Klarer Wahlsieg: Die “Zeit“-Autorin Susanne Gaschke (SPD) gewinnt die Stichwahl mit 54 Prozent gegen den CDU-Kandidaten Gert Meyer.

Kiel. Klarer Wahlsieg einer Quereinsteigerin. Die Journalistin Susanne Gaschke (SPD) wird neue Oberbürgermeisterin von Kiel. Sie setzte sich in der Stichwahl mit 54,09 Prozent gegen ihren Kontrahenten Gert Meyer von der CDU durch, der auf 45,90 Prozent kam. Gaschke tritt die Nachfolge von Torsten Albig (SPD) an, der im Juni als Ministerpräsident vom Kieler Rathaus in die schleswig-holsteinische Staatskanzlei wechselte. Gaschke, deren Kandidatur SPD-intern mit Skepsis aufgenommen worden war, bedankte sich gestern Abend im Kieler Rathaus bei ihren Parteifreunden: "Das ist überwältigend, das habt ihr toll gemacht."

Es ist ein ziemlicher Sprung für Susanne Gaschke, die als politische Autorin auch für die Kinderseiten der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit" verantwortlich war. Vom gediegenen Redaktionsbüro am Speersort ins - nach dem Ministerpräsidenten - profilierteste öffentliche Amt Schleswig-Holsteins. Eine rote Bastion über Jahrzehnte - die nur zu Gerhard Schröders schlechtesten Zeiten für wenige Jahre von der CDU eingenommen werden konnte. Das war für manchen Genossen fast noch leichter zu ertragen als die streitbare Gaschke.

Kiels neue Stadtchefin war bis zu ihrer überraschenden Kandidatur eher mit despektierlichen Artikeln über die SPD aufgefallen als mit parteiinternem Engagement. Ihre Texte zur Lage der Partei trugen wenig schmeichelhafte Überschriften wie "Ein irrer Verein" oder "Wacht auf, Verdammte!" Es läuft nicht jedem Sozialdemokraten ein wohliger Schauer über den Rücken, wenn er so etwas liest. Also lobte Ministerpräsident Albig zunächst Gaschkes parteiinterne Gegenkandidatin über den grünen Klee, was im eigenwilligen Kieler Stadtverband der SPD aber nichts half. Also nannte SPD-Parteichef Ralf Stegner Gaschke eine "Individualsozialdemokratin", was keine sehr wertschätzende, aber aus Genossensicht zutreffende Beschreibung ist für eine, die sich jahrelang nicht allzu intensiv um die Seele ihrer Partei kümmerte.

Susanne Gaschke hat diese Sicht der Dinge vermutlich erst richtig angespornt. Die gebürtige Kielerin ließ sich nicht abschrecken von der Front der Funktionäre. Und stürzte sich, Wind von vorn, dennoch in den Wahlkampf. Erst parteiintern, dann öffentlich. Ohne Erfahrung, ohne Gremien, ohne Ochsentour. Dafür mit Erfolg. Man darf sich also schon ein wenig wundern.

Wenn man Susanne Gaschke eine Weile gegenübersitzt, denkt man erst mal: Die hat die Konkurrenz vermutlich einfach totgeredet. So schnell spricht die. Über sich selbst. Über ihre Stadt. Über die SPD. Dabei präzise und präsent. Man weiß gleich ganz genau, was ihr Chefredakteur Giovanni di Lorenzo meint, wenn er sagt: "Susanne Gaschke ist unser lebendigstes Kraftpaket."

Das wird jetzt also nicht mehr die Redaktionskonferenzen der "Zeit" aufmischen, sondern versuchen, die Geschicke einer Stadt zu lenken, die nicht halb so selbstbewusst ist wie ihre neue Oberbürgermeisterin. Kiel freut sich zwar unentwegt, dass es so schön am Wasser liegt, aber im Lauf der Zeit hat es der Förde an vielen Stellen den schmutzigen Rücken zugewandt. Das Potenzial, das in dieser Lage schlummert, wird gerade erst wiederentdeckt. Es ist ja auch nicht ganz leicht angesichts der unendlich vielen Bausünden, die die Kieler ihrer Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg zugemutet haben.

Susanne Gaschke wird es natürlich dennoch versuchen. Sie will, so hat sie es vor der Wahl angekündigt, die Innenstadt vor der Verödung bewahren und den maritimen Charakter Kiels deutlicher betonen. Das arme Ostufer soll mit dem wohlhabenderen Westufer versöhnt und verbunden, die sozialen Brennpunkte befriedet werden. Entschieden werden muss auch, ob das nötige neue Gaskraftwerk besser mit Motoren oder Turbinen betrieben wird. Dazu kommt der Einbruch bei der Gewerbesteuer, den das HSH-Nordbank-Desaster der Stadt gerade beschert.

Es liegt also ein Haufen Holz vor der Kieler Rathaustür, und es gibt nicht wenige Sozialdemokraten und Rathausmitarbeiter, die der bürokratieunerfahrenen Journalistin prophezeien, dass sie an der Realität der Großstadtverwaltung scheitern werde. An den Hunderten Hindernissen, Hintertreppen, Haushaltsposten, Bedenkenträgern.

Es passt ins Bild, dass sich Gaschke bei solchen Vorhalten nicht auf das Kollektiv zurückzieht, auf ein kuschelig-beharrliches Miteinander, sondern auf die Stärke verweist, die ihr der Wahlsieg an diesem Sonntag verleihen wird. Durch die gewonnene Direktwahl, sagt sie, habe eine Oberbürgermeisterin ja gleich mehrere Funktionen. Die des obersten Repräsentanten, die des Verwaltungschefs und, das ist ihr sehr wichtig, die eines Ombudsmanns für die Bürger. Eine Interessenvertreterin des Volkes in der Verwaltung, vielleicht auch mal gegen die Verwaltung. Es könnte spannend werden in den kommenden Monaten in Kiel.

Einen Wermutstropfen gab es bereits am Wahlabend für die Siegerin. Die Wahlbeteiligung blieb mit 31,9 Prozent deutlich hinter den Erwartungen. Gaschke: "Das müssen wir ändern."