Hamburger Fußball-Verband kämpft um sein Image und gegen den Schiedsrichterschwund. Auch die Clubs im Kreis suchen Nachwuchs

Pinneberg. „Am Freitag hatten wir unsere Jahreshauptversammlung. Bei der Gelegenheit kam das Thema ausführlich zur Sprache“, erzählt Axel Kahl, 49. Es brennt in der Fußball-Abteilung der SV Lieth, genauer gesagt: in der Schiedsrichter-Sparte. 22 Teams, die in Hamburg am Spielbetrieb teilnehmen, stehen nach aktuellen Angaben des Pinneberger Bezirks-Schiedsrichter-Ausschusses nur 15 Frauen und Männer an der Pfeife gegenüber. Das ergibt einen Fehlbestand von sieben Unparteiischen, etwas mehr als 31 Prozent.

Anderen Clubs ergeht es ähnlich oder sogar schlechter als den Klein Nordendern: Ihnen laufen die Unparteiischen davon. Axel Kahl ist bestürzt: „2013 haben die Bezirks-Ausschüsse 400 Schiedsrichter-Anwärter ausgebildet. Gleichzeitig haben 416 unserer Zunft ihren Pass abgegeben.“ Der Verbands-Schiedsrichter-Ausschuss mit dem Vorsitzenden Wilfred Diekert, früherer Bundesliga-Schiedsrichter aus Appen, und dem Wedeler Frank Behrmann (Lehrwart) an der Spitze steuert dagegen. „Hamburgs Fußball zeigt Flagge“ hieß die Kampagne auf der Suche nach Nachwuchs. In Gegenwart der besten und hoffnungsvollsten Schiedsrichter der Stadt hatte ein Imagefilm am Sonnabend im Clubheim des SV Lurup Premiere. Untermalt von Herzschlag-Tönen lässt Regisseur Dominik Voigt in zwei Minuten und 20 Sekunden den „23. Mann“ und die „23. Frau“ zu Wort kommen. „Man kann Freundschaften schließen und Leute kennen lernen“, sagt einer. „Wir Älteren können uns bewegen“, gibt ein ganz Erfahrener zu Protokoll.

„Ich kann umsonst Bundesligaspiele sehen und mein Taschengeld aufbessern“, freut sich ein wesentlich Jüngerer. „Dass ein niederländischer Schiedsrichter in Ausübung seines Hobbys zu Tode geprügelt wurde, war der Anstoß. Der Film soll ansprechen und packen“, wünscht sich HFV-Sprecher Carsten Byernetzki.

Doch die Bemühungen des Verbandes werden ins Leere laufen. Das glaubt Claus-Dieter Köhler. Der zuständige Obmann des SV Rugenbergen, 67, fordert den Verband auf, zum Beispiel über die Ansetzungen nachzudenken. „Einer von uns ist über 80. Der will natürlich Seniorenspiele pfeifen, stattdessen sind für ihn Jugendspiele vorgesehen. So lässt seine Begeisterung natürlich nach.“ Kommt der Schiedsrichter nicht auf mindestens zehn Einsätze pro Kalenderjahr, wird sein Ausweis eingezogen. Kurzum: „Sonderwünsche dürfen ruhig einmal berücksichtigt werden, sonst sind wir wieder einer weniger.“

Noch etwas brennt Köhler unter den Nägeln. Das sind die Spesensätze, die seiner Ansicht nach besonders für die jugendlichen Schiedsrichter um „20 bis 30 Prozent“ erhöht werden sollten. „Wenn einer bei den schlechten Busverbindungen von Bönningstedt nach Haseldorf fährt und dort zwei Spiele pfeift, dann kommt er am Ende eines sehr langen Tages auf zwölf Euro. Das ist nicht mehr zeitgemäß“, ärgert sich Köhler. Häufig setzt er sich ins Auto und bringt „seine“ Schiedsrichter auf eigene Rechnung persönlich zu den Spielen, um sie bei Laune zu halten. Wer für die höheren Kosten aufkommen soll? Köhler: „Die Vereine. Die haben fast alle Sponsoren und das bisschen Geld über.“

Mit einer Unsitte aber muss bald Schluss sein, da sind sich Axel Kahl und Claus-Dieter Köhler einig. Sonst lassen sich die Jungen und Mädchen bald für keine Verlockung der Welt mehr für das Amt gewinnen. „Die Trainer und Betreuer sind viel zu kritisch bei der Beurteilung unserer Schiedsrichter“, sagt Kahl, der selbst als Ausgleich zu seinem Broterwerb als Nachrichten-Ingenieur liebend gerne als Schiedsrichter „auf andere Gedanken“ kommt. Für Köhler sind „pöbelnde Eltern, die verbal auf die jungen Schiedsrichter eindreschen“, ein Problem.

„Wir werden beschimpft und aufs Übelste beleidigt. 50 Prozent machen das nur zwei Jahre mit. Dann sind sie wieder weg“, klagt Wilfred Diekert. Den anderen, die sich durchbeißen und es schaffen, die Ohren auf Durchzug stellen, kann Axel Kahl Perspektiven aufzeigen. Der Liether Vorzeige-Schiedsrichter Kevin Rosin leitet mit 22 Jahren schon regelmäßig Begegnungen in der höchsten Hamburger Spielklasse (Oberliga) und wird ebenso gerne wie sein zwei Jahre jüngerer Bruder André (FC Elmshorn) bei Hallenturnieren gebucht. Jannik Möller, 17, und Lennard Salveter, 18, erwarben die Lizenz erst im vergangenen Jahr.

In ihrem Auftreten sind sie allerdings schon so überzeugend, dass sie Kevin Rosin an der Seitenlinie assistieren dürfen. Vor allem drei Schiedsrichterinnen seiner Abteilung macht Kahl Hoffnung auf eine Karriere: „Von euch gibt es nicht so viele. Der Weg in die zweite Bundesliga der Damen ist wesentlich kürzer als zu den männlichen Profis.“

Dass die neue Kampagne des Fußball-Verbandes Früchte trägt, ist auch der Wunsch des Kummerfelder SV, der elf Schiedsrichter melden müsste, aber nur drei zu den Spielen schicken kann. „Es ist nicht in unserem Sinn, dass 50 bis 60-Jährige bei Spielen in der Bezirksliga antreten. Unsere Engpässe machen das aber leider unumgänglich“, stellt Wilfred Diekert klar. Je mehr Begegnungen ein Verein nicht besetzen kann umso höher fällt nach einem Schlüssel die Verbandsstrafe aus. Axel Kahl nennt eine Zahl: „2013 mussten wir 50 Euro zahlen. Zum Glück konnten wir im vergangenen Jahr bis auf drei Ausnahmen allen Verpflichtungen gerecht werden.“

Fleißig auf der Suche nach Schiedsrichter-Nachwuchs sind auch der SV Rugenbergen (21 Mannschaften – 15 Schiedsrichter), Holsatia Elmshorn (21-17), der TuS Holstein Quickborn (7-5), Sportfreunde Uetersen (1-0) und der Rellinger FC (1-0).

Link zum Imagefilm: www.hfv.de