Künstlerische Freiheit gegen historisch korrekte Darstellung: Wenn zwei Welten aufeinander prallen, hilft manchmal nur Rotwein.

Harsefeld. Am Ende war alles so, wie es sein sollte: Der Kunsthistoriker Klaus Frerichs stand vor dem bronzenen Erzabt zu Harsefeld, und er lobte in seiner Laudatio die jüngste Arbeit des Bildhauers Carsten Eggers in den höchsten Tönen. Was kaum jemand wusste: Vor der feierlichen Enthüllung im Harsefelder Klosterpark tobte ein wahrer Kleinkrieg zwischen Frerichs und Eggers um das Kunstwerk.

Sandalen an den Füßen, ein Buch in der Hand, dazu eine Mitra auf dem Kopf - so hatte Carsten Eggers den Erzabt zu Harsefeld geschaffen. Stellvertretend und lebensgroß steht die Plastik für alle Erzäbte, die das 1002 erbaute Kloster von Harsefeld geleitet haben. So sah Eggers den Erz-Abt. Er war der Künstler. So sollte es sein.

Nur hatte sich Klaus Frerichs, Leiter des Buxtehude.Museums für Regionalgeschichte, die Plastik komplett anders vorgestellt. "Als ich sie zum ersten Mal sah, habe ich mich gefragt: Was hat ihn bloß geritten."

Dabei verehrt Frerichs seinen Freund als begnadeten Porträtisten. Aber Sandalen? Und dazu eine Mitra? Und dann fläzt er sich noch dahin, dieser Abt. "So kann man einen Abt nicht darstellen. Wenn er Sandalen an nackten Füßen trägt, hat er keine Mitra auf dem Kopf und schon gar nicht den Krummstab in der Hand", schäumte Frerichs. Warum auch sollte der Abt die Insignien der pontifikalen Macht tragen, wenn er gerade ganz entspannt ein Buch liest und Sandalen trägt? Passt ja nicht wirklich zusammen.

Ein halbes Jahr hatte Eggers am Erz-Abt in seiner Werkstatt in Nottensdorf gearbeitet, und sein Hausarzt, Dr. Sebastian Kepplinger, saß ihm Modell. Immer länger wuchsen Kepplingers Haare, der Künstler wollte es so, denn es ging ihm nicht darum, einen archetypischen Erzabt, der in jeder Verästelung den historischen Tatsachen genügt, zu schaffen. Eggers wollte das Individuelle im Allgemeinen aufscheinen lassen. Nicht ein Abt sollte es sein, sondern sein Abt, der gleichzeitig für eine höhere Wahrheit steht. Einer, der nicht nur Macht, sondern auch Demut ausdrückt.

Also sitzt Hochwürden da in entspannter Pose, die Beine übereinander geschlagen, die Füße stecken in Sandalen, ganz vertieft in ein Buch.

Ikonografisch ging da wohl einiges durcheinander - Frerichs war geschockt. Dabei hatte er das Werk nicht in natura, sondern eine Woche vor der Enthüllung lediglich auf Fotos gesehen. Ein Gehilfe des Künstlers war extra den langen Weg von Eggers Werkstatt in Nottensdorf zu Frerichs nach Horneburg geradelt. Als er die Bilder überreichte, sagte er dreimal auf, was ihm Eggers aufgetragen hatte: "Klaus wird sich freuen." Frerichs griff darauf zum Telefonhörer, am anderen Ende der Leitung Eggers, und brüllte: "Ich bin entsetzt." Am Ende knallten beide den Hörer auf die Gabel. Nach dem Eklat herrschte tagelang Funkstille zwischen Künstler und Kritiker.

Schon mehrfach seien sie sich wegen der Kunst in die Haare geraten. Nicht immer bierernst, sie sind Freunde, aber doch mit viel Verve. Hier der Anarchist, da der Akademiker. "Wir sind beide Dickköpfe", sagt Frerichs.

Richtig in Harnisch gebracht hatten den Kunsthistoriker des Erzabtes Sandalen. Eineinhalb Monate vor Vollendung des Werkes hatte Eggers sogar kurz erwogen, den Abt als Glatzkopf ohne liturgische Kopfbedeckung darzustellen. "Ich hätte mich dann nur noch wegen der Sandalen rechtfertigen müssen und wäre wenigstens 'mitramäßig' aus dem Schneider gewesen."

Die Fronten waren verhärtet. Und vielleicht wären sie es geblieben, hätte nicht Eggers einen Schritt auf seinen Freund zugemacht. Er sei bass erstaunt gewesen über die "Emotionalität", die sein Werk hervorgerufen hat, vertraute Eggers Frerichs an. Kunsthistorisch korrekt, das sollte sein Opus doch auch gar nicht sein. Er genieße schließlich künstlerische Autonomie. "Jedes Detail ist gewollt, kein Zufall. Mein Abt darf das", sagt Eggers.

Im Übrigen müsse er sich als Schaffender doch nicht an irgendwelche überlieferten Kleiderordnungen halten. "Ich bin doch nicht in der Kleiderkammer", sagt er. Sein Abt sollte mit den Pontifikalien nicht nur seine gesellschaftliche Stellung und sein hohes Amt repräsentieren, sondern durch die sitzende Pose und die Sandalen auch Demut, Bescheidenheit und überhaupt: "den reinen Glauben."

Das versöhnte den energischen Kritiker mit dem Künstler und seiner hübsch anzusehenden Plastik. In der "ästhetischen Dissonanz" sah Frerichs eine völlig neue Dimension, in dem Abt die Vereinigung zweier Figuren, der eine ein lesender Mönch, der andere ein Abt mit den bischöflichen Symbolen. "Die Botschaft dürfte sein, dass jemand, der lehrt und verkündet, immer wieder selbst nachprüfen und nachlesen soll."

Bei mehreren Flaschen Rotwein hätten sie dann das Kriegsbeil begraben, sagt Frerichs. Leidenschaftlich hatten sie auch um den Ausstellungsort der Plastik gerungen - auch diese Diskussion ist beendet. Nun hat Frerichs mit beiden seinen Frieden gemacht: der Skulptur und ihrer Position im Klosterpark. "Sie ist jetzt buchstäblich ins rechte Licht gerückt", sagt Frerichs.

Versöhnlicher Schlussakkord des Kritikers, der sein Wirken als Kunstkritiker nicht im "Verreißen, sondern im Fördern" sieht: Am Ende seiner Laudatio zur Enthüllung der Skulptur im Klosterpark sagte er dreimal hintereinander: "Klaus freut sich jetzt."