Wedel. Ein bisschen verrückt ist er schon, der Hannes Grabau. Das schreibt er selbst in seinem neuen Buch „Batavia Logbuch I: Die angenagelte Zunge“: „Wie ein verlassenes Totenschiff lag das Schiff am Kai, Fenster und Türen waren eingetreten, das Mobiliar zerstört. Das Holz war vergammelt, das Deck und die Aufbauten vom Rost zerfressen, der Rumpf voller Beulen und der Mast gebrochen. Nur Verrückte würden so etwas kaufen“, heißt es hier. Doch genau das tat Hannes Grabau im Februar 1972. Im Buch beschreibt er, wie er mithilfe vieler Freunde das abwrackreife Kanonenboot in das kultige Theaterschiff verwandelte, das heute aus dem Wedeler Stadtgebiet nicht mehr wegzudenken ist.
Dabei handelt es sich nicht um einen minutiösen Bericht. Sondern um eine äußerst kurzweilige Sammlung aus 35 Kurzgeschichten, in denen Grabau in Käpt’n-Blaubär-Manier die schrägsten und witzigsten Erlebnisse der ersten 15 Jahre beschreibt. Von fliegenden Brathähnchen ist da die Rede, einem schwimmenden Klavier und dem Plan, zusammen mit „Steuereintreiber“ das Wedeler Rathaus zu pfänden.
Warum das Sperrwerk zu schmal für die „Batavia“ ist
Er erzählt, wie die Batavia zunächst bei Bishorst vor Anker lag, wo sie zur schwimmenden Kneipe für Ausflugssegler wurde, und schließlich ihren Platz in Wedel am Brooksdamm fand. Wo sie übrigens auch für immer bleiben wird – die Ausfahrt durchs Sperrwerk ist zu schmal, weil der für die Vermessung zuständige Ingenieur und sein Bauleiter sich auf der „Batavia“ mit zu vielen Grogs aufwärmten...
Auch wenn die Kapitel nicht chronologisch aufeinanderfolgen und Hannes Grabau in seinem „Logbuch I“ nur einzelne Episoden erzählt, bekommt der Leser doch ein gutes Bild von jenen wilden ersten Jahren. Ein guter Lektor hätte vielleicht hier und da feilen können, dem Ganzen einen Rahmen und Struktur geben können. Doch es gut, dass das nicht geschehen ist. Das Buch ist authentisch, es ist, als säße der Leser mit Grabau zusammen, der seine Geschichten erzählt. Und auch wenn manches unglaublich klingt: „Jedes Wort ist wahr“, sagt der Kapitän des Kulturdampfers augenzwinkernd.
Ursprünglicher Berufswunsch: Hausschlachter oder Pastor
Viel hat er erlebt in seinen mittlerweile fast 81 Lebensjahren. Geboren wurde Hannes Grabau 1940 in Vechelde bei Braunschweig, wo er auf einem Bauernhof aufwuchs. Später zog die Familie in den Harz. Eigentlich wollte Grabau Radio- und Fernsehtechniker werden, dann Hausschlachter und Pastor. Stattdessen lernte er Polsterer und Dekorateur. Er ging in die Schweiz, wo die Löhne deutlich höher waren. Er hangelte sich von Job zu Job, war mal Tellerwäscher, mal Hilfsarbeiter auf dem Bau.
In seinem eigenen Beruf wollte er dort nicht arbeiten, sagt er: Der eine Betrieb fertigte Rucksäcke und Gürtel für die Schweizer Armee („und das wollte ich nun wirklich nicht!“), der andere suchte eigentlich einen Ehemann für die Tochter: „Sie führten eine Figur herein, die einen Schleier trug. Irgendwann zogen sie den weg, und darunter war wirklich das hässlichste Mädchen, das ich jemals gesehen habe!“ Hannes Grabau vergräbt bei der Erinnerung das Gesicht in den Händen. Er floh und fuhr schließlich für sechs Jahre zur See. Als er der Liebe wegen wieder an Land ging, war er ausgebildeter Matrose. Später arbeitete er zwölf Jahre als Bühnenhandwerker in der Hamburger Staatsoper.
