Um die Rapper, Tänzer und Sprayer in Ruhe zu beobachten, fährt die ehemalige Kunstlehrerin schon mal zu Studienzwecken nach Marseille.

Stade/Abbenfleth/Hesedorf. Jedes ihrer Kunstprojekte - ob gemalt, gebaut oder installiert - hat eine Philosophie, die sich mitunter erst auf den zweiten Blick offenbart. Ob Klimawandel, die Situation afrikanischer Frauen, Falken oder "Tags" aus der Welt der Graffitis mit ihren Botschaften: Heide S. Heidmann aus Hesedorf bei Bremervörde entfesselt mit ihren Werken immer wieder neue Kreativität. Die Künstlerin mit dem Pseudonym "Hedieh" zeigt jetzt bis zum 6. September ihre spektakuläre Ausstellung in der "Festung Grauerort" in Abbenfleth an der Elbe.

Gemeinsam mit Hans-Hermann Ott, dem Vorsitzenden des Fördervereins "Festung Grauerort" und den Breakdancern "Funky Floor Freaks Junior" aus Hamburg hat Hedieh ihre Ausstellung eröffnet. "Ich finde es einfach cool, dass der HipHop-Trainer B-Boy Delles sich sofort bereit erklärte, mit seinen Schülern zu meiner Vernissage zu kommen", sagte Hedieh begeistert.

Grund zur Freude hat sie schon deshalb, weil diese Jungs die Inhalte ihrer Ausstellung mit besonderer Dynamik bereicherten. So kamen die Besucher der Vernissage in den Genuss eines Events, bei dem Kunst, Historie und sportliche Dynamik auf eindrucksvolle Weise miteinander verschmolzen. Selbst Hans Hermann Ott legte sich daraufhin ins Zeug und legte mit einer wenn schon nicht gerappten, aber immerhin gesungenen Hommage an die Festung Grauerort nach.

Hediehs Gemälde, Installationen und Skulpturen sowie die "Funky Floor Freaks Juniors" veranschaulichten indes mit perfekter Performance, warum Hedieh sich von ihrer Szene immer wieder inspirieren lässt. "Graffitis an Mauern und Wänden in Großstädten üben eine wahnsinnige Faszination auf mich aus", verrät Hedieh. "Dort fühle ich das pulsierende Leben, stetige Veränderungen, eine ungeheure Flexibilität und eine sagenhafte, frische Kreativität."

Für die Künstlerin sind die jungen Leute so etwas wie Musen: "Um das intensive Lebensgefühl der Rapper, HipHopper und Sprayer aufzusaugen, tauche ich immer wieder mitten hinein in diese Szene. In Marseille, am Vieux Port, habe ich Studien bei der Breakdance-Gruppe ,Massilia force' unter der Leitung des Trainers Karim Dedouh betrieben und auch in Hamburg-Billstedt im Kulturpalast. Außerdem war ich bei den Hip-Hop-Weltmeisterschaften in Bremen und hingerissen von der Artistik, der Motivation als ich sah, wieviel Fun and Fame sie dabei hatten", schwärmt die Frau aus Hesedorf. "Wenn ich von Graffitis rede, die mich faszinieren, meine ich nicht Kritzeleien oder Sprayversuche von Sympathisanten. Es ist die so genannte Kernszene, die mich fasziniert", erklärt Hedieh und zitiert Klaus Farin, einem Szene-Experten, der die pulsierende Subkultur der Sprayer so definiert: "Es sind Jugendliche, die sich zu 100 Prozent mit einer Szene identifizieren und den Code ihrer Szene sowohl auf sprachlicher, modischer, musikalischer als auch philosophischer und weltanschaulicher Ebene im höchstmöglichem Ausmaß reproduzieren."

Hedieh, die als Kunst-Lehrerin viel mit Jugendlichen zu tun hatte, ist immer wieder beeindruckt, wie junge Menschen ihre Kreativität zeigen: "Mit Hilfe ihrer Aktionen gelangen sie zu Ehre und Anerkennung , im Szenejargon 'Fame' genannt, ohne sich über Straßenkämpfe definieren zu müssen". "Entfesselte Kreativität statt sinnloser Gewalt sehe ich als Faszinosum der Graffiti-Kunst", so ihre Interpretation. "Tags" oder andere Graffiti-Elemente übernimmt Hedieh auch bei ihren eigenen Arbeiten und verwendet sie als bildnerische Materie für ihre Botschaften. Ihre Arbeiten nennt Hedieh gesellschaftspolitisch. "Probleme der Großstädte fließen in meine Werke ein, jedoch sensibel, ohne pädagogischen Zeigefinger."

Zu sehen sind ihre jüngsten Werke, darunter auch Skulpturen, noch bis 6. September in einem Ambiente, das wie geschaffen ist für ihre Kunst: Die Gemäuer der "Festung Grauerort" in Abbenfleth setzen alles in ein ganz eigenes Licht.