Die schleswig-holsteinischen Grünen haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Pädophilie-Affäre aufarbeiten soll. Es geht auch um Wahlprogramme aus 80er-Jahren. Zeitzeugen sollen befragt werden.

Kiel. „Alles benennen, was gelaufen ist“: Dieser Satz stammt von der Rechtsanwältin Birgitta Brummer. Sie ist die Sprecherin der Arbeitsgruppe, die die schleswig-holsteinischen Grünen jetzt eingerichtet haben. Sie soll die Pädophilie-Tendenzen in den eigenen Reihen aufklären. Am Vortag hatte das Hamburger Abendblatt erstmals über ein Papier der Grünen-Arbeitsgruppe „Schwule und Lesben“ berichtet. In diesem Papier aus dem Jahr 1987 war in verklausulierter Form die Straffreiheit für Sex mit Kindern unter 14 Jahren gefordert worden. Ein Mitverfasser des Textes stieg später zum Landesgeschäftsführer, dann zum Fraktionsgeschäftsführer seiner Partei auf. 2002 wurde er fristlos entlassen, weil man auf seinem Dienstcomputer Kinderpornos gefunden hatte.

Die Aufgabe ist nicht einfach. Vielleicht auch deshalb, weil es in den 80er-Jahren an Sensibilität gefehlt hatte. „Viele Grüne sagen, sie hätten das damals nicht wahrgenommen“, sagt Brummer. Es habe offenbar die Einstellung vorgeherrscht, die Schwulen und Lesben würden für ihre Interessen kämpfen. Deshalb habe man sich da „nicht einmischen“ wollen.

Zeitzeugen sollen befragt und zahlreiche Akten gesichtet werden

Nun mischen sich die Grünen ein. Zeitzeugen sollen befragt werden, Akten müssen gesichtet werden. Unter anderem geht es auch um die Kommunalwahlprogramme aus jener Zeit. Kurz vor der Bundestagswahl hatte just ein solches Wahlprogramm den Grünen-Spitzenkandidaten Jürgen Trittin in Bedrängnis gebracht. Er war der presserechtlich Verantwortliche für ein Papier aus dem Jahr 1981. Darin wurde gefordert, Sex mit Kindern unter bestimmten Bedingungen nicht mehr zu bestrafen.

Derartige Debatten fanden damals durchaus nicht nur in den Zirkeln der Partei statt. Der Feuilletonchef der „Zeit“, Rudolf Walter Leonhardt, war schon 1969 in einer dreiteiligen Serie dem „Unfug mit Unschuld und Unzucht“ nachgegangen. Im Titel klang schon an, worum es da ging: Pädophilie, so forderte Leonhardt, sollte nicht länger tabuisiert werden. Auch der Psychologe Helmut Kentler durfte in der „Zeit“ zu Wort kommen. In seinen Schriften hatte er unter anderem empfohlen, straffällige Jugendliche bei „pädagogisch interessierten Päderasten unterzubringen“. Der „Spiegel“ nahm sich ebenfalls des Themas Kindersex an. Unter der Überschrift „Die verkauften Lolitas“ wurde 1977 ein Titelfoto eines nahezu unbekleideten Mädchens gezeigt. Heute würde es eine Welle der Empörung auslösen, damals gab es kaum Kritik.

Doch es hat sich etwas getan. Ingo Loeding, stellvertretender Vorsitzender des Kinderschutzbundes in Schleswig-Holstein, sagt: „Das gesellschaftliche Bewusstsein ist heute ein anderes.“ Die Unversehrtheit von Kindern habe ein größeres Gewicht.