Claudia Weise, die „Bürgermeisterin des Überseequartiers“, liebt den Pferdesport und die Stille – auch wenn sie gern rasant unterwegs ist

Holm. Allein ihr Gang, der Rhythmus, den ihre roten Stiefeletten im Treppenhaus zurücklassen – die Frau in Blond strahlt Energie und Tatkraft aus. Claudia Weise fährt in das kleine Büro, in das sie sich zurückzieht, wenn sie sich auf wichtige Dinge konzentrieren muss. Die Juristin und Managerin aus Schenefeld wird am treffendsten als Bürgermeisterin des Überseequartiers tituliert. Das Überseequartier wiederum, insgesamt 286.000 Quadratmeter groß mit Platz für 360 Wohnungen und rund 600 Arbeitsplätze, gilt als das Herzstück der neuen Hamburger Hafencity.

In dem sonst sachlich und nüchtern eingerichteten Büro fällt ein Foto ins Auge, das die halbe Wand ausfüllt. Eine unendlich weite Savannenlandschaft in Afrika. Mitten im braunen Gras ein Löwe, der brüllt. Oder vielleicht auch nur zufrieden gähnt. Das Bild strahlt Sehnsucht nach Stille und Ruhe aus. Claudia Weise zieht es nach Feierabend oft nach Holm, in den Stall zu ihren Pferden. Dann reitet sie oder spannt ihre Kutsche an und fährt in den Wald.

Der Umgang mit Pferden ist entspannend und abenteuerlich

„Am liebsten bin ich dann mit den Tieren allein", sagt sie jetzt an ihrem Schreibtisch. „In meinem Beruf, da muss man ständig abwägen, viel taktieren. Bei meinen Pferden ist alles eindeutig, das Miteinander klar. Pferde lügen nicht. Der Umgang mit ihnen ist auch deshalb so entspannend für mich.“ Aber er kann auch außerordentlich rasant und temperamentvoll und geradezu abenteuerlich sein. Wie bei unserer ersten Begegnung, einem Kutschenturnier für Einspänner in Wohlesbostel bei Hollenstedt. Ihre Anfeuerungsrufe sind schon zu hören, bevor sie im hohen Tempo mit ihrem Wolkano in das Wasserhindernis einbiegt.

Claudia Weise lehnt sich weit nach vorn, Wasser spritzt auf, das Hinterrad der Kutsche kratzt an einem der dicken Torpfosten vorbei. Und kaum dass man als Zuschauer tief durchatmet, ist die wilde Jagd auch schon weiter gerollt. In der überschaubaren Szene des Kutschensports ist Claudia Weise längst für ihren Mut und ihren temperamentvollen Fahrstiel berühmt. Ihren schleswig-holsteinischen Meistertitel hat sie kürzlich in Bad Segeberg allerdings nicht verteidigen können. In einer Linkskurve hatte es sie samt Kutsche aus der Bahn geworfen. Bei diesem Missgeschick hatte der Beifahrer hinter ihr das Gefährt falsch ausbalanciert.

Aber es ist ja nicht nur der Fahrsport, bei dem die Juristin mit Doktortitel ihre Zusammenarbeit mit ihren Vierbeinern genießt. Ich reite auch Dressur und kleinere Springen, erzählt sie, vor allem aber freue ich mich, wenn ich jetzt mit Wolkano wieder an den Herbstjagden teilnehmen kann. Die langen, rasanten Galoppaden im dichten Pulk, die Sprünge über die festen Hindernisse. Ich liebe das und meine Pferde auch. Und das ist mir das Wichtigste. Pferde kann man nicht wirklich zu etwas zwingen, man muss, sehr feinfühlig oft, auf sie eingehen, eine Harmonie mit ihnen finden. Mit einem Pferd im Sport kann man nur Freude und Erfolg haben, wenn man eine Einheit, ein Team wird. Und diese Erfahrung, glaube ich, hat mein ganzes Leben mit geprägt.

