Bei Blau-Weiß 96 haben Mitglieder Spaß auf dem Einrad. Bei dem bisher kaum beachteten Sport kommt es auf Technik, Balancegefühl und Artistik an.

Schenefeld. Moritz hat's gut. Der schreibt mit der Taschenlampe "Ich lieb' dich" in den Himmel. Statt verächtlicher Blicke gibt's schmachtvolle. Und viel, viel Applaus. So ist das mit zehn Jahren. Und wenn du dann noch auf einem Einrad sitzt und lässig die Beine baumeln lässt, ist das richtig cool.

Von einem Trendsport zu sprechen, ist (noch) übertrieben. Aber die Einrad-Abteilung von Blau-Weiß 96 floriert. "Wir haben Wartezeiten", muss Trainerin Annelore Wilke zugeben. Warum, zeigt der Besuch in der Sporthalle. Mit glühenden Wangen drehen 26 Mädchen und ein Junge ihre Runden. Auf Rädern spielen Annalena, Katharina, Fiona und Anna-Maria noch einmal nach, wie Leonardo DiCaprio am Bug des Unglücksdampfers "Titanic" Kate Winslet eroberte. Die Mädchen scheinen gar nicht zu bremsen zu sein. Ein Durcheinander wie bei 30 Grad im Schwimmbad und es sind Schulferien.

"Gewöhnlich geht es gesitteter zu. Aber wir feiern gerade unsere Erfolge und ein perfektes Turnier mit toller Unterstützung der vielen Helfer. Süßigkeiten und Fruchtsaft stehen auf dem Tisch", sagt Annelore Wilke. Lea-Sophie, Maya, Marie und Moritz tragen noch einmal ihr blaues Trikot mit den aufgestickten silbernen Sternen. Zusammen mit Finja und Juna haben sie sich so bei den Landesmeisterschaften präsentiert.

Moritz war der kleine Prinz im All. Nena, Marcus und Hubert Kah, die Stars der "neuen deutschen Welle", untermalten die knapp fünfminütige Darbietung mit ihren Hits: "Kleine Taschenlampe, brenn", "Sternenhimmel". Auf der voll besetzten Tribüne der Halle Achter de Weiden - an zwei Tagen 1000 Besucher - jubelten sie. So viel Begeisterung wirkte nach. Die Schenefelder Mini-Kür-Gruppe im Alter zwischen sieben und zehn Jahren wurde Zweiter. Moritz ist in seinem Element. Wie es sich anfühlt, Prinz im All oder Hahn im Korb zu sein? "Es gibt Schlimmeres." Locker, der junge Mann.

Die Begeisterung auf dem Einrad entdeckte er zufällig. Erst hatten ihn die Eltern zum Kinderturnen geschickt. "Nach uns trainierten dann immer die Einrad-Fahrer. Die habe ich mir angesehen und mir gesagt: Das ist spannender, das musst du auch machen." 20 Stunden, schätzt er, benötigte er, um sich ohne fremde Hilfe, Lenker und Licht fortbewegen zu können. Viele folgen seinem Beispiel.

"Als ich vor fünf Jahren anfing, hatte ich 14 Kinder", erinnert sich Annelore Wilke, früher eine auf Landesebene erfolgreiche Kunstradfahrerin, die dann umsattelte. In der Zwischenzeit frönen 85 Jugendliche und 20 Erwachsene allein in Schenefeld dem ungewöhnlichen Sport. Der Verein beschäftigt außer Annelore Wilke auch deren Tochter Carlotta sowie Christiane Klemz und Katharina Bassing als Übungsleiterinnen. Vom Sinn ihrer Tätigkeit sind sie alle vollends überzeugt. Wilke plädiert dafür, das Einradfahren wie in Japan zum Schulsport zu erheben. Die Anschaffungskosten für den fahrbaren Untersatz bewegen sich im Bereich von 80 bis 180 Euro.

"Im Katalog gibt's die Einräder nicht. Aber wir haben da so einen engagierten Professor in Kiel, der liefert ausgezeichnete Qualität", verrät Wilke. Und vor allem: "Einerseits kräftig in die Pedale treten zu müssen, andererseits das Gleichgewicht zu halten, das fördert die Konzentration und damit die schulischen Leistungen." Das glauben die Sport-Psychologen auf der anderen Seite des Globus' felsenfest. Schleswig-Holstein teilt diese Auffassung. 400 Teilnehmer aus 40 Vereinen gingen in Schenefeld an den Start. Das ist eine enorme Zahl für einen bislang kaum beachteten Sport.

Sorge, sich zu verletzen, ist unangebracht. Als Allererstes lernen die Anfänger, bei Sturzgefahr möglichst geschickt abzuspringen. Nach etwas Übung gewöhnen sich die Fortgeschrittenen rasch an Schlangenlinien, Kurvenfahrten und höhere Geschwindigkeit. Die Könner wie Moritz führen "nebenbei" noch die schönsten Szenen der Film-, Musical- und Musikgeschichte vor. Im Paarwettbewerb entschieden sich Katharina und Annalena für "Mamma Mia" - Platz zwei. Vize-Europameister (in der Schweiz) dürfen sich die Schwestern Nele, 16, und Jule, 13, nennen, die sogar mit einem Ausflug zur Weltmeisterschaft nächstes Jahr in Montreal (Kanada) liebäugeln. Das sind Perspektiven, die auch die Älteren anstacheln. Bei der Präsentation war die Schenefelder Erwachsenen-Gruppe besser als die Akrobaten des Elmshorner MTV, aber nicht in der Technik, die wird vorrangig bewertet. Also: Gratulation den Elmshornern zum Titelgewinn.

An erster Stelle allerdings steht der Spaß. Der ist in Schenefeld den Siegern und Verlierern gleichermaßen im Gesicht abzulesen. Carlotta Wilke heckte trotzdem einen Plan aus, Stroh zu Gold zu spinnen. Bei der deutschen Meisterschaft, die im Oktober in Norderstedt stattfinden, soll sich die Mini-Gruppe - vielleicht - an "Rumpelstilzchen" heranwagen. Komplizierter Stoff, aber die passende Musik dazu hat sie bereits aufgestöbert. Moritz müsste da durch, nicht mehr Prinz zu sein, sondern das fiese Männchen, das ums Feuer tanzt.

Das schafft er. Einrad bei Blau-Weiß 96 ist sein "Sternenhimmel".