Wedel. Die einzelnen Anfangsbuchstaben der Gebrüder-Humboldt-Schule – oft als GHS abgekürzt – hätten noch eine andere Bedeutung, sagt Schulleiter Frank Wolff: „GHS steht auch für gesund, human, solidarisch.“ Das Erinnern an die grausame Geschichte sei wichtig, um die Zukunft anders gestalten zu können. Die GHS verfolgt als Europaschule Werte wie Menschlichkeit, Respekt und Toleranz.
Wedel: Neues Buch erzählt regionale NS-Geschichte
All das gab es in Zeiten des Nationalsozialismus nicht. Und auch aktuell zeige sich wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine, dass sich Kriege in Europa wiederholen. Insofern darf der Satz Bücher, den der Profilkurs Geschichte nun als erster in ganz Schleswig-Holstein erhielt, als Mahnung verstanden werden. Denn mit Fördermitteln der Sparkasse des Landes ist nun eine Sonderauflage von 8000 Exemplaren des Buches „Die Volksgemeinschaft in der Region. Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus.“ erschienen.
Die 17 und 18 Jahre alten Schülerinnen und Schüler in Wedel waren landesweit die ersten, die das Werk der Autoren Uwe Danker und Astrid Schwabe in seiner zweiten, überarbeiteten Fassung erhielten. Beide sind Professoren an der Europa-Universität-Flensburg. Die Erstauflage war 2005 in den Handel gekommen, in den vergangenen sieben Jahren war an dem doppelt so umfangreichen Zweitwerk gearbeitet worden.
Geschichtsbuch wirft Blick auf die NS-Diktatur im Norden
Alle weiterführenden Schulen im Land sollen künftig kostenfrei Klassensätze bekommen, um gemeinsam mit Lehrerinnen und Lehrern Ansätze zu finden, weshalb die NS-Ideologie auch in dieser Region eine mehrheitliche Akzeptanz in den Köpfen der Bevölkerung erhielt – und welche Verbrechen die NS-Diktatur angerichtet hat.
Der Band hat den Anspruch, auf dem aktuellen Forschungsstand zugleich ein Hand-, Studien- und Lesebuch zu sein. Und er wurde inhaltlich und grafisch bewusst aufwendig und attraktiv gestaltet, um Interesse zu wecken. Auf insgesamt 560 großformatigen, farbigen Seiten werden alle Kapitel der regionalen NS-Geschichte aufgeblättert und Schleswig-Holstein als Spiegel des großen Ganzen sowie als Ort der besonderen Entwicklungen vorgeführt. Auch Vor- und die lange Nachgeschichte werden erörtert.
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Komplexe Forschungsergebnisse werden regional aufgearbeitet
Landtagspräsidentin Kristina Herbst übergab mit Sparkassenpräsident Oliver Stolz an der GHS gemeinsam mit den Autoren die ersten Exemplare. „Beide haben komplexe Forschungsergebnisse pädagogisch so aufbereitet, dass diese wichtige Epoche der deutschen Geschichte an regionalen Beispielen anschaulich vermittelt werden kann“, sagte Herbst. Die Aufarbeitung sei wichtig, gerade weil Zeitzeugen weniger werden. Den Schülern werde mit dem Buch ermöglicht, „sich über einen aktuellen, pädagogisch hochmodernen Ansatz mit der NS-Geschichte in Schleswig-Holstein auseinanderzusetzen“, so Herbst. Sie dankte der Sparkasse für die 8000 gestifteten Exemplare.
Auch Stolz hob hervor, dass die Erinnerung an die Vergangenheit „uns nicht loslassen dürfe“. „Solch ein Projekt haben wir gern unterstützt, weil es unser öffentlicher Auftrag ist“, sagte er. „Nur wer sich bereits in der Schule um ein tieferes Verständnis des Nationalsozialismus als völlig singulärem Phänomen in der Weltgeschichte bemüht, wird verstehen können, wie wir wurden, was wir heute sind.“ Und dass sich Geschichte wiederholt, zeige sich in aktuellen Zeiten: „Wir erleben in der Gegenwart Krieg, Vertreibung und Flucht.“
Das Buch mit den Geschehnissen des vergangenen Jahrhunderts werde nicht nur die Schüler prägen. „Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir mit den Sparkassen und unserer Sparkassenstiftung die Schulen wie auch die Öffentlichkeit mit dieser wichtigen und gewichtigen Standardpublikation zur NS-Zeit in Schleswig-Holstein flächendeckend versorgen können.“ Landesfachberater Dr. Benjamin Stello hob hervor, dass „das anspruchsvolle und umfängliche Werk kein klassisches Schulbuch sei“, aber „durch seine zahlreichen Einsatzmöglichkeiten und Quellenangebote aus der Region für Schulen sehr wertvoll“ werden könne.
Wedel: Aktive Gestaltung einer Erinnerungskultur
Das hoffen natürlich auch die beiden Autoren. „Im Zentrum steht die regionale nationalsozialistische ‘Volksgemeinschaft’ als ehemalige Verheißung. Sie versprach harmonisches Zusammenrücken der einen, aber kombiniert mit gewalttätiger Ausgrenzung und Verfolgung der anderen.“ Es gehe um „ganz normale Menschen“ und deren Handlungsweisen. Denn: „Wer die NS-Geschichte verstehen will, muss sich intensiv mit beiden Seiten der NS-Volksgemeinschaft befassen – gerade auch in der eigenen Region.“
In der Propaganda der Nationalsozialisten war die Volksgemeinschaft – basierend auf dem richtigen Blut, einem gemeinsamen Schicksal und politischem Glauben – Ausgang und Ziel dieser Ideologie. Eine Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) ist an der Gebrüder-Humboldt-Schule fester Bestandteil des Lehrplans.
„Unserer Schulgemeinschaft liegt das aktiv gestaltende Erinnern an die Geschichte des Nationalsozialismus in Wedel am Herzen“, so Schulleiter Wolff. Dazu zählen etwa die aktive Teilhabe am Holocaustgedenktag und der Zeitzeugenbörse sowie die Mitarbeit bei der Verlegung von Stolpersteinen in Wedel zum Gedenken an die Opfer des NS-Terrors.
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