Pflegefamilien

Kreis Pinneberg sucht Zuhause für kranke Kinderseelen

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Burkhard Fuchs
Aylin und Mario Seeling betreuen zurzeit drei Pflegekinder. Elf akute Notfälle in Bereitschaftspflege haben sie auch schon bei sich aufgenommen. Sie gehören zu den Pflege- und Adoptiveltern im Kreis Pinneberg.

Aylin und Mario Seeling betreuen zurzeit drei Pflegekinder. Elf akute Notfälle in Bereitschaftspflege haben sie auch schon bei sich aufgenommen. Sie gehören zu den Pflege- und Adoptiveltern im Kreis Pinneberg.

Foto: Burkhard Fuchs

Pflegeeltern für vernachlässigte und misshandelte Kinder werden zurzeit dringend gebraucht. Das ist die aktuelle Lage.

Kreis Pinneberg.  Die Schicksale dieser Kinder sind oft herzzerreißend. Wahre Tragödien müssen sich in manchen Kinderzimmern im Kreis Pinneberg abspielen. Wie für den erst eineinhalbjährigen Lars (Name geändert), den Aylin und Mario Seeling jetzt als ihr drittes Pflegekind aufgenommen haben. Der Junge wurde schon als Baby von den leiblichen Eltern schwer misshandelt, erlitt mit vier Monaten nach einem schweren Schütteltrauma eine Hirnblutung und musste notoperiert werden. Gerade ist er erneut am Gehirn operiert worden. Er wird wohl schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen davontragen, ahnt das erfahrene Ehepaar.

Pflegekinder im Kreis Pinneberg brauchen sicheres Zuhause

Familie Seeling hat schon elf kleine Kinder in sofortiger Bereitschaftspflege aufgenommen, wenn das Jugendamt zum Schutz der missbrauchten und misshandelten Kinder sie in Obhut nehmen musste. Das war in 37 Fällen im Vorjahr notwendig, nach 20 Fällen im Jahr 2020. Insgesamt wurden voriges Jahr 186 Kinder im Kreis Pinneberg in Obhut genommen nach 159 im Jahr zuvor.

„Wir suchen händeringend Eltern, Paare oder Alleinerziehende, die diese Kinder in Pflege aufnehmen“, sagt Jasper Jensen vom Team Pflegefamilien im Kreis Pinneberg. Zurzeit gibt es 190 Pflegestellen im Kreis, in denen 240 Kinder leben und aufwachsen. Sie wurden ihren leiblichen Eltern aus gutem Grund entzogen. Ein Drittel dieser Kinder lebte bei den Großeltern, bei Onkel, Tanten oder älteren Geschwistern, zwei Drittel bei fremden Pflegeeltern, die sich diese schwere Aufgabe zutrauten, ein traumatisiertes Kind bei sich aufzunehmen.

„Jedes Kind hat ein Recht auf eine gute Familie“

Für die gelernte Kinderkrankenschwester Aylin Seeling war das überhaupt kein Problem. Sie liebt Kinder und will ihnen ein möglichst liebevolles Zuhause schaffen, damit sie sich gut entwickelten. Sie hat selbst zwei jugendliche Kinder aus erster Ehe, ebenso wie ihr Mann Mario. „Mit unseren jetzt drei Pflegekindern im Alter von neun und sechs Jahren sowie 20 Monaten sind es sieben Kinder, wenn alle da sind“, sagt Aylin Seeling. Sie kümmere sich inzwischen Vollzeit um ihre Dauerpflegekinder. Auch die Bereitschaftspflege habe sie jetzt aufgegeben. Dabei musste sie jahrelang in akuter Not als Ersatzmutter für die misshandelten Kinderseelen einspringen. Jetzt wolle sie sich voll um die drei Pflegekinder kümmern. „Ich nehme nur noch Fälle auf, die zu uns passen.“

Ihre eigenen Kinder störten die ständigen neuen Geschwisterchen nicht. Im Gegenteil. Sie seien sehr liebe- und verständnisvoll mit ihnen umgegangen, berichtet Aylin Seeling. „Sie sahen es als Gewinn und fanden es total toll. Mein ältester Sohn will sogar selbst einmal Pflegekinder aufnehmen“, sagt die erfahrene Mutter. Denn: „Jedes Kind hat ein Recht auf eine gute Familie.“ Nur könnte sich kein Kind seine Eltern aussuchen. Manche Väter und Mütter sind wohl wegen eigener psychischer, sozialer, finanzieller oder Suchtproblemen völlig überfordert bei der Aufgabe, ihren Kindern Liebe und ein behütetes Heim zu geben.

