klein präsentiert Lore Bahr (74) aus Burweg, die zweimal pro Woche zur Tagespflege kommt, stolz die Puppe. "Hübsch, nicht?", fragt Ingrid Klein. Lore Bahr lächelt ein bisschen und schiebt dann eine Zeitschrift über den Tisch.

"Ein schönes Baby", bestätigt Renate Fleck, Initiatorin vom "Hüsselhuus", die alte Frau. Zum Dank streichelt ihr Ingrid Klein über die Wange. Die Devise in dem Haus lautet: Immer auf die Bewohner eingehen. "Egal, was die Bewohner sagen. Es ist in Ordnung", sagt Renate Fleck. Ingrid Klein lässt die Puppe jetzt auf dem Tisch tanzen. "Bubupp. Bubupp", singt sie, hebt sie hoch und runter, und quietscht selbst vergnügt. Renate Fleck strahlt: "Das zeigt doch, dass selbst schwer Demenzkranke noch Lebensfreude haben."