Rick Jensen gilt als Luftikus unter den Kitesurfern und zählt doch zur Weltspitze. Für den Lutzhorner Profi ist es ein faszinierendes Spiel mit Wind und Wellen

Entspannt sitzt Rick Jensen am Rand des Kieler Bootshafens, blinzelt in die Sonne und schaut den Wakeboardern zu, die sich – als Teil des Rahmenprogramms der Kieler Woche – auf der kleinen Wasserfläche in der Innenstadt tummeln. Momentan ist der 26 Jahre alte Student zum Zuschauen verdammt, ein Bruch der rechten Mittelhand zwingt ihn zur Pause. Normalerweise wäre Rick Jensen jetzt nicht am, sondern auf dem Wasser – so wie fast immer, wenn eine steife Brise über die Förde und die Ostsee bläst. Weit mehr als die Hälfte seines Lebens schon spielt er mit Wind und Wellen. Zeugnis davon geben die von der Sonne ausgebleichten und scheinbar ständig verstrubbelten Haare, die Rick Jensen den typischen Surferlook bescheren und ihn, auch dank muskelbepacktem Strandkörper, zum Coverboy für die Titelseiten diverser Wassersportmagazine gemacht haben.

Das aber hat er sich nicht nur dank seiner Optik, sondern vor allem wegen seiner sportlichen Erfolge erarbeitet: Der Lutzhorner zählt zur Weltelite der Kitesurfer. Diese lassen sich, auf einem Brett wie beim Wakeboarding oder wie auf einem Snowboard stehend, von einem Lenkdrachen über das Wasser ziehen – und vor allem zu waghalsigen Sprüngen in die Luft katapultieren. Dank spektakulärer Videos, die vor allem auf Youtube und Vimeo im Internet tausendfach geklickt werden, ist Kitesurfen total „in“. Jensen, der hierzulande einer der Pioniere dieser Sportart war, erinnert sich noch an Zeiten, „als wir vielleicht nicht mehr als 500 Kitesurfer in Deutschland waren. Jetzt sind es wohl Zehntausende.“

Der Lutzhorner, der seit vier Jahren an der Fachhochschule in Kiel Maschinenbau studiert, stand schon mit sechs Jahren auf den Brettern, die für ihn bald die Welt bedeuten sollten. Seinerzeit brachte sein Vater ihm das Windsurfen bei. Im Alter von zwölf begann Jensen mit dem Kitesurfen. In einer Zeit, als der damals neue Sport gerade erst in Deutschland aufgetaucht war. Den Steppke aus dem Kreis Pinneberghatten Lenkdrachen schon immer fasziniert – und er erprobte sie selbst unter extremen Bedingungen. Das bescherte ihm im Alter von 13 Jahren seine erste Schlagzeile im Regionalteil des Hamburger Abendblatts: Während eines Sturms riss ihn ein Lenkdrachen, den der Schüler am Boden angepflockt hatte, plötzlich in die Höhe. „Meine Mutter guckte aus dem Küchenfenster – und sah mich in Höhe der Bäume fliegen“, erinnert sich Jensen, „ich fiel aus gut acht Metern Höhe auf den Boden und wurde bewusstlos.“ Dieser unfreiwillige Stunt löste einen Einsatz von Feuerwehr und Rettungsdienst aus und schaffte es in die Zeitung …

Rick Jensen blieb ein Luftikus. Heutzutage sind die Sprünge mit dem Kite gewollt und von atemberaubender Akrobatik. Bis in zwölf, 15 Meter Höhe schießen die Profis unter den Kitesurfern hinaus, vollführen in der Luft Schrauben und Salti. Ganz kontrollieren lassen sich die riesigen Kräfte von Wind und Wasser nie, wie Jensen zugibt. Verliert der Funsportler die Kontrolle über Brett und Drachen, „dann ditscht er wie ein Flummi über die Wellen“, landet unsanft auf dem Strand oder knallt aus großer Höhe auf das in diesem Fall brettharte Wasser. So passierte es dem 26-Jährigen an der Küste von Südafrika, bei sechs Meter hohen Wellen und neun Windstärken. Während eines Sprungs entwickelte der Drachen keinen Zug mehr nach oben, sondern riss den Surfer geschossgleich ins Wasser. „Ich war ganz oben – und wusste plötzlich, dass es gleich heftig kracht“, so Jensen.

