Bingo! Zahlen im Sekundentakt - beim Lottonachmittag in Breitenwisch ist volle Konzentration gefragt. Für die Teilnehmer zählt anderes als Preise.

Harburg. Ein Lottonachmittag im Gasthaus Jarck in Breitenwisch ist nichts für Zartbesaitete. Hier wird fünf Stunden lang gezockt, von 15 bis 20 Uhr. Man kennt sich, man duzt sich. Nachnamen werden hier nicht benutzt. Moderator Heinz hält den Saal auf Trab. Von seiner Bühne aus gibt er im Sekundentakt die Bingozahlen und Losnummern über Mikrofon bekannt. Vor und hinter ihm sind die Preise aufgebaut. Seine beiden Assistentinnen Rita und Anke laufen an diesem Nachmittag viele Kilometer durch den voll besetzten Saal des Gasthauses, um die Preise an den Tischen zu verteilen.

Grete, 78, Meta, 78, und Hannelore, 68, sind echte Profis. Seit vielen Jahren touren sie durch den Landkreis Stade und kennen sich aus in der Lottoszene. Hannelore sagt, ihr komme es nicht so sehr auf die Preise an. Sie genieße die Geselligkeit und den Spaß, den man zusammen habe. "Ich bringe meine eigenen Bingokarten mit, weil ich die anderen nicht mehr lesen kann. Auf meinen Karten sind die Zahlen größer", erklärt Meta. Für sie sei es wichtig, unter Leute zu kommen, raus zu kommen. Zu Hause sei sie allein, hier, beim Bingospielen sei sie unter Gleichgesinnten, unter Freunden. Grete kutschiert die beiden mindestens ein Mal in der Woche im eigenen Auto über Land zu den Veranstaltungen.

Viel Zeit zum Reden bleibt nicht. Heinz beginnt die nächste Zahlenreihe. "Wir machen weiter auf Karte. Die 54, die 70, und die 56, die 79, wir haben noch schöne Mettwurst hier, und Schnitzel." Meta, Grete und Hannelore an Tisch acht sind hoch konzentriert. Meta muss besonders gut aufpassen, sie spielt gleichzeitig auf drei Karten und setzt ihre kleinen Jetons in Windeseile auf die angesagten Zahlen. Drei Karten, dreifache Chance, fünf Zahlen in einer Reihe mit den kleinen Plastikjetons setzen zu können. Grete spielt auf zwei Karten, dafür benutzt sie aber ihre eigenen alten Pfennigstücke. Die sollen Glück bringen. An anderen Tischen wird sogar mit ganz speziellen dänischen Plastik-Chips gesetzt.

Der Selbstversuch an diesem Nachmittag zeigt: Eine Karte ist bei dem Tempo, das Heinz vorgibt, gut zu schaffen. Bei zwei Karten wird es brenzlig, drei sind für einen Anfänger nicht zu bewältigen. Meta hat ihre drei Karten und Zahlen, die im Stakkato von Heinz angesagt werden, im Griff. Sie ist Profi. "Die 35, die 76 und die 6", dann wird Heinz unterbrochen. Eine Spielerin aus dem Saal ruft "Aus" und hebt die Hand. Sie hat eine waagerechte Zahlenreihe vollständig mit fünf Jetons besetzt. Sie hat die Wahl unter den vielen Preisen. Putenfilet und Spargel sollen es sein.

Zwei Runden später komplettiert sie ihre Ausbeute mit einer Packung Persil und zwei Kartons mit frischen Hühnereiern. An Tisch acht herrscht dagegen Enttäuschung. Grete hätte noch die 76 auf ihren beiden Karten gebraucht, dann hätte auch sie gewonnen. Gewinnen zwei Spieler, gibt es in Breitenwisch für jeden noch eine Packung Toilettenpapier als Trostpflaster, weil sich der Preis bei zwei Gewinnern halbiert. Weiter geht's. Heinz läutet die nächste Bingo-Runde ein: "Rita hat auch Käse da, wie ihr riechen könnt. Der riecht so gut wie meine Füße." Und dann prasseln wieder unerbittlich die Bingo-Zahlen auf den Saal nieder, bis jemand "Aus" ruft. Wieder ist eine Zahlenreihe komplett, wieder haben die Damen an Tisch acht kein Glück gehabt. Aber der Nachmittag ist noch lang, die Hoffnung stirbt zuletzt. Nach dieser Runde entlässt Heinz den Saal in die Raucherpause.

