Kreis Pinneberg. Behindertenbeauftragter Axel Vogt hat sein Ehrenamt niedergelegt und zieht Bilanz. Was er erreicht hat, und wo es noch hakt.

Knapp acht Jahre lang war er der Behindertenbeauftragte des Kreises Pinneberg. Der erste überhaupt in dieser Funktion. Nun hat Axel Vogt (63) sein Ehrenamt aus persönlichen Gründen vorzeitig niedergelegt.

Er habe viel für die 46.500 Menschen mit Behinderungen und die 24.236 Schwerstbehinderten – etwa acht Prozent der Bevölkerung – im Kreis Pinneberg erreichen können, zieht Vogt eine positive Bilanz seiner Arbeit. Aber es bleibe noch sehr viel zu tun für seine Nachfolger, sagt er und empfiehlt dem Kreistag dringend, diese Aufgabe künftig unbedingt hauptamtlich zu besetzen. „Als Ehrenamtler ist das einfach nicht zu schaffen.“

Kreis Pinneberg: Behindertenbeauftragter geht – was wird aus seiner Stelle?

Seinen achten und letzten Jahresbericht werde er dem Kreistag noch ausgearbeitet vorlegen, erklärt Vogt. Aber dann sei Schluss und seine Aufgabe erledigt, sagt der Mann, der selbst Vater eines schwerst- und mehrfach behinderten erwachsenen Sohnes ist, der rund um die Uhr betreut werden muss. Sein Arzt habe ihm geraten, beruflich etwas kürzer zu treten, erklärt Axel Vogt seinen vorzeitigen Rückzug.

Eigentlich war er noch zwei Jahre länger bis März 2025 als Behindertenbeauftragter berufen. „Aber ich musste aus gesundheitlichen Gründen den Stecker ziehen“, erklärt Vogt. Seinen Hauptberuf als Bereichsleiter der Investitionsbank in Kiel könnte er nicht so leicht an den Nagel hängen.

Kreis Pinneberg: 100 zusätzliche Wohnungen für Menschen mit Behinderungen

Von seinem selbst aufgestellten Aktionsplan habe er in den acht Jahren fast zwei Drittel abarbeiten können, sagt Vogt. So konnte er gleich zu Beginn seiner Amtszeit erreichen, dass sich etliche Anbieter und soziale Einrichtungen der „Pinneberger Erklärung“ anschlossen, um für mehr Wohnraum für Menschen mit Behinderung zu sorgen. Das sei gelungen, freut sich Vogt. Gut 100 zusätzliche solche Wohnungen konnten seit 2017 geschaffen werden. Auch dank des Kreistages, der jetzt in seinem Doppelhaushalt 2023/24 weitere 40 zusätzliche Wohnplätze für Menschen mit Handicaps finanziell fördern will.

Dabei konnte auch erreicht werden, dass die Bedingungen für die soziale Wohnraumförderung an die heutigen Verhältnisse angepasst wurden, erklärt Vogt. „Die Eingliederungshilfen sind überall an die aktuellen Preise angepasst worden.“ Damit sei ein großer Wunsch der Elterninitiativen von betroffenen Kindern erfüllt worden.

Kreis Pinneberg: Kunstpreis für Menschen mit Behinderung erstmals vergeben

Auch die Auslobung des neuen Kunstpreises „Special Art“ für behinderte Künstler wertet Vogt als Erfolg, der in diesem Jahr erstmals an drei Kreis Pinneberger vergeben wurde bei neun Bewerbungen. Dieser Preis, der mit 4500 Euro von der Sparkasse Südholstein unterstützt werde, soll alle zwei Jahre die künstlerischen Talente von hier lebenden behinderten Menschen fördern. „Das ist eine gute Sache, auch wenn sie nicht inklusiv ist“, sagt Vogt.

Denn der Preis, der auch von der Drostei verliehen wird, würde ja nichtbehinderte Künstler ausschließen. Aber bislang habe sich in den vier Jahrzehnten des Kreiskulturpreises noch nie ein behinderter Künstler um den Drosteipreis beworben. „So schafft dieser Special-Art-Preis Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft und die Bereitschaft bei den Betroffenen, sich überhaupt daran zu beteiligen.“ Wenn das irgendwann nicht mehr nötig sein sollte, sollte auch ein Kunstpreis ausgeschrieben werden der alle Kunstschaffende einschließt, ob mit oder ohne Handicap, fordert Vogt.

Elmshorn: 400 Betroffene nutzen jährlich die Teilhabeberatung

Die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, die seit einigen Jahren in Elmshorn mit der Alzheimer-Gesellschaft als Träger angeboten wird, sei sehr hilfreich. Diese unterstütze und berate Menschen mit Behinderungen oder solche, die davon bedroht sind, und deren Angehörige kostenfrei. Da erfahren sie, was sie zu beachten und zu beantragen haben, wo sie die richtigen Ansprechpartner finden. „Das ist ein guter Lotse durch den Dschungel von Verwaltungsvorschriften, den 400 Betroffene im Jahr wahrnehmen“, sagt Vogt.

Auch die Vorgaben des Bundesteilhabegesetzes, das vorschreibe, dass alle Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen, seien gut in der Kreisverwaltung verankert, erklärt Vogt.

