Nicht nur die Himmels-Choreografien des Tornescher Drachen-Clubs Flattermann begeistern Zuschauer im Norden

Die kleine Susi sehnt sich den Schnee herbei. Da erscheint ein kleines Gespenst am Fenster und erfüllt ihren Wunsch. Glücklich lächelnd schläft Susi ein. Schneeflocken in Drachenform fallen zur Titelmusik von "Star Wars" vom Himmel und die Zuschauer applaudieren. "Ich habe immer Gänsehaut, wenn ich daran denke", sagt Malte Westermann. Er ist Vorsitzender eines ungewöhnlichen Vereins, des Tornescher Drachen-Clubs Flattermann. Die "Flattermänner" sind echte Pioniere. "Susi und die Schneeflocken" ist ihr Klassiker, die erste Geschichte, die in Deutschland bei Dunkelheit nur mit Drachen und musikalischer Untermalung aufgeführt wurde. Die Idee für den Schneeflockendrachen hatte Club-Gründer Walter Reimers. Seit der Premiere in Lüneburg 1991 begeistern die Macher mit ihrem Stück nun schon das Publikum. "Ein Wahnsinnserlebnis war Mitte der 90er-Jahre unser Drachenfestival in Damm. 60000 Zuschauer jubelten uns zu. Das war überwältigend schön", sagt Ines von Kroge.

Sie ist die Jugendgruppenleiterin des Clubs. "Manchmal brauchen wir mit der Planung eineinhalb Jahre für ein Projekt", sagt von Kroge. Zu Beginn ist eine gute Idee für eine Geschichte gefragt. Bis Aufführungen wie "Der Regenbogenfisch", "Die alten Ägypter" oder "Das Sandmännchen" dann wirklich Premiere feiern können, ist viel zu tun. Die Geschichte wird geschrieben und zum Abspielen auf der Lautsprecheranlage auf ein Tonband gesprochen, die musikalische Untermalung gewählt, der Einsatz der über 2000 Watt starken Beleuchtungsanlage, die mit Flugzeuglandescheinwerfern aus einem alten Jumbo ausgestattet ist, festgelegt. "Die Hauptarbeit besteht jedoch natürlich im Anfertigen der Drachen", so von Kroge. Gebaut werden diese zumeist mit einem Kohlefasergestänge. Die Fläche besteht ebenso wie die Leine meistens aus Kunststoff, beispielsweise aus Spinnaker-Nylon. Die Muster werden mit Garn und Nähmaschine aufgenäht.

Handelt es sich um eine Vorführung bei Nacht, werden die Applikationen hin und wieder mit UV-Farbe aufgemalt, oder mit kleinen Lampen versehen, um spezielle Leuchteffekte zu erzielen. Da der Club kein eigenes Vereinsheim besitzt, findet das Werkeln und Basteln in einer kleinen Halle des Vereinsheims des TuS Esingen statt. Die Größe der Drachen ist dabei variabel. "Die Kleinsten haben nur wenige Quadratzentimeter Fläche, die Größten sind imposante 30 Meter lang und müssen von einem Lastwagen gehalten werden", sagt Westermann.

Ist die Mischung aus Kreativität, Teamwork und handwerklichem Geschick vollbracht, führt der Club seine Aufführungen auf Veranstaltungen wie dem Norderstedter Kite Festival oder, wie letzten November, bei Vereinen wie dem SC Pinneberg vor. "Eintritt nehmen wir nie, Gage auch nicht, über Spenden freuen wir uns", erläutert Westermann das Konzept. Es gehe dem Club nicht um kommerziellen Erfolg. "Vielmehr wollen wir die Menschen emotional berühren."

Dies erreicht der Club auch durch das aktive Einbeziehen der Zuschauer. Auf dem jährlich veranstalteten eigenen Drachenfestival in Ollsen (Nordheide) werden öfter einmal Drachen mit Bonbonnieren ausgestattet. Sobald sich der Mechanismus öffnet, regnet es zur Freude der Kinder Süßigkeiten vom Himmel. Erwachsene dürfen derweil versuchen, von den Drachen fliegende rohe Eier zu fangen. Auch einen Wettbewerb, einen sogenannten Rokkakukampf, gibt es, bei dem es darum geht, den anderen Drachen den Wind zu nehmen und als einziger in der Luft zu bleiben. "Natürlich finden auch Kinderworkshops statt", sagt von Kroge.

Wie sehr sich das Ansprechen von jung und alt auszahlen kann, zeigt sich am ersten offiziell aufgenommenen Mitglied. Harry Hands, 72, fuhr vor 23 Jahren mit seinen beiden Kindern nach St. Peter-Ording zu einem Drachenbauworkshop. "Ich wollte nur meine Kinder begleiten, aber die Lust aufs Drachenfliegen hat mich sofort gepackt", sagt Hands. Seine Kinder und Enkelkinder traten dem Drachen-Club Flattermann ebenfalls bei. Hands spricht liebevoll über sein Hobby, das "wunderbare Gefühl", einen Drachen zu basteln und im Wind zu halten. Nur in einem bleibt er skeptisch. "Ich weiß nicht, ob wir den Weltrekord schaffen."

Westermann und von Kroge sind da optimistischer. Sie möchten, dass ihr Verein den seit dem 1. August 1919 gültigen Höhenweltrekord im Drachenfliegen bricht. Bei 9740 Metern liegt die Marke, die am Aeronautischen Observatorium in Lindenberg mit einem Drachen an einer Leine aus Klavierdraht aufgestellt wurde. "Wir wollen eine Höhe von 10.000 Metern schaffen", sagt Westermann. Die Leine, 20.000 Meter, hat der Club bereits angefertigt. Eine Winde ist ebenfalls beschafft. "Das Luftfahrtbundesamt muss den Luftraum sperren, wir brauchen ein offenes Gelände und müssen den großflächigen Trägerdrachen für den Rekordversuch zur Kontrolle der Höhe und zur Sicherheit mit einem GPS-Signal versehen", sagt Westermann. Außerdem müssen mehrere Drachen in die Leine eingehakt werden, die ab einer bestimmten Lufthöhe weiterfliegen, weil ein Drache alleine das Gewicht der Leine nicht tragen kann." "Klar brauchen wir auch Glück", sagt Westermann, "aber wir glauben daran." Das Basteln am Weltrekord ist noch lange nicht zu Ende.