"Wenn hier Bingo ist, nehmen wir das natürlich mit. In Wuppertal kennen wir so etwas nicht." - Walter Treu

"Vor ungefähr 40 Jahren hatte mein Schwiegervater die Idee, hier Bingo-Veranstaltungen zu machen. Angefangen hat er damals mit einem Sportverein", sagt Yvonne Jarck. Ehemann Holger Jarck, der das Breitenwischer Gasthaus nun in vierter Generation führt, steht in der Küche und bereitet das Essen für die Gäste des heutigen Lottonachmittags vor. Um 18 Uhr sollen den Spielern Spargelcreme-Suppe, Schnitzel und Frikadellen im Saal serviert werden.

Bingo- und Lottonachmittage sind im Landkreis Stade der Renner. Wer mitspielen möchte, muss sich schon zwei Wochen vorher anmelden, um einen Platz zu bekommen. Dass heute Nachmittag nur 80 Gäste im Saal sitzen, verdanken die Jarcks einer Panne bei der Post. "Wir schreiben die Leute per Post an, um unsere Termine anzukündigen. Dieses Mal ist die Hälfte der Briefe nicht angekommen", sagt Yvonne Jarck.

Immer mehr junge Spieler entdecken die Bingo-Leidenschaft für sich. Für die Veranstalter, wie das Gasthaus Jarck, seien diese Nachmittage eine lukrative Nebeneinnahme, so Yvonne Jarck.

Nach der Raucherpause "geht es auf die Eimerlose". Heinz gibt die Losnummern durch. Er sorgt für Abwechslung im Spiel. Nach drei Bingo-Runden kommen die Lose. Heinz verliest die Losnummern, der Inhaber ruft: "Hier!", Rita und Anke verteilen die Preise. Karla und Walter Treu aus Wuppertal sahnen ordentlich ab an diesem Nachmittag: Ein Kilo Butter, zwei Kartons Eier, Käse, Spargel und Süßigkeiten haben sie schon gewonnen. "Und der Rest kommt noch", sagt Walter und lacht.

Zum 33. Mal waren sie jetzt in Hüll, haben dort ihren Urlaub verbracht. Sonnabendmorgen um 6 Uhr wollen sie zurück nach Wuppertal. Zu kalt, zu regnerisch sei es hier gewesen. Immerhin sei man zum Radfahren hierher gekommen. "Und wenn hier Bingo ist", meint Walter, "nehmen wir das natürlich mit. In Wuppertal kennen wir sowas nicht."

"Grillfleisch und Koteletts haben wir noch, aber wir sind ja noch lange nicht zu Ende. Es geht weiter auf Karte", sagt Heinz mit der Routine eines Fernseh-Moderators. Ehepaar Treu wendet sich wieder den Bingo-Karten zu. Drei Runden weiter, Heinz verliest gerade die nächsten Eimerlose, ruft es endlich von Tisch acht "Hier!". Marie, die vierte im Bunde der Bingo-Freundinnen, hat die richtige Losnummer - endlich! Ihr Alter will sie nicht verraten, aber was sie nun doch noch an diesem Nachmittag gewonnen hat, das verrät sie umso stolzer: "Ich bin zufrieden, so viel habe ich noch nie gewonnen. Mein Partner sagte, ich soll ordentlich was mitbringen. Und das kann ich nun auch tun. Ich habe Erdbeeren, geräucherte Forellen, Käse, Koteletts und eine schöne Mettwurst."

Ihren Einsatz für die Bingokarte und die verschiedenen Lose schätzt sie auf rund 30 Euro. Das habe sich auf jeden Fall gelohnt. Vor allem, "weil ich eigentlich kein Glückskind bin", sagt die alte Dame. Es ist 18 Uhr. Anke und Rita tragen jetzt die Spargelcreme-Suppen an die Tische. Die schmecke herrlich, freut sich Grete. Und die vier Freundinnen gönnen sich die verdiente Pause im großen Saal. Ihre Gewinne sind schon längst in den mitgebrachten Einkaufstaschen verstaut. Auch Meta hat inzwischen Glück gehabt und eine Mettwurst, Butter, Würstchen und eine Packung Toilettenpapier gewonnen. Bis 20 Uhr wollen sie auf jeden Fall durchhalten heute Abend. Bingo!