Kreis Pinneberg: Behörden könnten Anträge schneller bearbeiten

Gleichwohl gebe es in der Umsetzung durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten. So sei es zwar gut, dass Behinderte eine Begleitung für Arzt- oder Kinobesuche finanziert bekommen könnten. Aber es fehle dafür oft das nötige, individuelle Angebot, das dem Grad der Behinderung gerecht werde. „Wir brauchen weniger Gleichberechtigung im Handeln, sondern vor allem in der Teilhabe.“

Dabei würde er sich für die Behinderten wünschen, dass die etwa 50 Beschäftigten in der Eingliederungshilfe ihre Anträge noch etwas schneller bearbeiteten, auch wenn vielleicht noch nicht jedes Dokument vorliegen sollte. „Da sollte die Verwaltung umdenken und mehr auf die Bedürfnisse der Menschen mit Behinderung eingehen“, fordert Vogt. Denn die Betroffenen brauchten die Hilfe oft recht rasch.

Kreis Pinneberg: Homepage der Verwaltung ist vorbildlich

Beim Abbau von Barrieren sei viel getan worden. Die Homepage des Kreises bietet große Schriften und Hilfen an, die den Text auch vorlesen. Bahnhöfe und Haltestellen, Schulen und Turnhallen sind barrierefrei gebaut und ertüchtigt worden.

Auch wenn da manchmal der Teufel im Detail liege, nennt Vogt ein fast komisches Beispiel eines Sporthallenneubaus im Kreis. Da seien die Zugänge und die Beschriftungen ganz beispielgebend umgesetzt worden. Nur bei der Brüstung zur Zuschauertribüne sei nicht bedacht worden, dass ein Rollstuhlfahrer da nicht drüber schauen könne. Plexiglas oder eine Rampe für Rollstuhlfahrer könnte nun das Problem lösen.

Kreis Pinneberg: Großes Netzwerk der Behindertenbeauftragten im Kreis

Das Netzwerk der Behindertenbeauftragten im Kreis ist stetig größer geworden. Als er 2015 anfing, gab es nur in Elmshorn und Barmstedt solche Ansprechpartner. Inzwischen sind es neun. Pinneberg, Wedel, Uetersen, Schenefeld, Halstenbek, Rellingen und Bönningstedt haben nachgezogen und ihrerseits diese Stellen geschaffen.

Aber es bleibe noch reichlich zu tun, sagt Vogt. Viele Arztpraxen sind für Behinderte nicht zu erreichen. Außer in Hamburg-Alsterdorf gebe es fast nirgends Medizinische Versorgungszentren, wo die Behinderten mit multiplen Problemen mehrere Behandlungen erledigen könnten. Wenn sie zum Beispiel ruhiggestellt und narkotisiert werden müssten, mache es Sinn, dass an einer Stelle gleich alle Wehwehchen behandelt werden.

Kreis Pinneberg: Arbeitsmarkt für Betroffene gibt es nicht

Beim Feuer- und Katastrophenschutz sollte beachtet werden, welche Behinderungen die Bewohne, die es aus einem Gebäude zu retten gelte, aufweisen, damit diese dann anschließend auch adäquat untergebracht werden können. Und für den Öffentlichen Nahverkehr erhofft sich Vogt nicht immer nur neue Buslinien und eine bessere Taktfrequenz. Davon hätten Menschen mit Behinderung meist nichts. Ihnen würden am ehesten Anruf-Sammelbusse helfen, die sie nach Bedarf rufen könnten.

Außerdem fehle bislang völlig ein Arbeitsmarkt für Behinderte. Zwar seien im Kreis Pinneberg gut zwei Drittel der 2700 Pflichtarbeitsplätze von Behinderten besetzt. Aber es gebe für diese praktisch keine Möglichkeit oder Angebote, den Arbeitsplatz zu wechseln, nennt Vogt ein weiteres Dilemma für berufstätige Behinderte.

Behindertenbeauftragter sollte unabhängig arbeiten können

Damit die wichtige Aufgabe des Behindertenbeauftragten auch nach seinem Ausscheiden gut besetzt sei und helfen könnte, das Leben der Menschen mit Behinderung im Kreis zu erleichtern, sollte diese Stelle künftig eine Vollzeitstelle sein, rät Vogt dem Kreis. Zudem sollte sie unabhängig von der Kreisverwaltung und von dieser nicht weisungsgebunden, sondern nur direkt dem Kreistag oder dem Kreistagspräsidium unterstellt sein, schlägt er vor.

Ein eigenes Antragsrecht, das ihm der Kreistag zwischenzeitlich entzogen hat, wäre wünschenswert. „Auch wenn mich das nie behindert hat. Man hat mir nie das Recht zu reden im Kreistag verweigert.“ Und für Anträge habe er immer die entscheidenden Abgeordneten gefunden.

Kreis Pinneberg: Verwaltung will im April über Zukunft der Stelle beraten

Vogts Arbeitsaufwand belief sich auf etwa zehn bis 15 Stunden pro Woche, 2021 waren es 421 Arbeitsstunden, wofür der Kreis Pinneberg rund 27.000 Euro an Aufwandsentschädigung und personeller Verwaltungsunterstützung aufgewendet hat. Die Kreisverwaltung will der Politik im April einen Handlungsvorschlag machen.