Wedel. Kosten explodieren um 300 Prozent oder mehr – die Wut steigt. Selbst Politiker sind überrascht. Das sind die Argumente der Verwaltung.

Die von der Stadt Wedel an ihre Bewohner versendeten Beträge für die Straßenreinigungsgebühren sorgen für großen Ärger, der sich unter anderem in empört intonierten Briefen oder auch in den Wedeler Gruppen im Online-Netzwerk Facebook entlädt. Mittlerweile hat sich auch die Stadt Wedel zu ihrer Straßenreinigungssatzung geäußert – und reagiert mit Unverständnis.

Ein Wedeler, der seinen Namen bewusst nicht veröffentlichen möchte, schreibt auf Facebook etwa: „Bei mir gab es eine 500-prozentige Erhöhung!! Von 24 Euro Jährlich auch 160 Euro!!!“ Und er ist nicht allein.

Zoff in Wedel: Stadt erhöht Gebühr für Straßenreinigung – Bürger wütend

Auch andere schockierte Bürger möchten die drastische Erhöhung der Reinigungsbeträge nicht hinnehmen, in einigen Kommentaren ist zu lesen, dass in den jeweils betroffenen Straßen noch nie eine Kehrmaschine gesehen worden sei.

Peter Wenzel wohnt in einem Reihenhaus am Hellgrund: „Es geht mir vor allem um diese eklatante Ungleichbehandlung. Unsere Straßenreinigungsgebühren wurden um den Faktor 10 erhöht, bei anderen Anwohnern nur um das dreifache. Der Hellgrund befindet sich in einer Reihenhaussiedlung mit vielen Hinterliegergrundstücken, für die alle deutlich unterschiedliche Erhöhungen berechnet wurden.“

„Schönes Sümmchen reicht für Reinigung einer gefühlt zehnmal so langen Straße aus“

Da komme ein schönes Sümmchen zusammen, „das für Reinigung einer gefühlt zehnmal so langen Straße ausreichen würde“, sagt der Wedeler. Wenzel: „Deutlich gerechter wäre, wenn die tatsächlich anfallenden Reinigungskosten gleichmäßig auf die Anrainerinnen und Anrainer verteilt würden.“

Das Rathaus in Wedel: Die Verwaltung hat der Politik am 6. April die Satzung zur Straßengebührenordnung vorgelegt. Der Rat stimmte zu.
Das Rathaus in Wedel: Die Verwaltung hat der Politik am 6. April die Satzung zur Straßengebührenordnung vorgelegt. Der Rat stimmte zu. © Stadt Wedel | dt Wedel


Die Berechnung der Frontmeter für Grundstücke, die unmittelbar an der Straße liegen, ist generell nicht verändert worden. Doch die Kosten für Grundstücke, die nicht direkt an der Straße angrenzen, aber ähnliche Flächen aufweisen, sind mit der neuen Satzung deutlich angehoben worden.

Stadt veröffentlicht Satzung am 15. Mai – Bescheide flattern ein

Die Faktoren, die sonst bei fünf lagen, betragen nun beispielsweise 18 oder 24. Bei einem Meterpreis von 6,37 Euro als jährliche Leistung steht vielen eine deutlich höhere Summe ins Haus. Am 15. Mai hat die Stadt Wedel eine neue Satzung für die Straßenreinigungsbeiträge veröffentlicht, nach und nach trudeln nun die neuen Straßenreinigungsbescheide mit den jährlichen Forderungen in den Wedeler Haushalten ein.

Berechnungsgrundlage ist theoretisch die Frontmeter-Länge der Häuser an der Straße. Die Kosten für den Bürger erhöhen sich nun grundsätzlich von 2,03 Euro in der Reinigungsklasse 1 pro Berechnungsmeter auf 6,37 Euro. Das entspricht einem satten prozentualem Anstieg von 213,79 Prozent.

In Reinigungsklasse I sind die Straßen eingeordnet, in denen jeweils 14-täglich die Kehrmaschine des Bauhofs fährt. In den Straßen der Reinigungsklasse I reinigt alle 14 Tage die Kehrmaschine des Bauhofs. In den Reinigungsklasse 2 – wöchentliche Reinigung – wird nun 12,74 Euro pro Meter verlangt, in der dritten Reinigungsklasse sogar 51,92 Euro. Diese Straßen werden einmal wöchentlich mit der Maschine und die Nebenflächen sogar zweimal wöchentlich maschinell und per Hand gereinigt. Zur Klasse III zählt etwa die Bahnhofstraße in Wedel.

