Der wohl schönste Nebenerwerb der Welt: Manfred Döscher begleitet schon seit 20 Jahren Brautpaare an ihrem schönsten Tag im Leben.

Jork. Zickenalarm! Gloria bockt und steht etwas mürrisch an der Straße Westerjork. Sie ist mit der Gesamtsituation unzufrieden. Zu viele Autos, zu viele Geräusche, zu viel Aufregung. Die missgelaunte Dame ist eben auch nur ein Pferd. Glücklicherweise hat die Brandenburger-Stute noch Gina an ihrer Seite. Die Pferdedame der gleichen Rasse nimmt das Ganze etwas gelassener, fungiert als Ruhepol in der galoppierenden Zweckgemeinschaft. Gemeinsam haben die Rösser schon etliche Ausflüge dieser Art gemeistert, sind belebte Straßen entlang flaniert, haben hupenden Autos getrotzt. Das ist ihr Job.

Denn Gina und Gloria sind keine normalen Pferde. Die beiden Stuten sind das Gespann einer Hochzeitskutsche. Genauer gesagt handelt es sich um einen weißen Landauer, Baujahr 1972, eine offene Droschke mit Blumenschmuck und burgunderroten Samtsitzen. Das Gefährt gehört Manfred Döscher. Der Jorker ist der einzige Hochzeitskutscher weit und breit, fährt Brautpaare sowohl in Cuxhaven und Hamburg, als auch in Stade und Rotenburg. In diesem Jahr feiert er sein Dienstjubiläum - 20 Jahre auf dem Bock.

Angefangen hat alles 1989, damals noch mit einem Jagdwagen. Der gelernte Bankkaufmann war begeisterter Gespannfahrer, irgendwann kam die Anfrage, ob er nicht auch mal ein Hochzeitspaar fahren könnte. Und so verselbständigte sich die Sache. Nach und nach kamen ein geschlossener Wiener Wagen, Baujahr 1897, und der weiße Landauer dazu. Standesgemäße Vehikel für den vermeintlich schönsten Tag im Leben von Vermählten.

Und tatsächlich: Wer einmal in den roten Samtsitzen des Landauers versunken ist, fühlt sich erhaben und zurückversetzt in eine Zeit des stilvollen Reisens. Vorn klappern die Hufe, rechts und links zieht die malerische Altländer Puppenhauskulisse vorbei, als kultivierte Reisebegleitung macht Manfred Döscher eine ausgesprochen gute Figur: Grauer Anzug, Handschuhe, Zylinder. Wären die vorbeibrausenden Autos nicht, man könnte annehmen, in einem tschechischen Märchenfilm gelandet zu sein.

Genau das ist es auch, was die Brautpaare wollen. Eine märchenhafte Fahrt an ihrem großen Tag. So ist der Reiz für Manfred Döscher dann auch schnell umschrieben: "Man sieht nur fröhliche Gesichter, alle strahlen." Bei seinen Fahrten wird der 62-Jährige von seiner Tochter Kerstin begleitet. Auch für sie ist das Kutschfahren das "Nonplusultra". "Man sitzt schön hoch auf dem Bock, hat alles im Überblick und das glückliche Brautpaar tut sein Übriges."

Für dieses Hochgefühl sei eines unerlässlich, sagt der pensionierte Zweigstellenleiter der Jorker Sparkasse: "Gelassenheit!". Man müsse die Pferde in seiner Gewalt haben, auch in stressigen Momenten kühlen Kopf bewahren. "Außerdem braucht man ganz profan einen Personenbeförderungsschein", ergänzt er.

Wie viele Hochzeitspaare er schon gefahren hat, weiß der Kutscher nicht. Aber die Rituale sind immer dieselben: Als edler Gentleman hält Döscher zuerst der Braut die weiße Holztür des Landauer Coupés auf, - denn sie sitzt immer rechts - erst dann darf der Bräutigam einsteigen. Manchmal passiert es dann auch, dass ein Kleid während der Fahrt repariert werden muss, erzählt der erfahrene Fahrer. Die wohl spektakulärste Fahrt hatte das Gespann in Stade. Dort trug eine Braut einen 80 Meter langen Schleier, der von 40 Feuerwehrmännern hinter der Kutsche hergetragen werden musste. Gina und Gloria schlugen damals Schritttempo an, die sonst übliche Hochzeitsgangart ist der Trab.

Die Heiratssaison im Alten Land dauert von Mai bis September, sagt Manfred Döscher. Und es verwundert kaum, dass es eine extra Heiratsbroschüre für die Gegend gibt. Denn nicht nur Altländer lassen sich in ihrer Heimat trauen, mindestens ebenso viele Auswärtige kommen in die pittoreske Umgebung, um hier einen unvergesslichen Tag zu verbringen. Etwa im Jorker Gräfenhof oder auf der Hochzeitsbank beim Estebrügger Münchhof.

Gefahren werden fast alle von Manfred Döscher. Denn wenn schon Traumhochzeit, dann auch mit Traumkutsche. Wie lange er dieses Hobby noch ausüben will, weiß er nicht. "Solange ich auf dem Bock sitzen kann", antwortet er lachend. Und deshalb wird wohl auch weiterhin der etwas antiquierte Blinker - eine Kelle mit der Aufschrift "Vorsicht Kutsche!" - auf den Straßen im Alten Land den vorbeifahrenden Autos anzeigen, dass das Gespann abbiegen möchte. Denn wie sagt die Kutschertochter Kerstin: "Wenn man im Alten Land heiratet, dann geht's nicht ohne Döscher."