Das Abendblatt tritt vor der WM-Partie gegen Algerien an. Mit am Tisch: ein früherer Nationalspieler der Nordafrikaner

Wedel. Tahar Chikhi hat schon einen langen Tag hinter sich, als er in der Wedeler Highlight Sportsbar eintrifft. In aller Frühe, zwischen halb zwei und zwei Uhr morgens, beginnt der Arbeitsalltag des Torneschers auf dem Blumengroßmarkt in Hamburg. Der 54-Jährige ist Geschäftsführer des Pflanzengroßhändlers Horst Huckfeldt GmbH, verdient sein Geld mit Produkten vom Kirschlorbeer bis zur Topfrose.

Chikhi ist im Kreis Pinneberg auch in der Sportszene kein Unbekannter. Er spielt selbst Tennis, hat zudem zwei Töchter, die man auf den Courts der Region kennt. Angesichts seines eigenen sportlichen Ehrgeizes war es für ihn keine Frage, sich anstelle einer Auszeit am frühen Nachmittag nach der Arbeit noch einmal ins Zeug zu legen, um vor der WM-Partie in Brasilien für sein Heimatland Algerien gegen das Abendblatt am Kickertisch anzutreten. Und über seine Leidenschaft Sport, das Leben in Nordafrika und Norddeutschland sowie die Liebe zu sprechen.

Vielleicht lag es an den Respekt einflößenden sportlichen Meriten Chikhis, dass dies zumindest spielerisch in einem Desaster für das deutsche Team enden sollte. Möglicherweise aber auch an dessen Ankündigung, mit Kumpel Rolf Gerber, 53, eine echte Kickergröße als Verstärkung mitgebracht zu haben. Normalerweise jagen die beiden gemeinsam bei den Herren 50 des TC Prisdorf durchaus ambitioniert dem gelben Filzball hinterher. Chikhis echte Höhepunkte in seiner aktiven Laufbahn liegen aber ein paar Jahre zurück. Er erlebte sie nicht am Kickertisch, wie man an diesem Tag in Wedel auch denken konnte, sondern als Kicker auf dem Platz. Erst war er als algerischer Junioren-Nationalspieler aktiv, später dann als Zweitligaprofi in Frankreich.

Dort hatten zunächst seine Eltern Zuflucht gesucht, Chikhi selbst zog im Alter von 19 Jahren nach Paris. Aufgewachsen war er als Berber in den algerischen Bergen, später hatte er in der Hauptstadt Algier gelebt. An seinem Heimatland schätzt er die Vielfalt der Kultur, die Musik, die Schriftsteller, die Kleidung. Außerdem die Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Von Nordafrika über Frankreich nach Schleswig-Holstein – kein Wunder, dass er da ein bisschen Zeit brauchte, bis er sich an die norddeutsche Mentalität gewöhnte.

Es war die Liebe, die ihn vor 26 Jahren in den Kreis Pinneberg führte. Am Pariser Wahrzeichen Notre Dame hatte er seine spätere Frau Ute kennengelernt und anschließend für sie auf seinen Traumberuf Entwicklungshelfer verzichtet. Stattdessen stieg er in der Tornescher Firma der Schwiegereltern ein. „Ich bin da reingerutscht und habe das Geschäft dann von der Pike auf gelernt“, sagt Chikhi.

In Algerien war er zuletzt vor zwei Jahren zu Besuch, um seinen Töchtern Marie und Lena das Land zu zeigen. Eine Reise, die genauso einen nachhaltigen Eindruck gemacht zu haben scheint wie seine geschilderten Erinnerungen an die in diesen Tagen häufig erwähnte „Schande von Gijon“, als Deutschland und Österreich mit einem Nichtangriffspakt bei der Fußball-WM 1982 dafür sorgten, dass Algerien ausschied. Wenn die deutsche Nationalmannschaft heute um 22 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit in Porto Alegre gegen die „Wüstenfüchse“ antritt, fiebert der Chikhi-Nachwuchs jedenfalls für den Außenseiter aus Nordafrika.

Vater Tahar hingegen ist zwiegespalten, wünscht sich ein möglichst enges Duell, am besten mit Verlängerung und Elfmeterschießen. „Für mich wäre es besser, wenn Deutschland dann gewinnt“, sagt er und lacht. „Ich will schließlich meinen Frieden hier in Schleswig-Holstein.“ 2:1 für das Team von Bundestrainer Joachim Löw lautet sein Tipp. Ein 2:0 oder 3:0 für Deutschland, wie es Mannschaftskollege Rolf Gerber vorhersagt, empfände er als „wirklich zu hart“.

Für Algerien sei schon das Erreichen des Achtelfinals etwas Besonderes, sagt Chikhi. Nicht auszudenken, was dort los wäre, wenn man nun auch das deutsche Team ausschalten könnte. „Das Land an sich ist sowieso schon von sich überzeugt“, sagt Chikhi. „Stolz sind sie in jedem Fall, die Algerier.“ Problem des algerischen Fußballs sei allerdings seit jeher gewesen, dass man gute Einzelspieler gehabt habe, jedoch keine homogene Mannschaft.

Am Kickertisch funktioniert das Zusammenspiel im Team Algerien blendend, das für Deutschland angetretene Abendblatt-Duo ist chancenlos beim 0:2 nach Sätzen. Ein schlechtes Omen für die WM-Partie? Wohl eher nicht, hatten die Reporter mit der gleichen Mannschaftsaufstellung doch schon gegen Portugal mit Ach und Krach ein 1:1 erreicht. In Wirklichkeit gewann das deutsche Team bekanntlich 4:0. Es besteht also Hoffnung. Die hat Chikhi auch mit Blick auf die Entwicklung des afrikanischen Fußballs. „Ich bin überzeugt“, sagt er, „dass in zwölf Jahren eine Mannschaft aus Afrika Weltmeister wird.“