Kontakte und Besuche zu den leiblichen Eltern würden zum Wohl der aufgenommenen Pflegekinder oft aufrechterhalten, erklärt Mario Seeling. Das sei auch erwünscht, wenn auch nicht immer zu gewährleisten. Sogar das Sorgerecht für ihre Kinder, denen sie so viel Schlimmes angetan haben, behielten die leiblichen Eltern oft.

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Bei den Seelings gilt das in allen drei Fällen, auch wenn die Kontakte stark eingeschränkt und zum Teil abgebrochen seien. Aber das Sorgerecht sei für die leiblichen Eltern oft der letzte Rettungsanker, an den sie sich klammerten, um sich irgendwann vielleicht doch wieder um ihre Kinder kümmern zu können. Ansonsten haben Pflegeeltern weitgehende Befugnisse, was die Schulwahl, gesundheitliche Versorge oder Urlaubsreisen angeht. Aber auch die Seelings wissen nicht, ob ihre Pflegekinder später einmal wieder einen engeren Kontakt zu ihren leiblichen Eltern wünschten.

Aylin und Mario Seeling gehören dem Verbund der Nesteltern an, in dem sich die erfahrenen Pflegeeltern im Kreis organisiert haben. Sie beraten und schulen auch andere interessierte Paare, die ein Pflegekind bei sich aufnehmen möchten. Sie erklären ausführlich die Vor- und Nachteile, welche Probleme und Schwierigkeiten sie meistern, welche Liebe und Zuneigung sie dafür zurückerhielten. „Es geht um die Chance, sich selbst zu prüfen, ob sie in der Lage sind, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen“, erklärt Mario Seeling. Und ganz wichtig dabei sei: „Es geht nicht dar­um, dass sich die Pflegeeltern etwa ihr Kind aussuchen können. Es geht darum, für das Kind die passende Familie zu finden.“ Darum brauche es einen größeren Pool von Paaren im Kreis Pinneberg, die dazu bereit sind.

Pflegekinder sind oftmals schwer traumatisiert

So war es auch für Yvonne Schulz aus Uetersen, die an drei Wochenenden an diesen Kursen teilgenommen hat und dann ein Mädchen mit 21 Monaten in Pflege genommen hat. „Das ist eine Entscheidung fürs Leben“, weiß die erfahrene Kindergarten-Erzieherin. „Aber es bereichert uns sehr. Wir sind eine richtige Familie geworden“ Zudem hätten sie großes Glück gehabt, dass sich die Kleine trotz ihrer Vorgeschichte recht normal und unproblematisch entwickle.

„Oft sind es ja schwer traumatisierte Kinder, die in Pflege genommen werden.“ Sie erlebe halt „den ganz normalen Wahnsinn“, wie es ist, ein inzwischen sechs Jahre altes Mädchen aufzuziehen, erzählt die Pflegemutter. Sogar die Pflegeeltern eines Brüderchens ihrer Pflegetochter hätten sie kennengelernt, erzählt Yvonne Schulz. So könnten sie den Geschwistern so etwas wie eine heile Familienwelt schaffen, die sie bei ihren eigenen Eltern nie erfahren haben.

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Yvonnes Schulz rät: „Die Kinder brauchen erst einmal Wurzeln und müssen eine sichere Bindung finden. Dafür müssen die Pflegeeltern viel Liebe und Geduld aufwenden. Wenn sie das schaffen, ist es eine enorme Bereicherung für das eigene Leben.“ Irgendwann wolle sie ihre Pflegetochter auch adoptieren, erklärt Yvonne Schulz. „Aber das möchte ich nicht über ihren Kopf hinweg entscheiden.“

Der Kreis Pinneberg vermittle etwa fünf bis zehn Pflegekinder im Jahr, erklärt Amtsmitarbeiter Jensen. Meistens sind sie dann zwischen vier und zehn Jahre alt. Die Pflegepaare sollten idealerweise genügend Zeit, Raum und Energie aufbringen, sich um das Wohlbefinden und die Erziehung der Kinder kümmern zu können, erklärt Jensen. Und sie sollten nicht älter als 55 sein. Der finanzielle Ausgleich für den Aufwand der Pflegeltern liege je nach Alter und Schweregrad der Probleme des Kindes zwischen 700 und 1200 Euro im Monat, sagt Jensen. „Reich werden kann man damit nicht.“

Wer überlegt, ein Pflegekind bei sich aufzunehmen, kann sich an Birgit Bessert beim Kreis Pinneberg wenden. E-Mail: b.bessert@kreis-pinneberg.de. Hilfestellung gewährt auch die Seite des Kreises Pinneberg (https://nestfamilien.de) oder der Verein der Pflege- und Adoptiveltern, (www.nesteltern.de), dessen Kreisvorstand Aylin und Mario Seeling angehören. Dort können sie sich erkundigen, welche Voraussetzungen sie erfüllen sollten und was sie als Pflegeeltern erwartet.

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