Wege der Zucht: Frisch- und tiefgefrorenes Sperma, Natursprung oder Embryotransfer

Flinke Kurierdienste fahren in diesen Wochen quer durch Deutschland, um das hochinteressante, professionell ausgesuchte und gut verpackte Genmaterial (Sperma) von Hengsten in Kühlboxen innerhalb von 20 Stunden an den Besteller bzw. Pferdezüchter zu liefern, egal ob nationaler oder internationaler Herkunft. Eine Stute muss innerhalb von weniger als eineinhalb Tagen besamt werden. Das ist das lukrative Geschäft während der Frühlingszeit.

Der Zeitpunkt für die Besamung wird exakt vom Tierarzt und dem jeweiligen Besitzer bestimmt. Überstunden sind zurzeit das Tagesgeschäft. „Je schneller das wertvolle frische Genmaterial vom Wunschhengst an die Stute verabreicht wird, desto höher ist eine Qualitätsgarantie nachzuweisen“, sagt Tierarzt Dr. Gertjan Zeeuw, 45, der die Pferdeklinik in Seester leitet. „Das Zeitfenster ist optimal, die gerade rossige Stute tragend zu bekommen, damit der Züchter hoffentlich elf Monate später sein gesundes Wunschfohlen bekommt.“ Der erste Einsatz vom Tierarzt erfolgt bei der Stute mit einer Abstrichprobe, um die Hygiene zu optimieren – so lautet die Erfolgsformel.

Die Zeit ist wie gesagt immer ein entscheidender Erfolgsfaktor. Eine Alternative hierzu: Der tiefgefrorene Samen, in der Fachsprache als „TG“ bezeichnet, wird in Stickstoff eingelagert. Nicht jeder Hengst eignet sich dafür, mikroskopisch muss die Samendichte und Beweglichkeit immer wieder neu untersucht werden, um eine Garantie für den Zuchterfolg gewährleisten zu können. Zur Erklärung: Eine Samenmenge enthält 500 Millionen vorwärts bewegende Spermien, aber nur eine befruchtet die Stute.

Die Samen von jedem Hengst werden jeweils nach Volumen, Konzentration und Mobilität exakt untersucht. Aus einem Sprung können sechs bis zu zehn Portionen gewonnen werden, so der Elmshorner Gerard Muffels, beim Holsteiner Verband Leiter des Hengststalles.

Die künstliche Besamung hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten rasant in der Zuchtszene durchgesetzt. Vor Jahren wurden Stuten häufig auf Transportern verladen und zu weiter entfernt stationierten Hengsten im In- und Ausland gefahren. Dieser umständliche Vorgang ist Geschichte, erspart Züchtern Zeit, Stress und Geld.

Eine Portion gutes Genmaterial kostet im Durchschnitt etwa 2500 Euro

Eine Stute ist im Zyklus von etwa 21 Tagen, in der sogenannten Rosse, zwischen Februar bis Juli aufnahmefähig. Es sind oft auch die Launen der Natur, wenn eine Stute nicht sofort tragend wird – zum Leidwesen der Züchter. Die müssen nun wieder Geld für die Decktaxe und tierärztliche Untersuchungen aufbringen. Und wieder vergeht viel Zeit, zumal die tierärztliche Tour mit Abstrich, Temperaturprüfung und einem Testwallach von vorne losgeht. So lässt sich die Rossigkeit einer Stute kontrollieren.

Um das finanzielle Risiko für Züchter im Falle von „Erfolglosigkeit“ bei Anpaarungen zu mindern, wurde ein Bezahlungssystem in drei Stufen entwickelt, das an den jeweiligen Erfolg gekoppelt ist. „Gutes Genmaterial liegt im Schnitt bei rund 2500 Euro“, erklärt Gerald Muffels, der seit 31 Jahren im nationalen und internationalen Besamungsgeschäft tätig ist. Die genetischen Vererbereigenschaften der Hengste sind ihm bis ins kleinste Detail bekannt. Es ist immer wieder das Thema: Welche Stute ergänzt sich gut mit welchem Hengst? „Die Züchter lassen sich bei uns gerne beraten“, sagt Gerard Muffels. „Wir tauschen Meinungen und Erfahrungen aus, um nach Möglichkeit und Wunsch alle zufriedenzustellen.“

Einen anderen Weg schlagen eine Schülerin und eine Modemanagerin auf dem Hof der erfolgreichen Zucht- und Pferdesportfamilie Jan und Karin Lüneburg in Hetlingen ein. Die eine Springreiterin (Antonia Rother) besitzt einen Hengst, die andere (Annika Drewes) eine Stute. Beide Pferde sind im besten Alter, die jungen Damen beschlossen daher spontan: „Wir züchten für unseren Eigenbedarf, auf alte Art und Weise.“ Blut und Abstammung passen perfekt zusammen. Es gibt nichts Offizielles, auch keinen Stress, Umgebung und Bedingungen sind vertraut. Besser können die Voraussetzungen nicht sein.