Straßenreinigungsgebühr: Preise verdreifachen sich teilweise

Harald Marzahl, wohnt im Ansgariusweg, und meldete sich empört per E-Mail beim Abendblatt: „Ich wohne in einem 16-teiligen Reihenhaus, das eine Straßenlänge von neun Metern hat. Der Gesamtbetrag des Reihenhauses wächst von ehemals 296,64 Euro auf 917,28 Euro an.“

Er beschwert sich: „Andere Gemeinden des Kreises Pinneberg haben niedrigere Gebühren für die 14-tägige Reinigung.“ Diese würden etwa in Pinneberg bei 4,78 Euro pro Meter liegen, in Elmshorn bei 3,56 Euro und im Wedeler Nachbarort Holm nur bei 3,16 Euro.

Wedeler empfinden die Gebührensatzung als unverhältnismäßig

Bei telefonischen Rückfragen im Rathaus soll Anrufern gesagt worden sein, dass an der Gebührensatzung nichts mehr geändert werden könne. Viele Wedeler empfinden die geforderten Summen in der neuen Straßenreinigungsgebührensatzung allerdings als komplett unverhältnismäßig.

Sie wollen auf juristischem Weg Protest gegen die Bescheide einlegen, etwa auf Grundlage eines Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, da der Grundsatz der Gleichbehandlung nicht gegeben sei.

Die neue Satzung soll am 1. Juli dieses Jahres in Kraft treten. Möglicherweise gibt es durch das Fehlen der Rechtsbehelfsbelehrung in dem Schriftstück einen weiteren juristischen Ansatz, gegen die künftige Gebührenordnung vorzugehen. Gegen die von der Stadt versandten Bescheide kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch eingelegt werden.

32 Ja-Stimmen: Der Rat war am 6. April klar für die neue Satzung

Der Beschluss für die Straßenreinigungssatzung der Stadt Wedel ist allerdings vom Rat bereits am 6. April beschlossen worden. Und das mehr als deutlich: Keine einzige Stimme aus der Politik war gegen die Beschlussvorlage der Verwaltung. Es gab 32 Ja-Stimmen und eine Enthaltung. Letztmalig war jene Satzung 2014 angepasst worden, die Ursprungsfassung stammt aus dem Jahr 2010.

Die Stadt begründet das Vorgehen mit massiven Steigerungen bei Betriebs-, Personal- und Entsorgungskosten. Und eine Gebühr für den Winterdienst kommt zusätzlich noch hinzu.

Ratsfrau der FDP in Wedel: Nina Schilling
Ratsfrau der FDP in Wedel: Nina Schilling © Dirk Schönfeldt

„In dieser Sitzung ist uns die neue Straßengebührensatzung als alternativlos dargestellt worden angesichts der Wedeler Haushaltslage und dem Landesrechnungshof, der eine Erhöhung der Straßenreinigungsgebühren eingefordert hatte“, sagt Ratsfrau Nina Schilling von der FDP.

Der Rat stimmte bereits am 6. April klar für die neue Satzung

Allerdings sei ihr und möglicherweise auch vielen anderen die konkreten Auswirkungen dieser Satzung zu diesem Zeitpunkt einfach nicht bewusst gewesen.

Es habe in jener Sitzung keine konkrete Beispielrechnung mit der recht undurchsichtigen neuen Berechnung der Reinigungsgebühren gegeben, andernfalls hätte es mutmaßlich keine derart breite Zustimmung gegeben. Allerdings gibt Schilling auch ehrlich zu: „Wir haben auch nicht danach gefragt.“

Die Wedeler Sozialdemokraten hatten eine stufenweise Anpassung der Kosten vorgeschlagen, „das wurde von der Verwaltung abgelehnt, da es aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Uns bleibt nichts Anderes übrig, als der Vorlage der Verwaltung zuzustimmen“, wird Wolfgang Rüdiger (SPD) im öffentlichen Sitzungsprotokoll zitiert.

