Jimi Hendrix

Als Woodstock auf die Insel Fehmarn kam

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Jörg Riefenstahl
Der amerikanische Rocksänger und Gitarrist Jimi Hendrix  bei seinem Auftritt auf Fehmarn im September 1970

Der amerikanische Rocksänger und Gitarrist Jimi Hendrix bei seinem Auftritt auf Fehmarn im September 1970

Foto: dpa Picture-Alliance / Dieter Klar / picture-alliance / dpa

Love-and-Peace-Festival vor 50 Jahren war ein absoluter Reinfall. Dank Jimi Hendrix’ letztem großen Auftritt wurde es zum Mythos.

Fehmarn. Sie wollten Woodstock nach Norddeutschland holen – doch ihr Traum von Liebe und Frieden versank auf der Insel Fehmarn in Flammen und Chaos am Flügger Strand. Das Love-and-Peace-Festival, zu dem sich vor 50 Jahren rund 25.000 Blumenkinder aus ganz Europa mit Zelten und Schlafsäcken auf der Ostseeinsel eingefunden hatten, war ein organisatorisches, finanzielles und meteorologisches Desaster.

Dennoch ist das dreitägige Musikfestival als Mythos in die Geschichte eingegangen. Noch heute weht ein Hauch von Woodstock über der Ostseeinsel. Täglich pilgern 200 bis 300 Touristen nach Flügge. An den Ort, wo der Gitarrengott Jimi Hendrix am 6. September 1970 mit seiner Fender Stratocaster die Bühne betrat und mit vom Winde verwehten Gitarrenriffs Tausende aus ihren Zelten lockte. Es war der letzte Open-Air-Auftritt des Ausnahmekünstlers. Zwei Wochen später starb ­James Marshall ,,Jimi“ Hendrix in einem Londoner Hotel im Alter von 27 Jahren. Seitdem ist Fehmarn für immer mit seinem Namen verbunden.

So ein Festival hatte es vorher in Deutschland nicht gegeben

Einer von denen, die hautnah dabei waren, ist Roger Elgert (heute 69) aus Neu Wulmstorf. In Hamburg-Harburg ist er bekannt wie ein bunter Hund. Der Althippie trägt sein Markenzeichen, den Original-Parka mit „Peace“-Symbol und dem Festival-Logo, bis heute.

Als Hendrix & Co. 1970 spielen, ist Roger noch ein junger Blondschopf, steht in der ersten Reihe vor der Bühne und jubelt seinen Idolen zu. ,,Ich habe alle Konzerte gesehen. Ginger Baker mit seinem endlosen Schlagzeugsolo war richtig Klasse. Alexis Korner, der Vater des weißen Blues, hielt mit seinen launigen Ansagen und seiner Gitarre während der endlosen Pausen das Publikum bei Laune. Aber Jimi Hendrix war der Beste“, schwärmt Roger. Nach 50 Jahren ist er zum ersten Mal nach Fehmarn zurückgekehrt.

Der Campingplatz hinterm Deich, der zum Festivalgelände führte, ist immer noch da. Die 50 Hektar Wiese eines Landwirtes, auf der Zigtausende bei Wind und Wetter campierten und Bands wie Canned Heat, Mungo Jerry („In The Summertime“), den Faces mit Rod Stewart und Ron Wood, Sly And The Familiy Stone und Frumpy lauschten, ist heute Sumpfgebiet und steht unter Naturschutz. ,,Wir sind damals mit meiner Clique hingefahren“, erinnert sich Roger. Er hatte weder Zelt noch Schlafsack dabei. ,,Wir trugen Badehosen unter unseren Klamotten. Mein Schlafsack war der Parka, mein Zelt war der Baum. Das war’s.“

Festivalleitung mit der Situation vor Ort total überfordert

Tage bevor das Musikfestival beginnt, strömen schon Tausende Besucher auf das Gelände. Mit 60.000 Menschen haben die Veranstalter ursprünglich gerechnet, 30 bis 40 Musikgruppen sollten auftreten. Ein Festival dieser Größenordnung hatte es vorher in Deutschland nicht gegeben. Nach Isle of Wight soll Fehmarn mit Top Acts wie Ten Years After, Procol Harum, Joan Baez­ und Superstar Jimi Hendrix das ultimative Festival im hohen Norden werden. Den Veranstaltern – drei norddeutschen Gastwirten – war es gelungen, Beate Uhse als Sponsor mit ins Boot zu holen. Sie stellt den jungen Leuten 200.000 D-Mark als Vorkasse zur Verfügung, vertreibt deutschlandweit Festivaltickets in ihren Sexshops. Auf Fehmarn wirft sie mit ihren Söhnen Kondome ins Hippievolk. Das freut sich – und pustet die Gummis zu Luftballons auf.

Schnell stellt sich heraus, dass die Festivalleitung mit der Situation vor Ort total überfordert ist. Für den Ordnungsdienst hat man auf das falsche Pferd gesetzt. Zu den dafür vorgesehenen persischen Studenten und 20 Rockern gesellen sich als ,,Helfer‘‘ 80 Hamburger Rocker mit ihren Motorrädern. Sie alle wollen dabei sein. Es kommt zu Schlägereien, Rocker plündern eine Tankstelle. Die Veranstalter sehen sich genötigt, alle Rocker zu engagieren. Daraufhin halten diese pöbelnd und kettenschwingend Zufahrtswege und Einlasskontrollen in Schach.

