Fahrt sollte aus finanziellen Gründen nicht stattfinden. Jugendliche der Stader Hauptschule am Hohenwedel kümmerten sich dann selbst

Stade. Sie konnten wählen - zwischen einem Tagesausflug zum Musical "König der Löwen" und einer Reise nach Auschwitz, zwischen leichter Unterhaltung und einem todernsten Thema. Die Jungen und Mädchen von der Hauptschule am Hohenwedel entschieden sich für Auschwitz, den Ort, der tief im Gedächtnis von Deutschen, Israelis und Polen verankert ist.

Möglich wurde die Reise zu der KZ-Gedenkstätte nur, weil die Schüler unbedingt nach Auschwitz wollten und alle Hebel dafür in Bewegung setzten. "Das Problem für die Schule war, dass die eigentliche Klassenreise schon stattgefunden hatte und eine zweite für viele Eltern nicht bezahlbar war. Daher hatte die Schule zunächst auch abgelehnt, die Reise nach Auschwitz zu organisieren", sagt Oskar Kokoschka, Lehrer an der Hauptschule Hohenwedel. Die Schüler, zwischen 15 und 16 Jahren alt, ließen sich davon aber nicht beirren.

Nachdem sie den Film "Schindlers Liste" gesehen hatten, wussten sie, dass sie das Ausmaß des Holocaust wohl erst begreifen würden, wenn sie die KZ-Gedenkstätte sehen können. "Die Schüler waren entschlossen, die Reise zu ermöglichen und haben sich zuerst an die Sparkasse und anschließend an uns gewandt, um die Reise zu finanzieren", sagt Karina Holst, Integrationsbeauftragte der Stadt Stade.

Holst war derart angetan von dem Engagement der Schüler, dass sie prompt eine Unterstützung zusagte. Die Stadt setzte sich mit der Schule in Verbindung und sagte zu, die Reise zu sponsern. "Diese Aktion zeigt, dass sich Jugendliche, anders als oft behauptet, sehr wohl für unsere Geschichte und die Verantwortung, die aus ihr erwächst, interessieren", so Holst. Die Schule hatte noch Bedenken und bot den Jugendlichen einen Tagesausflug zum Musical "König der Löwen" als Alternative an. Doch die Schüler wollten ausnahmslos nach Auschwitz.

Jasmina Hammad gehört zu jenen Schülern, die die Reise nach Polen angetreten haben. Nach 13 Stunden Busfahrt betrat sie einen Ort, der alle Schüler tief beeindruckte und nachdenklich stimmte. "Es war umwerfend groß und zugleich niederschmetternd", sagt Hammad. Aber auch schwer zu begreifen. Am Eingang habe sich das Bild der menschlichen Katastrophe noch nicht in den Köpfen herausgebildet.

"Erst als wir am Tor den Schriftzug 'Arbeit macht frei' gesehen haben, haben wir alles begriffen. Bei vielen Schülern liefen die Tränen", sagt Hammad. Ein "ekliges Gefühl" habe sich in den Köpfen verbreitet, Gänsehaut, Zittern, ein Kloß im Hals. "Die Schüler haben lange gebraucht, um die gesammelten Eindrücke zu verarbeiten. Sie kamen an die Grenzen der Hilflosigkeit", sagt Kokoschka. Jetzt, wo die Schüler schon seit einer Weile wieder zurück sind, sprechen sie noch immer viel darüber. "Der Verarbeitungsprozess läuft noch, aber niemand von uns hat den Besuch der Gedenkstätte bereut", sagt Hammad. Auch, weil der Besuch die Schüler verändert und nachdenklicher gemacht habe. "So schlimm es war, der Besuch hat uns geholfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen", sagt Hammad, die sich nun auch vorstellen kann, einmal Israel zu besuchen.

Das haben Wenke Lachmann, Leon Jannik Hansen und Sina Pauly bereits getan. Die Jugendlichen hatten zuerst Bergen-Belsen besucht und reisten dann mit dem trinationalen Jugendaustausch nach Israel. "Wir erwarteten in dem Land zuerst eine leicht abstoßende Art wegen unserer gemeinsamen Geschichte. Aber alle waren sehr herzlich und freundlich, auch die älteren Israelis, die noch Erinnerungen an den Holocaust haben", sagt Sina Pauly. Schuldzuweisungen an die jungen Deutschen habe es keine gegeben. "Das ist inzwischen vorbei", sagt Jannik Hansen.