Das Abendblatt begleitet drei Jugendliche am ersten Ausbildungstag. Und: Im Bezirk der Agentur für Arbeit Stade sind noch 354 Stellen unbesetzt.

Stade. Industrie- und Handelskammer rät: Praktikum hilft bei der Suche der Lehrstelle. Mehrere Hundert Plätze sind bislang unbesetzt. Die Hände sind feucht und zittrig, das Herz pocht schneller, die Wangen sind gerötet. Susanne Wiedergold ist sichtlich nervös. Der 19-Jährigen ergeht es wie Hunderten anderen jungen Menschen im Landkreis Stade. Sie hat ihren ersten Ausbildungstag. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

In den nächsten drei Jahren wird Wiedergold bei den Stadtwerken Stade zur Industriekauffrau ausgebildet. Sie wird fleißig das Berichtsheft führen müssen, dass sie jede Woche beim Ausbildungsleiter Uwe Holthusen vorzeigen muss. "Das ist das A und O der Lehre", so Holthusen. Warum sie gerade diesen Beruf ergreifen möchte: "Ganz einfach. Ich liebe Rechnungswesen." Zudem arbeite sie gerne mit Zahlen.

Bis vor wenigen Wochen besuchte die Staderin das Fachgymnasium für Wirtschaft und lernte dort die kaufmännischen Grundlagen, die während der Lehrzeit in mehreren Abteilungen vertieft werden. So stehen Vertrieb, Abrechung und Personalwesen auf dem Programm. Doch zunächst tauscht sie ihre Turnschuhe gegen Arbeitsschuhe mit Stahlkappen ein. Einen Monat lang begleitet die 19-Jährige die Handwerker und lernt so Wasser- und Gaszähler sowie das Wasserwerk kennen. "So wissen die Azubis, worüber sie Rechnungen schreiben", sagt Holthusen.

Mit Rechnungen und Zahlen hat Rico Reisner wenig zu tun. Der 21-Jährige muss während seiner Ausbildung zum Altenpfleger dennoch regelmäßig zur Akte greifen. Schließlich müssen die Patientenakten akkurat geführt werden. Reisner hat zwei Jahre lang nach einer Lehrstelle gesucht. Das konnte ihn nicht von seinem Berufswunsche abbringen. "Ich möchte Senioren helfen und ihnen einen glücklichen Lebensabend bieten", so Reisner. Die vergleichsweise geringe Bezahlung, körperlich und psychisch harte Arbeit sowie der Schichtdienst schreckten den jungen Mann aus Cadenberge nicht ab: "Der Job ist nicht einfach. Ich werde beispielsweise mit dem Tod konfrontiert. Aber das gehört dazu."

Im Stader Johannisheim überzeugte er beim Probearbeiten. Nun steht die Grundpflege mit Waschen und Essenanreichen an. Erste Grundlagen hat der gebürtige Berliner auf der Sozialpflegeschule gelernt. Reisner erwartet von der Ausbildung eine abwechslungs- und lehrreiche Zeit. "Ich wünsche mir, dass mich die neuen Kollegen gut aufnehmen und unterstützen."

Das hofft auch Hannes von Ahn-Rabe, der bereits morgens um 7 Uhr in der Werkstatt der Baugesellschaft Mencke in Stade steht. Und das freiwillig. Denn offiziell beginnt seine Lehre zum Tischler erst im September. Doch bereits jetzt schwingt der 17-Jährige gekonnt die Schleifmaschine über das Holzfenster. Während eines Praktikums bei Mencke lernte der Großenwördener den Rohstoff Holz kennen und lieben. "Bereits im Werkunterricht mochte ich Holz. Das Praktikum hat mich dann vollkommen überzeugt." Im Gegenzug überzeugte er seinen neuen Arbeitgeber. Nun steht erstmal Schleifen auf dem Programm: "Das werde ich in den kommenden Wochen wohl am meisten machen."

Für viele Jugendliche scheint das Praktikum ein Sprungbrett bei der Lehrstellensuche zu sein. "Viele Auszubildenden haben ihre Stellen über ein Praktikum bekommen. Jugendliche und Betriebe profitieren gleichermaßen", sagt Bernd Passarge von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stade. Die Unternehmen könnten den Jugendlichen prüfen, die Bewerber sich beweisen und den Job kennenlernen. "Die Generation Praktikum mit der Ausbeutung gibt es in dem Alter und bei den Ausbildungsberufen nicht", so Passarge. Das sei bei Akademikern eher der Fall. Bei der IHK wurden bislang 1825 abgeschlossene Lehrverträge angegeben. "Es werden wohl 350 Verträge dazukommen", so Passarge. Bei ihm wurden 140 freie Ausbildungsplätze gemeldet.

Im Bezirk der Agentur für Arbeit Stade sind noch 354 Stellen unbesetzt. Allerdings sind das nur die gemeldeten Stellen. "Ich schätze, es gibt mindestens ein Drittel mehr", sagt Uwe Meyer von der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade. Bei der Kammer seien bisher 2575 abgeschlossene Lehrverträge gemeldet worden, was einem Plus von 6,4 Prozentpunkten entspricht. "Die endgültigen Zahlen gibt es Ende des Jahres, wenn alle Betriebe ihre Auszubildenden angegeben haben", so Meyer.