Westerland. Wie geht es weiter mit dem Tourismus auf der Insel Sylt? Die Corona-Pandemie hat ein paar Gewissheiten erschüttert auf der Nordseeinsel. Immer neue Hotels hochziehen, immer mehr Betten bauen, immer mehr Besucher auf die Insel holen: Dieses Investoren-Motto, das Sylt lange dominiert hat, könnte bald ausgedient haben.
Der Bauausschuss der Gemeinde will jetzt ein „Fremdenbeherbergungskonzept“ erstellen lassen, das Grenzen ziehen soll. Die kleinste Fraktion in der Gemeindevertretung, die „Insulaner“, bringt gar ein Moratorium ins Spiel – einen zeitlich begrenzten Genehmigungsstopp für den Bau zusätzlicher Gästebetten. „Was wir nicht brauchen, sind noch mehr Betten“, sagt Markus Gieppner.
Sylt-Strategie: weniger Quantität und mehr Qualität
Die „Insulaner“ stehen nicht allein mit dieser Forderung. Auch Peter Douven, der Chef der Insel Sylt Tourismus Service GmbH, kann dem durchaus etwas abgewinnen. Im Finanzausschuss der Gemeinde hat er im Juli skizziert, was auf Sylt möglich sein sollte und was nicht. Während Schleswig-Holsteins Tourismusstrategie im Grundsatz vorsieht, weitere Beherbergungsbetriebe im Land zwischen Nord- und Ostsee anzusiedeln, hält Douven das für keine gute Idee.
„Das kann und darf nicht der Leitfaden für Sylt sein“, sagte er im Ausschuss. Dies sei undifferenziert und auch „nicht durchsetzbar“ auf der Insel. Ein wesentlicher Punkt der insularen Strategie sei es, den Tourismus „hinsichtlich der Quantität abzubremsen“ und im gleichen Zug die Qualität der Angebote anzuheben.
Sylter Bauausschuss berät über Konzept
Ähnlich klingt es bei dem Fremdenbeherbergungskonzept. 55.000 Euro stehen dafür bereit. Zunächst erfolgt nun eine Ausschreibung, mit der geklärt wird, welche Firma den Auftrag bekommt. Um welche Fragen es in dem Konzept gehen soll, ist dem Antrag für den Bauausschuss zu entnehmen. Dort heißt es:
„Die Gemeinde Sylt wird im Rahmen von Bauvoranfragen und -anträgen immer wieder mit Projektentwicklungen und Weiterentwicklungen bestehender Einrichtungen konfrontiert und steht im Zusammenhang mit entsprechenden Genehmigungsfristen unter einem unmittelbaren Entscheidungsdruck. Dabei besteht wenig Handlungsmöglichkeit/-fähigkeit, weil eine übergeordnete Zielausrichtung fehlt, die als Begründung und Entscheidungsgrundlage herbeigezogen werden kann.“ Im Klartext: Das Fremdenbeherbergungskonzept soll unter anderem auch eine Grundlage dafür liefern, einen Bauantrag mit Verweis auf einen Verstoß gegen übergeordnete Ziele ablehnen zu können.
2019 zählte Sylt 960.636 Touristen
Der Tourismus auf der Nordseeinsel Sylt hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Zuvor hatte es allerdings eine Phase der Stagnation gegeben. 2009 wurden 6,7 Millionen Übernachtungen und 867.955 Touristen verzeichnet, fünf Jahre später hatte sich diese Zahl kaum verändert: 6,5 Millionen Übernachtungen und 868.564 Touristen. Danach begann der Boom. 2019 gab es 7,1 Millionen Übernachtungen, und 960.636 Gäste hatten ihren Urlaub auf Sylt verbracht.
In diesem Jahr folgte dann eine Saison der Extreme. Im Corona-Lockdown seit Mitte März war die Insel wochenlang leer, im Juli und August dagegen randvoll. Hotels und Ferienwohnung waren komplett ausgebucht.
„Insulaner“ wollen erstmal keine neuen Gästebetten
Es sind Wochen, die Spuren hinterlassen haben. „Die zwei Monate des Lockdowns waren eine phänomenal schöne Zeit“, sagt Markus Gieppner. „Jeder hat einen gegrüßt.“ Dass ohne Touristen kein Geld zu verdienen ist, weiß auch der „Insulaner“. Aber die Corona-Zeit ist vielleicht ein Anlass, bisherige Verhaltensweisen zu überprüfen. Die „Insulaner“ schlagen vor, die rechtlichen Grundlagen für ein Moratorium prüfen zu lassen.
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Erst einmal keine weiteren Gästebetten genehmigen, bis das neue Beherbergungskonzept da ist – das will die kleine Fraktion in der Sylter Gemeindevertretung. „Die Insel gelangt gerade an ihre Kapazitätsgrenzen“, sagt Gieppner. „Die Nachfrage steigt ständig weiter, sie könnte nur mit weiteren Betten erfüllt werden. Einigkeit herrscht darüber, dass wir genau das nicht wollen. Zugleich werden aber immer mehr Ferienobjekte erstellt. Die Attraktivität für Investoren ist ungebrochen hoch.“
Ein Moratorium berge selbstverständlich praktische, wirtschaftliche und auch juristische Fragen. „Sie sollten deshalb bereits im Vorfeld sorgsam geprüft werden“, so Gieppner.
Grüne wollen wissen, ob Kapazitätsgrenze erreicht ist
Außerdem schlägt die Fraktion vor, einen Tourismus-Fachausschuss zu gründen. Bislang werden Tourismusthemen mal im Bauausschuss, mal im Finanz- und Wirtschaftsausschuss beraten. Ein eigener Ausschuss wäre angesichts der überragenden Bedeutung des Themas Tourismus für Sylt angemessen, finden die „Insulaner“.
In dem Ausschuss könne es dann auch um die Frage gehen, wie Wohnraum in der Hand der Insulaner gehalten werden könne und wie der „extrem hohe Anteil an nicht insularem Immobilieneigentum“ verringert werden könne. „Pro Jahr werden auf Sylt Immobilientransaktionen in Höhe von 600 bis 700 Millionen Euro getätigt“, sagt Gieppner. Ob die Fraktion mit ihren Anträgen durchdringt, ist unklar. Zunächst sind sie in den Hauptausschuss verwiesen worden.
Fragen hat auch die Grünen-Fraktion in der Gemeindevertretung. Sie fordert, die Verwaltung müsse endlich eine „Statistik der realen Fremdenbettenzahlen“ und der Touristen erstellen. Ziel sei „eine gesamtinsulare Erfassung der Besucherzahlen einschließlich der Zweitwohnungsnutzer und der Tagesgäste“. Nur so könne eingeschätzt werden, „ob die Kapazitätsgrenzen der Insel bereits überschritten sind“.
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