Zuerst nur in Stunden gedacht
Und so war es für ihn absolut einleuchtend, ein Theaterschiff zu begründen. „Ich konnte ja nur machen, was ich konnte. Ich war Theatermann und Seemann – was wäre logischer gewesen?“, fragt er. Wieder wurde er für verrückt erklärt, unter anderem von seinem Chef an der Staatsoper. Doch sein Plan ging auf, auch wenn die ersten Jahre an Bord hart waren. „Zuerst habe ich nur in Stunden gedacht, dann in Wochen, irgendwann in Monaten. Aber niemals hätte ich mir träumen lassen, dass ich nach fast 50 Jahren immer noch auf der ,Batavia‘ bin“, sagt er ungläubig.
Doch das ist er, auch wenn die Situation nach vielen, vielen guten Jahren nun wieder existenzbedrohend ist – Corona. Für die geschlossene Kneipe habe er mittlerweile finanzielle Hilfen vom Staat erhalten, sagt Grabau. Für das Theater nicht. Seit einem Jahr gab es hier keine Vorstellungen, 30.000 Euro an Einnahmen fehlen. „Es gibt keine Unterstützung für Privattheater“, erzählt er verzweifelt. „Ich habe bereits zwei E-Mails an unsere Kulturministerin geschrieben und keine Antwort bekommen. Jetzt habe ich einen handschriftlichen Brief geschickt, an sie persönlich.“ Das war am 19. Februar. Eine Antwort hat er noch nicht erhalten.
Rollstuhlfahrer kommen nun besser aufs Schiff
Doch Hannes Grabau ist niemand, der aufgibt. Oder auch nur die Hände in den Schoß legt. Die Monate des Lockdowns hat er genutzt, die Batavia wieder auf Vordermann gebracht. Die Werkstatt entrümpelt, neue Decken eingezogen, Wände gestrichen, Tische abgeschliffen, Türen und Fenster ersetzt, gespendet von langjährigen Unterstützern. Auch ein neues Schott wurde eingebaut. „So haben wir nun einen zweiten, barrierefreien Eingang ins Theater“, sagt Grabau und freut sich. Nicht nur, weil dann vor 30 statt wie bisher vor 14 Gästen gespielt werden kann. Sondern auch deshalb, weil er Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte nicht mehr auf dem Rücken den steilen Niedergang heruntertragen muss. Das, meint er Schultern zuckend, falle ihm mittlerweile doch nicht mehr ganz so leicht.
Und noch etwas hat er im Jahr des Stillstands getan: das Buch geschrieben. Die Nachfrage sei riesig, freut sich Grabau, sogar nach China hat er schon 30 signierte Exemplare geschickt. Es ist nicht nur die positive Resonanz, die ihn freut: „Das Buch ist derzeit unsere einzige Einnahmequelle.“
Im nächsten Buch geht’s um die Künstler
Und das nächste Buch soll folgen. In seinem zweiten Logbuch will Hannes Grabau über die Künstler schreiben, die auf der Batavia in den vergangen Jahrzehnten aufgetreten sind – sowohl externe als auch die Theatertruppe. „Da sind so viele Sachen passiert, die dürfen nicht in Vergessenheit geraten“, sagt er. Genau wie seine Kindheitserinnerungen. Auch die möchte er aufschreiben. Einen Titel für dieses Buch hat er auch schon:
„Hasenbrot“.
Bestimmt wird er in diesem Werk dann auch über seine ersten „Seefahrtserlebnisse“ berichten: von dem mit der selbst gebastelten Taucherglocke, mit der er „fast abgesoffen“ wäre. Und von dem mit der alten Badewanne, die er zu einem Boot umfunktioniert hatte. Grabau: „Sie hatte keinen Kiel, der Schwerpunkt war oben, also ist sie ständig durchgekentert. Am Ufer standen Dutzende Leute, die mir dabei zugesehen und den Kopf geschüttelt haben. Gewundert haben sie sich aber nicht. Ich war ja der Verrückte.“
„Batavia Logbuch I: Die angenagelte Zunge“, 204 Seiten, 29,90 Euro) gibt’s im Buchhandel, dienstags und donnerstags von 11 bis 13 Uhr auch direkt von Hannes Grabau auf der Batavia.
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