Unter Obhut des erfahrenen Züchters Jan Lüneburg und dank tierärztlicher Begleitung wurde inzwischen ein seltener Natursprung im Kreis Pinneberg vollzogen. Der Februar, März und April gilt als perfekter Zeitpunkt für Pferdeverrückte und neue Jungzüchter. In etwa elf Monaten kommt dann hoffentlich ein gesundes Fohlen zur Welt, und die Züchter können sich freuen. Eine Garantie für die Teilnahme am großen Sport gibt es zwar nicht, doch die Abstammungspapiere sehen in der Regel hoffnungsvoll aus.

Die dritte Variante der Zucht befasst sich aktuell mit dem Embryotransfer. Denn Transfergeschäfte gibt es nicht nur im Profifußball. Auch im Bereich der Pferdezucht befasst sich die medizinische Forschung mit Embryotransfers. Eine Leistungsstute, die großartige Erfolge im Sport vorzuweisen hat, wird von ihrem Besitzer nicht mit gutem Gewissen in den Mutterschutz geschickt. Denn es geht um Leistungen, Geldpreise, Platzierungen und wichtige Qualifikationen, wie zum Beispiel für Weltmeisterschaften, Europatitelkämpfe und Olympischen Spiele.

Um die Kombination zwischen Karriere, Spitzensport und Fohlennachwuchs am Ende auf eine Linie zu bekommen, hat die medizinische Forschung neue Wege eingeschlagen. Das Zauberwort heißt: Embryotransfer. Gerard Muffels: „Ein sinnvolles Hilfsmittel für Stuten, auf die Deutschland im internationalen Vergleich nicht verzichten kann.“

Die Zucht kostet Zeit, viel Fachwissen, Nerven und Geld. Bis sich die Leistungsbereitschaft des Nachwuchses zeigt, vergehen im Schnitt fünf Jahre. Beim Bundeschampionat in Warendorf werden im September die Karten wieder neu gemischt.

Erst dann kann beurteilt werden, welcher Hengst sich eventuell mit welcher Stute in der Anpaarung bis zum olympischen Gold vorarbeiten könnte. „Und auch das ist keine Garantie, aber eine große Chance. Bei den Züchtern ist es immer der Kick mit dem Überraschungsei: Fohlen und großer Sport“, sagt Gertjan Zeeuw.

„Zucht kann man nicht wie Mathematik studieren“, sagt Züchter Otto Lienau aus Haselau. „Das Thema ist sehr kompakt, man kann das Wissen nicht mal eben an einem Vormittag erlernen. Zur Zucht gehört viel Intuition und Erfahrung, was wir in unserer Familie in fünfter Generation versuchen zu vermitteln.“ Alle Züchter träumen heute von einem perfekten olympischen Spitzenpferd. Wenn es zur Derbyteilnahme reicht, sind die meisten auch schon restlos glücklich.

Holsteiner Brand soll in Kombination mit Pferde-Chip erhalten bleiben

Jens Hausschild engagiert sich als Züchter in Neuendeich. „Die Natur hat eigene Gesetze. In der Zucht treten leider auch mal Fohlen-Fehlgeburten auf oder es gibt Krankheitsviren. Dennoch haben wir viel Spaß bei allem und züchten trotz mancher Rückschläge mit unserem alten Holsteiner Stamm bereits in vierter Generation.“

Hat ein Fohlen das Licht der Welt erblickt, wird es übrigens sofort bei der zuständigen Behörde des Landes in Kiel im Kreisveterinäramt registriert. Nach dieser Registrierung erhalten die Fohlen vom Tierarzt einen Chip (Transponder) im Nackenbereich. Das eigentliche Ziel der EU-Behörde in Brüssel dabei war, dass der Chip den Holsteiner Brand ersetzen sollte. Bei einigen Chips funktioniert dies allerdings nicht, weil diese mit dem Wachstum der Tiere im Körper zu wandern beginnen. Das Ganze bleibt ein Streitthema, so wie es seit dem Jahr 2010 europaweit der Fall ist.

Für Züchter wiederum ist es immer aufregend, wenn ein neues Fohlen nach der Geburt mit Freunden und Fachleuten begutachtet werden kann. Hübscher Kopf, lange Beine, schöne Augen versetzen sie in Begeisterung, und es überwiegt die Freude. Otto Lienau sagt: „Eigenschaften muss man aber fördern. Nicht jedes Pferd eignet sich für Spitzensport.“