Der Angeklagte sitzt stocksteif auf seinem Stuhl im Gerichtssaal 109. Die Beine im rechten Winkel, die Füße parallel zueinander. Er trägt einen feinen Anzug, der perfekt sitzt.

Stade - Nur wenn er die Hände aufeinander presst wie Schraubstöcke oder wenn er sie dann wieder faltet wie zum Gebet, verrät er seine innere Unruhe. Als draußen lautes Stimmengewirr erklingt, lachen alle Beteiligten im Gerichtssaal kurz, auch der Angeklagte. Dabei gibt es hier rein gar nichts zu Lachen.

Was Dieter M. zur Last gelegt wird, wiegt schwer: Seit gestern muss sich der 64-jährige Stader wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor der 13. Großen Strafkammer (als Jugendkammer) des Landgerichts Stade verantworten. Mehrfach soll sich der Rentner zwischen dem 12. und 27. Juli 2008 an seinem Großneffen, dem zwölfjährigen Schüler Phillip M., vergangen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm einfachen sexuellen Missbrauch in zwei und schweren Missbrauch in vier Fällen vor.

Im Sommer des Vorjahres soll der Rentner den Minderjährigen zum Oralverkehr genötigt, ihn mehrfach unsittlich berührt und sich auch mithilfe von Sexual-Spielzeug an ihm vergangen haben. Zum Vollzug des Geschlechtsverkehrs sei es jedoch nicht gekommen, zumindest steht Dieter M. nicht dafür vor Gericht, teilt die Staatsanwaltschaft mit. Sollte ihm jede Tat nachgewiesen werden können, so die Staatsanwaltschaft weiter, sei eine Haftstrafe von mindestens zwei Jahren möglich - für jeden einzelnen Fall.

Doch dass es dazu kommt, ist eher unwahrscheinlich: In Missbrauchsfällen streben Anklage, Gericht, Verteidigung und Nebenklage zum Wohle des Opfers häufig einen "Deal" an. Die Beteiligten einigen sich dabei auf ein (klar umrissenes) Strafmaß. Der Vorteil: Das Verfahren wird eingestellt, das Opfer muss sein Martyrium vor Gericht nicht erneut ausbreiten und durchleben.

So eine "verfahrenserledigende Absprache" war gestern aber nicht zu erzielen. Möglicherweise wird Dieter M. beim nächsten Verhandlungstag am kommenden Freitag ein Geständnis abgeben - das würde sich für ihn strafmildernd auswirken und viel wichtiger noch: Dem Opfer bliebe ein zermürbender Prozess erspart, in dessen Verlauf er en detail über die sexuellen Übergriffe einer früheren Vertrauensperson berichten müsste. Gestern jedoch schwieg Dieter M. zu alldem. Von ihm war nur zu erfahren, dass er im Mai gern den Rasen mäht. (dah)