Nur ein einziges Tor fehlte dem Buxtehuder SV zur Handball-Sensation. Spielerinnen und Fans sind fassungslos

Buxtehude/Bad Langensalza. Dunkle Wolken ziehen sich am eben noch blauen Himmel zusammen, ein heftiger Platzregen prasselt auf die Stadt nieder, grelle Blitze zucken durch den Himmel. Über Buxtehude hat sich am Sonnabendnachmittag nach strahlendem Sonnenschein ein bedrohliches Unwetter zusammengebraut, das andeutet, was die Stadt an der Este in den kommenden Stunden sportlich erwarten würde.

Zum ersten Mal stehen die Handball-Frauen des Buxtehuder SV im Finale um die deutsche Meisterschaft. Das Hinspiel in Buxtehude hatte die Mannschaft mit fünf Toren Unterschied gegen den Topfavoriten des Thüringer HC aus Erfurt-Bad Langensalza verloren (29:34). Buxtehude gegen Erfurt, das ist wie St. Pauli gegen Bayern München im Fußball. Der eine ist dominant, der andere Außenseiter.

Nun sind die BSV-Damen in Bad Langensalza, um den Rückstand aufzuholen. Etwa 100 Schlachtenbummler sind mit nach Thüringen gefahren. Auch Bürgermeister Jürgen Badur ist dabei, um Buxtehudes sportliches Aushängeschild in der mit 1100 Zuschauern ausverkauften Salza-Halle kräftig zu unterstützen.

Obwohl das Hinspiel in Buxtehude verloren ging, glauben alle Spielerinnen und BSV-Fans an ein mögliches Wunder. Buxtehude ist im Handball-Fieber - zumindest ein bisschen. Zum alles entscheidenden Rückspiel ist ein Public Viewing auf dem Petri-Platz geplant, zeitgleich eines im Brauhaus, gleich um die Ecke. Während der Petri-Platz im Wasserschwall untergeht, sammeln sich die ersten Handball-Fans lieber im Brauhaus zum Public Viewing an der Großleinwand.

Der große Außenseiter Buxtehude stimmt die Fans zunächst froh. Jeder Torerfolg und jede Parade von Torhüterin Jana Krause wird von den Fans frenetisch bejubelt. Buxtehudes Traum vom märchenhaften Titelgewinn, er scheint immer näher zu kommen, die Mannschaft baut schnell eine Führung auf und geht mit solidem Vorsprung von 14:10 in die Pause.

Fröhliche Mienen bei den Fans, zumindest bei den meisten. "Die packen das noch", sagt Erich Schmitz, der eher ernst dreinschaut. Er ist einer der wenigen Fans des Vereins aus Thüringen, die sich in das Brauhaus verirrt haben. Sein rotes Hemd ist in der Schar der blauen Trikots fehl am Platz. Doch er fühlt sich wohl. "Die Stimmung ist ja freundlich und gut", sagt er. Aber seine Mädels würden das noch biegen. Das würden die Buxtehuder Fans noch sehen.

Anpfiff zur zweiten Halbzeit. Das Brauhaus ist inzwischen proppenvoll, fast 200 Fans drängen sich um die Tische und die Geländer, um mitzuerleben, wie der BSV seine Führung kontinuierlich ausbaut. Noch ein Tor. Riesenjubel. Buxtehude führt mit 27:18, der Titel ist fast sicher.

Noch zehn Minuten, einfach nur die Führung verteidigen, dann ist die Sensation perfekt. Doch das ist leichter gesagt, als getan. Das Spiel wird ausgeglichener. Fünf Minuten vor dem Ende dreht das Star-Ensemble des Thüringer HC auf, dem BSV geht die Puste aus, BSV-Tore bleiben Mangelware.

Die Stimmung auf dem Platz kippt, die Handballerinnen sehen, wie ihnen die Felle vor der Nase wegschwimmen, der THC holt Tor für Tor auf. Schweigen im Brauhaus. Für die Buxtehuder Fans beginnt nun das große Bangen. Reicht der Vorsprung? Ängstliche Blicke auf die Uhr, Hände werden über dem Kopf zusammengeschlagen, Fingernägel werden gekaut. Nur die kleine THC-Fangemeinde am Ecktisch freut sich diebisch und stößt mit dem Bier schon mal auf den möglichen Titel an.

30 Sekunden vor Schluss, Buxtehude kann noch einmal mit einem Tor alles für sich entscheiden - und scheitert. Im Gegenzug stürmt der THC auf das Buxtehuder Tor zu und trifft - mitten in das Buxtehuder Herz.

Die Uhr tickt weiter, noch fünf Sekunden, vier, drei, zwei, eins, dann zerplatzt der Traum endgültig. 28:23 lautet das Endergebnis. Obgleich das Spiel vom BSV deutlich gewonnen wurde, fehlt den Buxtehuderinnen ein einziges Tor in der Gesamtwertung zur Sensation. Allein die Auswärtstorregel gab letztlich den Ausschlag dafür, dass der Thüringer HC, der bis zur allerletzten Sekunde um den Titel zittern musste, Meister wurde. Die Mannschaft von Trainer Dirk Leun machte ihr bestes Saisonspiel, doch es nützte nichts. Die Lorbeeren erntet der THC.

Schockstarre bei den Fans im Brauhaus. Die Bilder aus Bad Langensalza schmerzen. Die THC-Spielerinnen liegen sich in den Armen, jubeln. Die BSV-Damen liegen am Boden, weinen hemmungslos. Niemand im Brauhaus sagt etwas. Auch die THC-Fans bleiben aus gebührendem Respekt still. Enttäuschte Mienen, die ersten Gäste bezahlen ihr Bier und gehen. BSV-Marketingleiter Thorsten Sundermann bittet die Fans, in der Nacht zum Petri-Platz zu kommen, um den Spielerinnen bei ihrer Ankunft in Buxtehude einen warmen Empfang zu bereiten. Zustimmendes Nicken im Saal. Viel Zeit, den Schock zu verdauen, bleibt nicht. Schon am kommenden Wochenende steht das Pokalfinale in Göppingen bevor, und da kann es zu einem erneuten Endspiel mit dem Thüringer HC kommen - vielleicht die Revanche?