„Ich wusste, dass die Hamburger Rocker den Ordnungsdienst machen“, erzählt Roger. ,,Wir sind einfach über die Wiesen gelaufen. Ich war schnell. Die, die schon drinnen auf dem Festivalgelände waren, haben für uns den Zaun niedergedrückt.“ Die folgenden Tage sind geprägt von Regen, Kälte und Sturm. In Zelten und unter Plastikfolien suchen die Festivalbesucher Schutz vor Wind und Wetter. Die Versorgung ist dürftig, die Lebensmittelpreise sind gesalzen. Sanitäre Anlagen sind nur mühsam zu erreichen. Von Love and Peace keine Spur. ,,Ich habe nur zugesehen, dass ich immer bei irgendwelchen Leuten im Zelt unterkam“, erzählt Roger.

Kampf mit den Tücken der Technik

Die Bands kämpfen vom ersten Tag an mit den Tücken der Technik. Die Lautsprecheranlage erweist sich als zu schwach. Viele Festivalbesucher bekommen von der Musik kaum etwas mit. Regenwasser überflutet die Drehbühne, die Folge sind Stromschläge und Stromausfälle. Renaissance muss ihren Auftritt abbrechen. Collosseum steckt im Stau, Cactus erscheint nicht, auch The Taste sagt ab. Procol Harum und Joan Baez hatten gar nicht erst zugesagt. Pünktlich um 12 Uhr eröffnet Frumpy den zweiten Festivaltag. ,

,Wir spielten vor einer riesigen Menschenmenge, die übermüdet und mürrisch zuhörte“, erinnert sich die Hamburger Sängerin Inga Rumpf in einer Videobotschaft zum 50. Jubiläum des Festivals. ,,Als wir fertiggespielt hatten, fuhren wir sofort über die Fehmarnsundbrücke nach Hause. Als ich mich umschaute, sah ich, wie sich ein dunkler Regenschauer wie in einem riesigen Trichter über das Festivalgelände ergoss.“ Alexis Korner versucht den Fans schonend beizubringen, dass Ten Years After nicht mehr spielen wird.

Weil das Wetter schlecht war, spielte Hendrix erst Sonntag

Als Jimi Hendrix übermüdet von einem Auftritt auf der Waldbühne in Berlin auf Fehmarn eintrifft, zieht er es vor, erst mal im Hotel zu bleiben. Canned Heat, Mungo Jerry und die Woodstock-Veteranen Sly and The Familiy Stone sind willkommene Stimmungsaufheller für die wartenden Fans. Denn eins ist klar: Nach seinem legendären Auftritt auf dem Woodstock-Festival wollen jetzt alle Hendrix sehen. Der bedeutendste Gitarrist seiner Zeit soll nun erst am Sonntag spielen.

Sonntagvormittag. Alexis Korner hat alle Mühe, die Fans bei Laune zu halten, und lädt zum musikalischen Happening auf die Bühne. Überraschenderweise gelingt es dem bis dato unbekannten Duo Witthüser & Westrupp mit „Wir lieben Flipper“, das durchnässte Publikum zum Mitsingen zu bewegen. Um 12.59 Uhr ist es so weit. ,,Als Jimi Hendrix auf die Bühne trat, schien plötzlich die Sonne“, erzählt Roger.

„Er machte das Peace-Zeichen und sagte, ,Baut die Zelte ab, ich will euch sehen!‘“ Mit dem wilden Intro zu „Killing Floor“ von Howlin’ Wolf packt der Gitarrist das Publikum. ,,Jimi Hendrix lockte alle heraus. Für jeden Nichttänzer wäre seine Musik ein Erlebnis gewesen“, sagt Roger augenzwinkernd.

Gedenkstein an der Stelle, wo Jimi Hendrix auf der Bühne stand

Es folgen „Spanish Castle Music“, „All Along The Watchtower“ – nicht zu vergessen „Hey Joe“. Neben Jubel gibt es auch Pfiffe und Buhrufe für den Künstler, auf den alle so lange gewartet hatten. ,,Ich scheiß drauf ob ihr buht, solange ihr es in der richtigen Tonart macht“, soll er geantwortet haben. Schlusspunkt seines 90-minütigen Auftritts ist ,,Voodoo ­Chile“.

Unterdessen spitzt sich die Lage zwischen Helfern und Festivalbetreibern zu. Die Rocker wurden bezahlt, aber einige fordern weiter Lohn. Abends wird klar: Die Veranstalter sind verschwunden, die Tageskasse ist futsch. Das Organisationszentrum und mehrere Wohnwagen gehen in Flammen auf. Ton Steine Scherben mit Rio Reiser, damals noch weitgehend unbekannt, beeilen sich, auf die Bühne zu kommen, und heizen mit ,,Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ die Stimmung weiter an, während Rocker anfangen, Bühnenbretter zu verbrennen. ,,Als es brannte, haben wir mitgesungen und weiter Party gemacht“, sagt Roger.

Heute erinnert ein Gedenkstein an die Stelle, wo Jimi Hendrix auf der Bühne stand. Roger ist wie berauscht, als er an den Ort zurückkehrt. Touristen bekommen leuchtende Augen, als sie erfahren, dass Roger dabei war, und bitten den ergrauten Hippie um Selfies. Am 6. September werden am Jimi-Hendrix-Gedenkstein Amateurmitschnitte von Hendrix’ Festivalauftritt gezeigt. Die Vorführung beginnt um 12.59 Uhr – zur selben Zeit hatte Hendrix vor 50 Jahren für 70.000 D-Mark Gage die Bühne betreten. Es war sein letzter großer Gig.