Am Donnerstag gastiert der Autor in Stade. Mit Text, Bildern und Musik will Willemsen die Besucher für die thailändische Hauptstadt begeistern.

Abendblatt:

Sie haben sich drei Monate in Bangkok die Nächte um die Ohren geschlagen, um für das Buch "Bangkok Noir" zu recherchieren. Wie kamen Sie auf die Idee?

Roger Willemsen:

Ich habe Bangkok vor rund 25 Jahren als eine unsympathische und schmutzige Stadt kennen gelernt, dann aber festgestellt, dass es kaum eine Metropole gibt, die bei Nacht spannender und abwechslungsreicher ist - mit Kickboxern, Aurafotografen, Ladyboys und den Schlafplätzen der Elefanten. Hamburg kommt da nicht mit.

Abendblatt:

Wie kamen Sie auf die Idee, dafür einen Fotografen mitzunehmen?

Roger Willemsen:

Ich habe Ralf Tooten an der Alster kennen gelernt. Wir hatten einen Fahrradunfall und streiten übrigens heute noch, wer Schuld hatte. Wir kamen ins Gespräch. Er hat mir erzählt, dass er in Bangkok lebt und hat mir tolle Fotos aus der thailändischen Metropole bei Nacht gezeigt. So kam die Zusammenarbeit zustande. Bei unserer Arbeit in Bangkok hat er mehr als 10 000 Fotos gemacht. Ich habe dazu die Texte geschrieben.

Abendblatt:

Ist eine Stadt bei Nacht ehrlicher?

Roger Willemsen:

Sicher, die Nacht definiert sich über das Heimliche. In der Dunkelheit machen Menschen eher Sachen, die sie in der Öffentlich sonst nicht tun würden. Und natürlich sind die Menschen bei Nacht oft schamloser, und das ist dann auch ehrlicher.

Abendblatt:

Apropos Schamlosigkeit: Thailand hat in Deutschland den zweifelhaften Ruf, Ziel von Sextouristen zu sein.

Roger Willemsen:

Die Thais sehen dass nicht so. Tatsächlich sind nur fünf Prozent der Sexindustrie auf Touristen ausgerichtet. Ich will das nicht romantisieren, aber es gibt auch Missverständnisse, die Massagesalons etwa sind dort Teil der Kultur.

Abendblatt:

Wollten Sie in Ihrem Buch mit diesen Klischees aufräumen?

Roger Willemsen:

Nein, ich wollte protokollieren, wie es wirklich ist. Deswegen habe ich mir die Stadt ohne Vorurteile angeschaut, als Augenzeuge.

Abendblatt:

Hatten Sie in Bangkok einen Plan oder haben Sie sich bei den nächtlichen Erkundungstouren treiben lassen?

Roger Willemsen:

Ich habe mich trieben lassen. Bin mal in den Bus gestiegen oder in ein Boot und bis zur Endstation gefahren. Dort habe ich geschaut, wo die Leute hingehen und bin ihnen gefolgt. Einen Plan hatte ich aber: Ich wollte den Schlafplatz der Arbeitselefanten finden.

Abendblatt:

Sie haben sich auf eine komplett fremde Kultur eingelassen und das noch in einer Riesenmetropole. Dabei haben Sie sich auch in die düsteren Ecken begeben. Gab es Momente, in denen Sie Angst hatten?

Roger Willemsen:

Natürlich war es manchmal ein bisschen angsteinflößend. In den Zonen der völligen Dunkelheit gibt es viele Stimmungen. Da waren Junkies, die eine crackähnliche Droge geraucht haben. Ich bin mit einem Notfall-Kommando über die Straßen gerast und wir haben einen Halbtoten von der Straße geholt. In diesen Momenten fühlt man sich etwas unwohl. Aber im Allgemeinen ist Bangkok eine sanfte Stadt, weil sie buddhistisch ist.

Abendblatt:

Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Roger Willemsen:

Das ist schwer zu sagen, da konkurrieren viele Ereignisse miteinander. Aber drei Erlebnisse stechen hervor. Ich war beim Schlafplatz der Elefanten. Unter einem Geflecht aus drei Autobahnen lag ein Elefant, der komplett kaputt war von seiner Arbeit. Er sah aus wie ein totes Monument. Ein anderes Erlebnis hatte ich im Park, dort lief ein Junge neben mir her. Plötzlich fragte er: "Do you want me?", also: "Willst Du mich haben?" Ein Mädchen hat mich auf eine besondere Weise beeindruckt, als sie begann, italienische Arien zu singen. Ein Mädchen, das sich zuvor noch getrocknete Heuschrecken in den Mund geschoben hat.

Abendblatt:

Das Konzept lässt sich wunderbar auf andere Städte übertragen, jedenfalls in der Theorie. Werden Sie künftig noch weitere Metropolen bei Nacht porträtieren?

Roger Willemsen:

Nein, andere Städte wären thematisch nicht so abwechslungsreich wie Bangkok.

Abendblatt:

In Stade lesen Sie aus Ihren Geschichten aus Bangkok. Dazu präsentieren Sie die Bilder von Ralf Tooten Sie als Multimedia-Vortrag...

Roger Willemsen:

Ja, ich lese aus dem Buch und zeige 550 Bilder, die Ralf Tooten gemacht hat. In Stade wird es außerdem eine Premiere geben: Die polnische Musikerin Inez Ellmann spielt auf dem Marimbafon und legt einen Soundteppich um Text und Bilder.

Abendblatt:

Werden Sie sich bei dieser Gelegenheit auch Stade bei Nacht anschauen?

Roger Willemsen:

Unbedingt, ich werde mich warm anziehen und in Gummistiefeln über die saftigen Schwingewiesen laufen. Aber im Ernst: Ich bin schon öfter in Stade gewesen und die Stadt ist mir lieb und vertraut.

Roger Willemsen liest bei den Niedersächsischen Musiktagen am Donnerstag, 1. Oktober, von 20 Uhr an im "Stadeum" (Schiffertorsstraße 6) aus "Bangkok Noir". Das Porträt der thailändischen Metropole wird mit Musik und den Fotos von Ralf Tooten untermalt. Karten zum Preis von 22 Euro gibt es noch unter der Rufnummer 04141/409140.