Schleswig-Holstein

70. Geburtstag und eine Frage: Wer war der Heide-Mörder?

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Wolfgang Schmidt

Die ehemalige Ministerpräsidentin hat ein Märchenbuch geschrieben und ist voller Energie. Zu ihrem 70. Geburtstag taucht eine alte Frage neu auf: Wer vermasselte ihr 2005 die Wiederwahl?

Kiel/Hamburg. „Ich weigere mich, mein Alter zur Kenntnis zu nehmen!“, sagt die Frau, die als erste deutsche Ministerpräsidentin Geschichte schrieb. An diesem Donnerstag wird Heide Simonis 70 Jahre alt und fühlt sich damit nicht recht wohl. „Der 70. ist mir völlig fremd“, bekennt die Sozialdemokratin, die Schleswig-Holstein von 1993 bis 2005 regierte. Acht Jahre ist es her, dass der als „Heide-Mörder“ bekannt gewordene Abweichler ihre politische Karriere abrupt beendete.

Weil jemand aus den eigenen Reihen ihr viermal das Ja verwehrte, scheiterte am 17. März 2005 ihre Wiederwahl. Das Fiasko mündete in eine CDU/SPD-Koalition unter Peter Harry Carstensen, die dann im Jahr 2009 krachend scheiterte. Simonis wollte damals mit den Grünen regieren, toleriert vom dänisch orientierten SSW (Südschleswigscher Wählerverband). Heute sind alle drei Parteien am Regierungsruder. „Das ist für mich eine Art Wiedergutmachung“, sagt Simonis in ihrer Kieler Altbauwohnung, in der sie zahllose Bücher, Kannen, Vasen und andere Flohmarkt-Trophäen angehäuft hat. Ehemann Udo, emeritierter Umwelt-Professor und seit 1967 mit seinem „Heidchen“ verheiratet, stellt Cranberry-Saft auf den riesigen Esstisch.

Simonis brauchte Jahre, um den Schock von 2005 zu verkraften. „Jetzt belastet es nicht mehr so.“ Dass es schiefgehen könnte, hatte sie nicht mal geahnt. „Ich habe mir dann schon übelgenommen, dass ich nicht merkte, was sich anbahnte.“ Ungläubig verfolgte das politische Deutschland am Fernseher das Drama. Wer es anrichtete, blieb ein Rätsel. War es der- oder diejenige, der – oder die – 2009 Carstensen zum Chef einer CDU/FDP-Koalition mitwählte? „Ich habe die Person immer in der SPD gesehen, aber vielleicht ist das auch ein Fehler“, sagt Simonis. „Das kriegt man nicht mehr raus.“

In Simonis’ Wohnzimmer liegen Dutzende Stofffetzen zwischen Couch und Fernseher – die Ex-Regierungschefin arbeitet am nächsten Quilt. Mit der Hand näht sie die drei mal zwei Meter großen Steppdecken zusammen, wie einst amerikanische Siedlerfrauen. Rund 20 schaffte sie in den letzten Jahren. Und sonst? Simonis ist im Land oberste Patienten-Ombudsfrau, sie spielt ab und zu Klavier, nimmt wöchentlich Gesangsunterricht und ist Präsidentin des Landes-Sängerbundes. Und sie ist natürlich auch im Internet vertreten.

Sie hilft Menschen, die sich um Sterbende kümmern, hält Vorträge und lässt sich nur noch selten – wie zum Kieler-Woche-Empfang für das diplomatische Korps – bei öffentlichen Veranstaltungen sehen. Wenn ihre SPD im Bundestagswahlkampf patzt, ärgert sich Simonis. Aber den wackligen Start habe nicht nur Peer Steinbrück zu verantworten. Der war ihr Wirtschaftsminister und verschwand 1998 nach einem Zoff in Richtung NRW. „Schleswig-Holstein war einfach zu klein für ihn“, meint Simonis. „Er ist ein guter Kandidat, weil er mutig, belastbar und ein Kämpfer ist.“ Es sei falsch gewesen, dass die SPD wieder eine Troika aufbot. „Da geht der strahlende Glanz eines Spitzenkandidaten verloren, wenn noch links und rechts einer danebensteht.“

Prima findet es Simonis, dass jetzt vier Bundesländer von Frauen regiert werden. „Bei mir war es damals eine Sensation, heute wird Gott sei Dank kein Bohei mehr draus gemacht.“ Aus Sicht von Simonis bringen Frauen einen anderen Stil in die Politik. „Sie treten nicht so nach und hauen nicht so drauf wie Männer.“

„Unter Männern“ hieß ein politisches Buch von Simonis. Nun ein Genrewechsel. Zum 70. gibt sie „Alles Märchen!“ heraus, 15 mal Rapunzel, Dornröschen & Co. neu geschrieben und mit Gegenwartsbezug. Dornröschen geht etwas anders als im Original: „Das arme Ding musste 100 Jahre schlafen, konnte sich 100 Jahre die Zähnchen nicht putzen und hatte Mundgeruch – deshalb mochte sie keiner küssen.“ Simonis zieht auch Verbindungen zu heute. „Wie lebt der Mensch mit seiner Umwelt, wie geht er mit den ihm anvertrauten Menschen und Tieren um, warum sind Stiefmütter immer so gruselig – Rolle der Frau – warum werden die Stiefkinder so schlecht behandelt (Aschenputtel)?“

Eigentlich wollte Simonis zunächst einen Krimi herausbringen. „Aber dann kamen die Märchen dazwischen.“ Nun will sie den zur Hälfte fertigen Krimi zu Ende schreiben. Im Herbst soll es endlich nach Birma gehen, eine große Flussfahrt steht an. „Das ist ein so schönes Land“, sagt Simonis. Als Bundestagsabgeordnete war sie schon vor Jahrzehnten einmal da. Aber vorher wird Geburtstag gefeiert – zuerst mit dem Gatten auf Amrum. „Und im August gibt's eine richtige Party.“