Beinahe lässig erzählt er von den diversen Verletzungen, die er in den vergangenen Jahren beim Kitesurfen und Wakeboarden erlitten hat. Schwere Prellungen, diverse Brüche. Zuletzt prellte ihm bei einem missglückten Wakeboard-Manöver die Haltestange gegen Hand – Mittelhandbruch.

Angst? „Für Angst bleibt keine Zeit“, ist die Antwort des Profi-Kitesurfers, „man macht wie automatisch die Bewegungsabläufe, die man 1000mal oder häufiger geübt hat“. Quasi nebenbei fährt er Wakeboard, Skateboard und Snowboard. „Es muss was auf dem Brett sein. Mit Ball dagegen geht gar nicht“, so der 26-Jährige.

Platz drei beim Auftritt im Wunderland für Kitesurfer

Wer dem Lutzhorner zuhört, der merkt schnell, dass er es mit einem wahren Tausendsassa zu tun hat. Jensen („Ich kann die Füße nicht stillhalten“) testet Kitesurf-Material, konstruiert – wie für den internationalen Wettkampf im August in Rostock beim Pangea-Festival – Rampen, also Wasser-Sprungschanzen, und ist dabei, mit einigen Mitstreitern eine Promotion-Agentur aufzubauen, die die Sportart vor allem im Bereich Social Media nach vorne bringen und Sponsoren aus der Wirtschaft gewinnen will. Und dann sind da natürlich die Wettkämpfe in fast allen Teilen und an den schönsten Stränden der Welt.

Zuletzt traf Jensen in Cape Hatteras in North Carolina (USA) auf die Besten der Welt. Er belegte dort den dritten Rang – und schwärmt von den dortigen Verhältnissen: „Ein Wunderland für Kitesurfer.“ Am allerliebsten aber ist er auf den Gewässern hier im Norden unterwegs, an Nord- und Ostsee. Immer wieder zieht es ihn nach Fehmarn, wo er einst den Sport erlernt hatte. „Ich habe einen Kursus gemacht. Das rate ich allen Anfängern. Man sollte es zu Anfang nicht auf eigene Faust versuchen“, so der Profi. Apropos: Reich werden kann er mit dem Kitesurfen nicht, sagt der 26-Jährige: „Ich bekomme Material, Zuschuss zu den Reisen. Aber meine Studentenwohnung hier in Kiel finanziert Oma.“

Nachdem er mit 15 seinen ersten Wettkampf absolviert hatte, wurde Rick Jensen mit 16 Jahren deutscher Juniorenmeister. Nur ein Jahr später nahm man ihn ins internationale Team von Windsurf-Legende Robby Naish auf. Nach dem Abitur am Von-Weizsäcker-Gymnasium in Barmstedt arbeitete der Lutzhorner auf der Wakeboard-Anlage in Pinneberg. Das Wakeboarden ist für ihn eine ideale Ergänzung zum Kitesurfen: „Eine gute Alternative bei Flaute. Wie ein Skaterpark auf dem Wasser.“

Den richtigen Kick aber holt sich der Wassersportler, wenn der Wind in Sturmstärke in seinen Drachen greift. Dann sind physische ebenso wie mentale Stärke gefragt, wie Jensen sagt: „In Südafrika bin ich mit Musik in den Ohren gefahren, um das laute Krachen der Wellen nicht immer zu hören.“ Selbst bei extremen Bedingungen, „musst du Vertrauen zu dir haben“.

Der Spitzensportler schont sich nicht, hat aber im Laufe der Jahre doch erkannt, dass es Grenzen gibt: „Immer höher, immer mehr Risiko, das war früher mein Motto. Das ist heute nicht mehr ganz so. Die Tricks werden immer gewagter, die Latte bei Wettkämpfen liegt immer höher. Aber der Körper macht ab einem bestimmten Punkt nicht mehr mit, daher lege ich jetzt mehr Wert auf die Qualität der Sprünge.“

Aber auch nach so vielen Jahren liebt Rick Jensen das Spiel mit Wind und Wellen: „Es ist sehr schwer, in einer anderen Sportart dieses tolle Gefühl zu bekommen“.