Begonnen hat das alles zu Hause in Mölln mit einem Zusatz im Testament des früh verstorbenen Großvaters. Der hatte festgelegt: Wenn einer meiner Enkel ein Pony will, soll er es bekommen. Und die kleine Claudia wollte. Unbedingt. Und so kam Nadja, ein dickköpfiges, eigenwilliges und selbstbewusstes Shetlandpony in die Familie. Das Pony war übrigens 1966 geboren, genau wie das kleine Mädchen, das ohne Sattel ritt und oft genug abgeworfen wurde.

„Aber ich habe gelernt, mich durchzusetzen", denkt die Karrierefrau an ihre Kindheit zurück. „Aber auch auf das Pony einzugehen und Kompromisse zwischen uns beiden zu finden. Ich denke, von und mit Nadja habe ich eine Menge fürs Leben gelernt.“ Das Studium, die ersten Erfolge im Beruf, lange war da kein Platz für ihre stille Liebe aus Kindertagen für die Vierbeiner. Erst als vor Jahren ihre Sekretärin von Ausritten mit ihrem Pferd erzählte, überraschte Claudia Weise abends ihren Mann mit der Ankündigung: „Ich kaufe mir ein Pferd.“ Und sie fand den vierjährigen Rabbit, an dem ihr Herz noch heute hängt.

„Der war sensationell begabt und hoch erfolgreich", beginnt sie sofort zu schwärmen. Aber er hatte eine Arthrose in der Halswirbelsäule, und der Tierarzt gab ihm nur noch ein Jahr. Da habe ich mir gedacht, wenn du ihn in der Kutsche einspannst und er muss ziehen, dann entspannt das doch seine Wirbelsäule. So bin ich zum Fahrsport gekommen, und das Leben von Rabbit habe ich um fünf Jahre verlängern können.“

Sind bei seinem Ende Tränen geflossen? Die Frau, die von sich sagt, dass sie das Schnelle liebt und durchaus auch das Risiko, wird still für einen Moment und sagt dann leise: „Die kommen auch heute noch, wenn ich an ihn zurückdenke.“ Als Rabbit noch lebte, kam Wolkano dazu. Den inzwischen zehnjährigen Wallach hat Claudia Weise selbst angeritten und eingefahren und hat inzwischen mehr als 110 Platzierungen bei Turnieren mit ihm. Als Rabbit starb, holte sie ein Fohlen dazu. Auch Solitär hat sie selbst ausgebildet. Der ist inzwischen vier Jahre alt und Claudia Weise hat den Ehrgeiz, ihn im kommenden Jahr beim Bundeschampionat in Warendorf vorzustellen. Dass gerade der Fahrsport, der Außenstehenden als gemütlich und altbacken erscheinen mag, seine Tücken und Gefahren hat, auch davon könnte Weise einiges berichten.

Den schrecklichen Unfall mit Rabbit und Wolkano im Zweiergespann mitten auf einer Kreuzung in Holm verdrängt sie am liebsten. Die zertrümmerte Kutsche, mit der Wolkano bei einer Dressurprfung durchgegangen ist, als er den Fahrzaum verlor und führungslos war, die hat sie im Bild festgehalten. „Dabei ist gerade Wolkano das erste Pferd, das mich zur Ruhe zwingt", erzählt die Managerin. „Ob vor der Kutsche oder bei Herbstjagden, der lässt sich von mir nicht antreiben, der geht sein eigenes Tempo. Und inzwischen spüre ich, dass mir das gut tut. Ich finde auch immer mehr Gefallen an der Dressurarbeit. Die ruhige, gesetzte Harmonie zwischen dem Pferd und mir im Sattel, die genieße ich sozusagen mit fortschreitendem Alter immer mehr. An diesem Wochenende wird übrigens in Luhmühlen die deutsche Meisterschaft der Einspänner entschieden. Claudia Weise hat sich mit ihrem Wolkano an- und wieder abgemeldet. Bei der starken internationalen Konkurrenz hatte sie geglaubt, zu weit hinten zu landen. Das letzte Drittel bei einem Turnier, das ist noch immer nicht der Platz, mit dem die Powerfrau vom Überseequartier zufrieden wäre.