Ratsherr Barop ging von gerechter Beteiligung aus

Die Transparenz und Verständlichkeit ist mit dem Einflattern der Bescheide bei den Bürgern nun erst wirklich gegeben. Der ehemalige Ratsherr Lothar Barop (SPD) sagt: „Ich stehe dazu, dass wir im Rat grundsätzlich eine Erhöhung der Straßenreinigungsgebühren beschlossen haben. Die Straßenreinigungsgebühren müssen kostendeckend für die Stadt abgerechnet werden.“

Doch er schränkt ein: „Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass nach der neuen Satzung die Bürgerinnen und Bürger gerecht an den Straßengebühren beteiligt werden.“

Das große Stichwort in dieser Debatte: Mangelnde Gerechtigkeit. „Ich persönlich empfinde die neue Satzung als ungerecht, da zum Beispiel in meiner Straße eine Straßenseite nach der tatsächlichen Straßenlänge berechnet wurde, circa 500 Meter, während die andere Straßenseite mit circa 1500 Metern berechnet wird.“

„Bei näherer Kenntnis hätte ich dem so nicht zugestimmt“

Die finanziell unterschiedlichen Auswirkungen der neuen Satzung für Straßengebühren auf die Wedeler seien „ihm so aus der Beschlussvorlage der Verwaltung nicht ersichtlich gewesen“, sagt der Ratsherr.

Und weiter: „Bei näherer Kenntnis hätte ich dem so nicht zugestimmt. In vielen Gesprächen mit Bürgern gab es durchaus Verständnis für Kostendeckung und Erhöhung der Gebühren, aber nicht in dieser ungerechten Art und Weise“.

Die Stadt Wedel beruft sich auf Rechts– und eigene Haushaltslage

Die Stadt Wedel verteidigt ihre neue Straßenreinigungsgebührensatzung: „Die neue Gebührensatzung setzt die aktuelle Rechtslage um und heilt einen Zustand, den der Landungsrechnungshof bei seiner letzten Prüfung angemahnt hat: Die bisherige Gebührensatzung war seit 2014 nicht verändert worden“, sagt Bürgermeister Gernot Kaser.

Deshalb seien viele seit dieser Zeit eingetretenen Kostensteigerungen nicht berücksichtigt gewesen, so der Wedeler Verwaltungschef. „Das bedeutet, dass die eingenommenen Gebühren nicht zur Deckung der Kosten ausgereicht haben. Der Fehlbetrag wurde aus dem städtischen Haushalt gedeckt. Jede einzelne Reinigungsfahrt hat so zuletzt den Haushalt der Stadt Wedel weiter ins Minus rutschen lassen“, mahnt Kaser.

Gernot Kaser zeigt Verständnis – doch es müsse eben so sein

Er zeigt aber auch Verständnis für den aufkeimenden Ärger: „Ja, die Steigerung von insgesamt durchschnittlich rund 300 Prozent, die alle gebührenpflichtigen Personen betrifft, ist erheblich.“ Um die geforderte Kostendeckung zu erreichen, müsse er jedoch so groß sein.

Den Vorwurf, dass die neue Satzung ungerecht sei, will der 61-Jährige aber nicht gelten lassen: „Gleichzeitig sorgt die neue Gebührensatzung für mehr Kostengerechtigkeit. Bisher waren bestimmte Gebührenpflichtige mit im Vergleich sehr geringen Gebühren belastet worden – der in diesen Fällen größere Betrag, der zur Kostendeckung fehlte, war bisher von den anderen Gebührenpflichtigen und dem städtischen Haushalt mitgetragen worden.“

Kaser zu Straßenreinigungsgebühr: „Die neuen Regelungen sind klarer, alle werden gleich belastet“

Die neuen Regelungen seien aus Sicht der Verwaltung klarer und haben das Ziel, alle Gebührenpflichtigen gleich zu belasten. „Gerade bei Personen, die bisher im Vergleich zu wenig bezahlen mussten, führt das allerdings nun zu einer zum Teil über den rund 300 Prozent liegenden Mehrbelastung, um die notwendige Kostendeckung zu erreichen“, sagt Kaser.

Anmerkungen von Wedeler Politikern, die erklärten, ihnen seien die tatsächlichen Auswirkungen der Gebührensatzung, die sie selbst durchgewinkt hatten, nicht bewusst gewesen, kann die Verwaltung nicht nachvollziehen: „Den mehrmonatigen Prozess der politischen Entscheidungsfindung haben wir – angefangen von einer Mitteilungsvorlage zur Vorbereitung des Prozesses im November 2022 – bewusst mit sehr vielen Informationen für die politischen Vertreterinnen und Vertreter unterfüttert..“

So seien beispielsweise in dem zuständigen Ausschuss alle Fragen der Ausschussmitglieder zu dem Thema beantwortet worden.