Berufungsprozess

Versucht ein gefeuerter Banker, seinen Betrug zu vertuschen?

| Lesedauer: 6 Minuten
Arne Kolarczyk
Ein ehemaliger Commerzbank-Mitarbeiter will einem angeblichen Mafioso immer wieder Geld gegeben haben. Tatsache ist: Der Bank fehlen 275.000 Euro. (Symbolbild)

Ein ehemaliger Commerzbank-Mitarbeiter will einem angeblichen Mafioso immer wieder Geld gegeben haben. Tatsache ist: Der Bank fehlen 275.000 Euro. (Symbolbild)

Foto: picture alliance / Daniel Reinhardt

Commerzbank in Wedel um 275.000 Euro erleichtert: Reinhold S. behauptet, dass er dazu gezwungen worden sei – und zwar von Ivica E.

Wedel/Itzehoe.  Es sind 275.000 Euro, die bei der Commerzbank in Wedel fehlen. Verantwortlich ist der gefeuerte Kassierer Reinhold S. (62), der Opfer einer Erpressung gewesen sein will. Mit Ivica E. steht seit Mittwoch bereits zum zweiten Mal der angebliche Erpresser und Nutznießer des Geldes vor Gericht. Im Februar vorigen Jahres hat ihn das Amtsgericht Pinneberg freigesprochen – und auch in der zweiten Instanz sieht es nicht danach aus, als würde Reinhold S. dem Angeklagten die Schuld zuweisen können.

Nach achtstündiger Verhandlung kommt selbst Staatsanwalt Dirk Kessemeier, der den erstinstanzlichen Freispruch angefochten hatte, zu dem Schluss: „Ich sehe nicht, wie es zu einer Verurteilung des Angeklagten kommen kann.“ Das Urteil der Berufungskammer wird am 26. Februar gesprochen. Alles andere als ein erneuter Freispruch wäre eine faustdicke Überraschung.

Opfer einer Erpressung wirkt sich strafmildernd aus

Maßgeblich für diese Wendung wäre, wie schon in der ersten Instanz, die Aussage des angeblichen Opfers, Bankmitarbeiter Reinhold S.. Seine Einlassung nennt selbst der Staatsanwalt „wenig nachvollziehbar“ und von „mangelnder Konsistenz“ geprägt. Der Verteidiger Sascha Böttner geht in seinem Plädoyer noch einen Schritt weiter.

Er bezeichnet es als „ziemlichen Blödsinn, was sich Herr S. ausgedacht hat“. Der Bankmitarbeiter habe zwischen Juni 2015 und Mai 2017 Geld von seinem Arbeitgeber veruntreut und, als er aufzufliegen drohte, eine „Räuberpistole“ erzählt. Nämlich die der angeblichen Erpressung. Das habe dem Kassierer Vorteile eingebracht. Er habe, als er selbst als Angeklagter vor Gericht stand, nicht erklären müssen, was er mit dem Geld gemacht habe. Und ihm sei als Opfer einer Erpressung eine erhebliche Strafmilderung zugute gekommen.

Reinhold S. verwickelt sich im Kreuzverhör in Widersprüche

Tatsächlich hat das Schöffengericht Pinneberg Reinhold S. am 12. Juni 2019 nur zu zwei Jahren Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Der hat das milde Urteil sofort angenommen. Am Mittwoch steht der 62-Jährige, der mehr als 20 Jahre für die Bank tätig war, fast dreieinhalb Stunden lang im Kreuzverhör der Prozessbeteiligten – und liefert einen ähnlich bizarren Auftritt wie in der ersten Instanz ab, garniert mit Widersprüchen.

Der Wedeler schildert, dass Ivica E. im Juni 2015 in die Bank gekommen sei und Geld auf sein Konto einzahlen wollte. „Es waren 3000 Euro in 50-Euro-Scheinen.“ Als S. das Bündel in den Zählautomaten stecken will, sei ein Schein heruntergefallen, den er sofort aufgehoben habe. „Er hat mich beschuldigt, das Geld eingesteckt zu haben.“ Gemeinsam habe man nachgezählt, der Betrag habe gestimmt. „Für mich war das erledigt.“

Reinhold S. erhebt schwere Vorwürfe gegen Angeklagten

Doch einige Tage später sei der Angeklagte wieder in der Bank aufgetaucht und habe gesagt, er wolle mit ihm nochmals über den Vorfall reden. „Das sollte auf dem Parkplatz stattfinden, und ich sollte Geld mitbringen.“ Er habe Ivica E. dort die 50 Euro gegeben. „Das tut mir ja nicht weh, ich dachte, damit ist das erledigt.“

Doch E. sei dann immer wieder aufgetaucht und habe Geld gefordert. Und er habe gezahlt, bei zwölf bis 15 heimlichen Treffen. Erst aus seinem Privatvermögen – und dann, als dieses verbraucht war, mit Geld der Bank. „Die Summen wurden immer höher, zum Schluss waren es 20.000 Euro.“

„Angst um Arbeitsplatz, Angst um Familie“

Ivica E. habe behauptet, Gespräche mit ihm aufgezeichnet zu haben. Er habe gedroht, seinen Arbeitgeber einzuschalten und angegeben, er arbeite für die "Wedeler Mafia". Er wisse, wo der Bankmitarbeiter und seine Familie wohnen. „Ich hatte Angst. Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes – und Angst um meine Familie.“

Stand eine Prüfung bevor, habe er Geld von lange unberührten Sparbüchern älterer Kunden abgebucht. Nach der Prüfung habe er diese Beträge wieder gutgeschrieben. Das klappt bis Mai 2017. Dann wird eine Kundin misstrauisch – und Reinhold S. geht zur Polizei. Ivica E., der von Hartz IV lebte und ein Pfändungsschutzkonto bei der Bank unterhielt, wird bei einer fingierten Geldübergabe verhaftet.

Seinem angeblichen Peiniger gewährte er Privatkredit

Der Angeklagte äußert sich in dem Verfahren nicht. Seine Verteidiger werden nicht müde, das Gericht auf einen Privatkredit hinzuweisen, den Reinhold S. dem 42-Jährigen neben den Erpressungsgeldern gewährt hat. Eigentlich undenkbar.

Der Ex-Bankmitarbeiter bestätigt das – und räumt ein, dazu mit dem Erpresser einen Darlehensvertrag aufgesetzt zu haben. „Das Geld habe ich von Herrn E. auch wiederbekommen.“ Die erpresste Summe nicht. „Dabei hat er versprochen, dass die Wedeler Mafia das Geld vermehren wird und es mir wieder zurückzahlt.“

Ehemalige Kollegin bezeichnet Reinhold S. als "abgebrüht"

Ermittler Jens K. (34) schildert, dass der Angeklagte vor seiner Festnahme die Miete seiner Wohnung für 18 Monate im voraus zahlte – mit 18.000 Euro in Bar. Bei ihm seien drei Luxusautos vorgefunden und beschlagnahmt worden. Die Fahrzeuge, die allerdings nicht auf Ivica E. zugelassen gewesen seien, stünden noch immer in einer Verwahrstelle. „Das kostet jeden Monat 1000 Euro.“ Außerdem seien Möbel und Elektrogeräte in der Wohnung allesamt neu gewesen, was Rechnungen belegten würden.

Bankmitarbeiterin Margit S. (55) hat die Falschbuchungen und nachträglichen Gutschriften ihres Ex-Kollegen nach dessen Auffliegen in mühevoller Kleinarbeit nachvollzogen – und bezeichnet ihn als „abgebrüht“.

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